Ein Bericht von Dr. Mieste Hotopp-Riecke

(iz). Nachdem Europas älteste Nichtregierungs-Organisation für autochthone nationale Minderheiten, die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), vom 16. bis 20. Mai in Moskau tagte, findet dieser Tage die Europeada in Bautzen statt, die Fußballeuropameisterschaft der nationalen Minderheiten. Vertreter muslimischer Volksgruppen Europas aktiv auf politischer Bühne und im Sport.

In Moskau wurde der 57. Kongress der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) abgehalten. Zum ersten Mal in den über 60 Jahren des Bestehens dieses bedeutendsten Selbstvertretungsorgans der ethnischen Minderheiten Europas fand die Veranstaltung in der Russländischen Föderation statt. Im Fokus des diesjährigen Kongresses stand das “Recht auf Sprache” nachdem auf den zurückliegenden Kongressen bereits das „Recht auf Medien“, das „Recht auf Bildung“ und das „Recht auf Partizipation“ aus der Perspektive nationaler Minderheiten behandelt wurde. Die FUEV hatte 2006 auf ihrem Jahreskongress in Budyšin/Bautzen ihr Grundsatzprogramm – die Charta der autochthonen, nationalen Minderheiten / Volksgruppen Europas – mit 13 Grundrechten definiert.

In der Russländischen Föderation leben rund 190 Minderheiten und Nationalitäten, rund 15 Prozent oder bis zu 22 Millionen Menschen sind Muslime. „Russland ist ein facettenreiches Land, das sich natürlich nicht in vier Tagen erschöpfend erkunden lässt. Ich denke jedoch, wir sind gemeinsam mit unseren 170 Gästen um einiges klüger, wenn wir heute nach Hause fahren“, zog FUEV-Präsident Hans Heinrich Hansen ein positives Fazit des 57. Kongress der FUEV, der Dachorganisation der Minderheiten in Europa.

//1//

Minority Mainstreaming: „Für eine minderheitenfreundliche Umwelt“
Nach Moskau angereist waren nicht nur die Vertreter der Roma, Sorben, Friesen, Balkaren und über 170 weitere Abgesandte von Minderheiten in Europa, sondern es kamen auch Wissenschaftler und Politiker, die als beratende Experten ihre Perspektive auf die Sprachenproblematik der Minoritäten generell und der Situation in der Russländischen Föderation im Besonderen vorstellten. Historiker, Ethnologen, Turkologen und Politologen wie Dr. Marat Gibatdinov (Akademie der Wissenschaften Tatarstans), Dr. Ramazan Alpautov (Moskau/Dagestan), Dr. Garun-Rashid Abdul-Kadyr Huseyinov (Universität Dagestan), Dr. Dimitrij Funk (Inst. für Ethnologie, AdW, Moskau), Dr. Tatjana Smirnova (Dostojevskji-University Omsk) und Dr. Mieste Hotopp-Riecke (ICATAT, Berlin).

Sie unterstrichen in ihren Beiträgen, dass die Situation der autochthonen Minderheiten in der Russländischen Föderation unbedingt einer Verbesserung bedarf. „Eine Nationalitätenpolitik, die diesen Namen verdient, gibt es hier nicht“ unterstrich Tatjana Smirnova. Im Hinblick auf die immer noch ausstehende Ratifizierung der Charta für Regional- und Minderheitensprachen sprach Marat Gibatdinov von fehlendem politischem Willen, denn „schließlich wurde die Charta bereits 1992 von der Russländischen Föderation unterzeichnet“. Doch die Ratifizierung und Implementierung in nationales Recht bedingt auch eine adäquate Unterfütterung mit Ressourcen und sollte endlich umgesetzt werden.

Jedoch ist seit Jahren der Föderationshaushalt im Bildungs- und Kultursektor rückgängig, im Militärhaushalt stiegen die Ausgaben, so Smirnowa. Es gebe dringend Handlungsbedarf betonten auch Alpautov und Hotopp-Riecke. Die FUEV könne pan-europäischer Initiator eines Prozesses von Minority Mainstreaming sein: Jede Mehrheitsgesellschaft ist nur so erfolgreich, prosperierend und demokratisch, wie ihre ethno-religiösen Minderheiten integriert, respektiert und gefördert sind, so Hotopp-Riecke. Csaba Tabajdi, Mitglied des Europäischen Parlamentes und Vorsitzender der Intergruppe für nationale Minderheiten im Europäischen Parlament nannte dies „Eintreten für eine minderheitenfreundliche Umwelt“.

Da viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen zum ersten Mal in der Russländischen Föderation waren, gab es auch Gelegenheit, Moskau etwas näher kennen zu lernen. Das Kongress-Programm umfasste daher auch den Besuch einer Ballettaufführung im Bolschoi-Theater, Musical-Vorstellungen im Zigeuner-Theater Moskau, Besuche in usbekischen und kurdischen Restaurants, einem Tanzabend mit der russland-deutschen Band „Faeton“ aus Tomsk, eine aserbaidschanische Kunstausstellung sowie diverse Vorträge über die Situation im Nord-Kaukasus, im Altai und Nordsibirien.

