Noch immer bestimmen Klischees, wer als Muslim gilt. Solche Zerrbilder diskriminieren die Betroffenen und spalten die Gesellschaft. Deshalb dringen Experten auf ein Umdenken. Von Burkhard Jürgens
Straßburg (KNA/iz). Äußerlichkeiten reichen: Wer Bart, Kopftuch oder einen merkwürdigen Namen trägt, Asyl sucht oder etwas dunklere Haut hat – das müssen doch wohl Muslime sein. Verbunden mit dieser Einschätzung ist nicht selten Geringachtung, Angst oder Abwehr, sogar Gewalt. Grund genug für die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), ein Gremium des Europarats, Regierungen gegen einen anti-muslimischen Rassismus zu mobilisieren und Allianzen zu suchen.
Bei einer Expertentagung am 7. Juni in Straßburg verwies Domenica Ghidei Biidu, Vertreterin von ECRI, auf Treiber dieser Diskriminierung: Islamistische Terroranschläge, beginnend mit dem 11. September 2001, aber auch Migration und das Erstarken rechter und populistischer Parteien. Die Ressentiments, die daraus erwachsen, finden keine scharfe Definition; aber Misstrauen und Ausgrenzung ziehen sich durch zahlreiche gesellschaftliche Ebenen und Lebensbereiche.
Der deutsche Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe spricht von „strukturellen und zum Teil unbewussten Diskriminierungserscheinungen“, die mit Begriffen wie Islamfeindlichkeit oder Islamophobie nicht erfasst würden, aber für die Betroffenen dann spürbar werden, wenn sie einen Job suchen oder eine Wohnung mieten wollen. Es sei wichtig, auf diese Mechanismen aufmerksam zu machen, sagt Rohe, Mitglied im Expertenkreis Muslimfeindlichkeit des Bundesinnenministeriums – denn sonst verliere ein Teil der Bevölkerung das Vertrauen in den Grundsatz der Gleichheit aller Bürger.
Deshalb müssen sich Regierungen aus Sicht des Sonderbeauftragten für Rassismusfragen beim Europarat, Daniel Höltgen, stärker dem Phänomen stellen. Ein Schritt dahin sind im März veröffentlichte Empfehlungen von ECRI an die 46 Europarats-Staaten. Es handle sich um „ein wachsendes Problem“, sagt Höltgen. Anti-muslimsischer Rassismus und Diskriminierung beträfen eine große und wachsende Gemeinde – allein in Deutschland etwa sieben Prozent der Bevölkerung. „Das müssen wir in den Griff bekommen“, so der Sonderbeauftragte.
Dass andernfalls Integration behindert, weiteren Konflikten der Weg bereitet und die Stabilität unterminiert wird, davor warnt Mehmet Pacaci, türkischer Repräsentant für Diskriminierungsfragen bei der OSZE und früherer Botschafter seines Landes beim Vatikan. Einen Lösungsansatz sieht er in der Erziehung, ähnlich wie die Vertreterin der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) bei der Europäischen Union, Ismat Jahan. Kinder müssten früh erfahren, was religiöse Vielfalt bedeutet; die wechselseitige Teilnahme an Festen könne helfen, aber besonders gezielter Einsatz von Medien.
Im Vorgehen gegen religiös geprägten Rassismus will sich die OIC auch mit dem Vatikan zusammentun. Eine Erklärung über gemeinsame Ziele ist laut Jahan geplant, allerdings noch „in einem sehr frühen Stadium“. Vorbild soll das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“ sein, das Papst Franziskus und der bekannte ägyptische Imam Ahmad al-Tayyeb, ein angesehener Gelehrter des sunnitischen Islam, 2019 in Abu Dhabi unterzeichneten.
Nun hat die OIC als Zusammenschluss von 57 mehrheitlich muslimischen Staaten eher ein politisches Profil, kein religiöses. Das Feld, auf dem man mit der katholischen Kirche an einem Strang ziehen will, ist die Inklusion von Minderheiten. Keineswegs soll es nach dem Willen von Jahan um so etwas wie „Islamophobie“ gehen – weil dieser Begriff eine aus ihrer Sicht legitime Kritik am Islam unterbinden könnte.
Eine pluraler Lesart, deren Anhänger nach selbstverständlicher gesellschaftlicher Beteiligung streben: Dafür steht die Generalsekretärin des britischen Rats der Muslime, Zara Mohammed. Als sie vergangenes Jahr mit 29 als jüngste und erste weibliche Vertreterin ihres Verbandes gewählt wurde, erhielt sie massenweise Vorwürfe, nur Marionette oder Alibifrau zu sein. Dagegen verwahrt sie sich vehement: Die Hälfte der britischen Muslime sind jünger als 25.
„Wir sind nicht an dem alten Zeug interessiert“, sagt Mohammed. Im November nahm sie als Repräsentantin ihrer Generation an der Weltklimakonferenz COP26 in ihrer Heimatstadt Glasgow teil. „Wir werden immer noch als ‘die anderen’ dargestellt, als verdächtige Fremde. Aber ich bin hier geboren. Also muss sich dieses Narrativ ändern.“