EU-Regierungen füllen das Internet mit Gegenpositionen. Von Matthias Monroy

Ausgabe 243

In Kooperation mit der NATO wollen die EU und Mitgliedsstaaen „gewaltbereiten Extremisten“ mit so genannter strategischer Kommunikation begegnen. Außer den EU-Mitgliedstaaten können auch Drittstaaten teilnehmen.

(Netzpolitik.org). Frankreich hat bereits ein Projekt „Handeln gegen die terroristische Bedrohung“ gestartet. Die EU-Mitgliedstaaten werden nun auf ähnliche Weise aktiv.

Die Organe der Europäischen Union wollen dem „gewaltbereiten Extremismus“ und „Terrorismus“ zukünftig mit „strategischer Kommunikation“ begegnen. Vor allem im Internet, aber auch im Fernsehen sollen „Gegenerzählungen“ präsentiert werden. Ein ähnliches Projekt, „Think Again. Turn Away“, war vor zwei Jahren in den USA gestartet worden, mittlerweile gelten dessen Erfolge aber als dürftig. Unter dem Namen „Handeln gegen die terroristische Bedrohung“ hat auch die französische Regierung eine entsprechende Präsenz im Internet gestartet.

Nach äußerst kurzer Vorbereitungszeit haben einige Mitgliedstaaten Anfang des Jahres ein „Beratungsteam für strategische Kommunikation in Bezug auf Syrien“ (SSCAT) ins Leben gerufen. Die Gruppe wird von der belgischen Polizei, der EU-Kommission und dem EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung geleitet. Perspektivisch soll aus dem Projekt ein Netzwerk von Behörden und Experten der EU-Mitgliedstaaten etabliert werden. Die Gruppe hat sich bereits mehrmals getroffen. Auch mit der NATO hat es direkte Gespräche gegeben, ein weiteres Treffen ist für den Herbst anvisiert.

Ziel ist, die EU-Mitgliedstaaten sowie europäische Institutionen bei der Ausarbeitung von Kampagnen zur „strategischen Kommunikation“ zu unterstützen. Polizeien der EU-Mitgliedstaaten können vom SSCAT auch Beratung anfordern, um der verstärkten Anwerbung für den islamistischen Terrorismus zu begegnen. Außer den EU-Mitgliedstaaten können auch Drittstaaten teilnehmen. Anvisiert sind beispielsweise Tunesien, Marokko, Jordanien und die Türkei.

Die Arbeit des SSCAT ist in drei Abschnitte gegliedert. Zur Vernetzung werden zunächst Behörden in einzelnen Mitgliedsstaaten besucht. Anschließend sollen „Gegenerzählungen“ entwickelt werden, die schließlich in einem dritten Abschnitt gemeinsam umgesetzt werden sollen. Dabei soll vor allem auf die Schwächen des „Islamischen Staates“ verwiesen werden, etwa die Unfähigkeit, ein eigenes Staatswesen aufzubauen oder die hohe Zahl bei Luftangriffen getöteter Kämpfer.

Auf welche Weise die Inhalte veröffentlicht werden, bleibt unklar. Ebenfalls offen ist, ob die besagten „Gegener­zählungen“ von muslimischen Gruppen oder Personen erstellt werden. In Deutschland arbeitet das SSCAT beispielsweise mit der Bundeszentrale für politische Bildung zusammen.

Durch eine „authentische Ansprache“ könnten „junge, politikferne Zielgruppen“ erreicht werden. Dabei sollten „anerkannte Youtuber“ helfen, indem sie „Orientierungswissen vermitteln“ und „aufklärend und deradikalisierend“ wirken. Laut einem Bericht der FAZ von heute habe der unter dem Pseudonym „LeFloid“ auftretende Florian Mundt seine Beteiligung zugesagt. Die „Beauty-Bloggerin“ Hatice Schmidt und „MrWissen2go“ alias Mirko Drotschman hätten ebenfalls Beiträge zugesagt.

Im österreichischen Innenministerium ist man einen Schritt weiter und will selbst „zielgruppengerechte Präventionsvideos“ erstellen. Auch Deutschland wolle sich laut einer Aussendung Österreichs daran beteiligen.

Ein weiteres, sehr ähnliches Projekt unter dem Namen „Europäische gemeinsame Initiative zu Internet und Terrorismusbekämpfung“ (EJI-ICT) wird unter Federführung der niederländischen Regierung betrieben. Zu den Aufgaben gehört die Bekämpfung der Nutzung des Internets „durch Terroristen zu Propagandazwecken, Rekrutierung, Kommunikation und Planung von Anschlägen“.