Die verlesene Grußbotschaft des neu gewählten Präsidenten der Russländischen Föderation, Wladimir Putin, stieß auf ein geteiltes Echo. Schließlich sei dessen Administration mitverantwortlich für die teils desaströse Lage der Minderheitenrechte in Russland. Jedoch gehöre dies zu demokratischen Gepflogenheiten und der Kongress richtete dementsprechend sein Abschluss-Communiqué auch an Putin.

Überlegenster: Arbeitsgemeinschaft der turksprachigen Völker in der FUEV
Die Kumüken sind ein autochthones turksprachiges Volk im Nordkaukasus, vornehmlich in der Republik Dagestan. In der Russländischen Föderation leben rund 503,100 Kumüken (2010), 431,700 von ihnen in Dagestan.

The Karatschayer und Balkaren sind ebenfalls turksprachige Nordkaukasier, die hauptsächlich in den Republiken Karatschay-Tscherkesseien und Kabardino-Balkarien leben. 113.000 Balkaren und 192.000 Karatschayer leben in der Russländischen Föderation Federation.

Unter dem Dach der FUEV haben sich zwei Arbeitsgemeinschaften gebildet: Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten und die Arbeitsgemeinschaft Slawischer Minderheiten. In der FUEV sind 19 deutsche und 14 slawische Minderheiten aktiv. In Moskau wurde auch über die Gründung einer dritten Arbeitsgemeinschaft diskutiert. Der Generalsekretär der sehr aktiven FUEV-Mitgliedsorganisation „Föderation der West-Thrakien Türken in Europa“, Reşit Özkan, hält einen Schritt hin zur Bildung einer AG der turksprachigen Völker innerhalb der FUV für überlegenswert. Timur Seifullin, Vorsitzender der tatarischen Gemeinden Estlands pflichtete dem bei: „In der FUEV gehört der Islam schon lange zu Europa, eine bessere Organisierung und Bündelung von Ressourcen wäre nützlich“. Mit den Balkaren, Karatschayern, Ahiska-Türken aus Georgien und Aserbaidschan, den Tataren Estlands, den Krimtataren und Karaimen aus der Ukraine ist tatsächlich Potential für eine derartige Arbeitsgemeinschaft vorhanden, die wie die anderen Arbeitsgemeinschaften auch eine Brückenfunktion zwischen Minderheiten innerhalb und außerhalb der EU darstellen kann.

Der Direktor für Menschenrechte beim Europa-Rat, René Weingärtner, überbrachte an die FUEV-Mitglieder eine positive Botschaft. „Wir wollen mit ihnen zusammenarbeiten – die Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und Europarat ist uns sehr wichtig. Daher unser Angebot an sie, lassen sie uns überlegen, wie wir in Zukunft besser und konkreter zusammenarbeiten können“, so Weingärtner.

Auch das Europäische Parlament war mit drei Abgeordneten vertreten. Der Vorsitzende der Intergruppe für nationale Minderheiten, Csaba Tabajdi, hob die Zusammenarbeit mit der FUEV hervor, die er in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode intensivieren will. Für eine angeregte Diskussion sorgte die Europäische Bürgerinitiative, ein Schwerpunkt der FUEV, der federführend vom Abgeordneten des Europäischen Parlamentes I. Winkler (FUEV-Mitglied von RMDSZ, der Ungarn in Rumänien) und mit Unterstützung der Intergruppe und zahlreichen FUEV-Mitgliedern begleitet wird. Die Idee eine Bürgerinitiative zu starten und mit der Sammlung von 1 Million Unterschriften die Situation für die autochthonen Minderheiten in Europa zu verbessern, wurde einhellig in zahlreichen Wortmeldungen der Mitglieder begrüßt und die FUEV aufgefordert, hier weiter aktiv mit zu wirken.

Muslime aktiv im demokratischen Kampf für ihre Rechte
Auf der gerade stattfindenden Europeada, der Europameisterschaft der nationalen Minderheiten, in Bautzen sind mit der Mannschaft der Karatschayer und Balkaren erstmals auch russische Muslime vertreten. Dass für die bessere Vernetzung und eine stärkere politische Einflussnahme der muslimischen Minderheiten innerhalb und außerhalb der EU mehr Engagement auch in der Jugendorganisation der FUEV und solch zentralen Projekten wie der Europeada vonnöten ist, wurde auf dem Kongress in Moskau ebenfalls diskutiert.

Eine Publikation der Kongressbeiträge ist geplant und soll als Informationsquelle bzw. Diskussionsgrundlage für eine weitere Beschäftigung mit der Sprachproblematik in den GUS-Staaten dienen. Eine entsprechende Fact-Finding-Mission in Krisengebiete wie Nordsibirien und den Kaukasus wurde ebenfalls diskutiert.