Die Gruppe soll laut Bundesinnenministerium „gemeinsame Strategien gegenüber der Wirtschaft“ ausarbeiten. Ziel ist, inkriminierte Inhalte „unter Einsatz einer Palette von Instrumenten, darunter auch Maßnahmen der Strafverfolgung, zu verringern“. Hierzu hatte die Polizeiagentur Europol kürzlich eine „Meldestelle für Internetinhalte“ eingerichtet. Die Kommission betreibt derzeit die Gründung eines „Forums der Internetdienstleister“.

Firmen wie Google, Microsoft und Facebook sollen für die verstärkte Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden gewonnen werden. Wie das SSCAT könnte das EJI-ICT auf bestehenden Maßnahmen aufbauen. Hierzu gehört das vom Bundeskrimnalamt gestartete EU-Projekt „Check the web“, das seit 2007 eine Datenbank zu „islamistisch-extremistischen“ Webseiten bei Europol angelegt hat.

Die beiden neuen Maßnahmen waren nach den Anschlägen von Paris im Januar in Schlussfolgerungen des Rates für Außenbeziehungen anvisiert worden: Verbesserung der strategischen Kommunikation, Entwicklung einer Strategie zur Einbindung der arabischen Welt, einschließlich der Entwicklung eines Gegendiskurses zur terroristischen Propaganda, der Förderung der Grundrechte, der Berücksichtigung des immer häufiger auftretenden Missbrauchs des Internets für die Radikalisierung, der Herstellung von Kontakten über die sozialen Medien und der Verbesserung der Kommunikation in arabischer Sprache.

Das SSCAT und das EJI-CT finden die ausdrückliche Zustimmung des deutschen Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU), der seit einigen Monaten für Maßnahmen der „Gegenerzählung zur islamistischen Propaganda im Internet“ wirbt. Bereits im November hatte de Maizière den Start einer entsprechenden europäischen Kooperation bekanntgegeben. Die „Werbeplattform Internet“ dürfe nicht dem IS überlassen werden. Die „Gegenerzählungen“ der EU-Regierungen sollen in allen europäischen Sprachen, aber auch auf Arabisch und Türkisch online gehen.

Mittlerweile hat sich auch der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) in die Erstellung von „Gegenerzählungen“ zu den „von Terrororganisationen verwendeten radikalen Botschaften“ eingeschaltet. Zusammen mit der EU-Kommission hat der EAD eine entsprechende Task Force gestartet. Ziel ist die Einbettung entsprechender Maßnahmen in die EU-Außenpolitik. Auf diese Weise könnten etwa arabische Regierungen überredet werden, Ausstrahlungen von Satelliten-Fernsehsendungen auf dem Gebiet der EU zu verhindern oder wenigstens zu beeinflussen, wie es der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung gefordert hatte.

Die Europäische Union hat bereits mehrere Projekte für Regierungen im Nahen Osten und Nordafrika gefördert, die darin beraten werden, wie sie der Argumentation „islamistischer“ Gruppen „durch einen wirksamen Gegendiskurs entgegentreten können“. Zuletzt wurden hierfür im Februar 3,3 Millionen Euro ausgegeben.

Die Maßnahmen firmieren als neue „Public-Diplomacy-Strategie“. Mit von der Partie ist auch der „Club of Venice“, der sich aus Kommunikationsexperten der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt. Die langjährigen BehördenmitarbeiterInnen beraten regelmäßig zu Kommunikationsstrategien hinsichtlich bestimmter Phänomene, darunter auch zur Terrorismusbekämpfung oder zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP. Vor kurzem hat die EU auch einen ­„Aktionsplan über Strategische Kommunikation (Ost)“ erarbeitet. Ziel ist, „Russlands laufenden Desinformations­kampagnen entgegenzuwirken“. Zielgruppe entsprechender „Gegenerzählungen“ der EU-Mitgliedstaaten sind insbesondere die westlichen Balkan-Länder.

Der Text wurde unter Creative Commons BY-NC-SA 3.0 lizenziert.

Folgt uns für News auf:
https://www.facebook.com/islamischezeitungde

und:
https://twitter.com/izmedien

Noch kein IZ-Abo? Dann aber schnell!
http://www.islamische-zeitung.de/?cat=abo