
Ende Mai veröffentlichte die Universität Erlangen-Nürnberg eine Erhebung über Freitagspredigten in deutschen Moscheen. Die Ergebnisse stellen eine Versachlichung von Debatten dar.
Erlangen/Berlin (iz, KNA). Die FAU-Erhebung widerlegt das verbreitete Klischee, dass Freitagsansprachen (Khutbas) in hiesigen Moscheegemeinschaften eine Quelle von Hass oder Radikalisierung seien.
FAU-Untersuchung macht den Charakter der Khutbas deutlich
Extremismus und Gewalt werden in den Predigten klar abgelehnt. Die Inhalte seien demnach „völlig akzeptabel“ und enthielten keine Anhaltspunkte für problematische oder radikale Botschaften. „In der deutschen Öffentlichkeit wird sie dabei immer wieder vor allem als Quelle von Radikalisierung gesehen.“
Die Khutbas beschäftigen sich laut den Forschern überwiegend mit ethischen Fragen des Alltags, zwischenmenschlichen Beziehungen, Bildung, Familie, Nachbarschaft, Umweltschutz und gesellschaftlichem Engagement. Ebenso wurden Aufrufe zu gesamtgesellschaftlichem Engagement, Hilfsbereitschaft und Demokratie regelmäßig thematisiert.
Forschung balanciert langanhaltende Vorurteile, die seit Jahren in Debatten aufrechterhalten werden
„Die Predigt (…) ist essenzieller Bestandteil eines jeden Freitagsgebets in der Moschee. In der deutschen Öffentlichkeit wird sie dabei immer wieder vor allem als Quelle von Radikalisierung gesehen. Doch Hass erleben durchschnittliche Moscheegänger/-innen entgegen dieser weitverbreiteten Annahme nicht“, schrieb die FAU in einer Pressemitteilung am 21. Mai.
Parallel mit Einberufung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) unter Wolfgang Schäuble wurden Forderungen – inklusive solcher Unterstellungen – nach einer Reglementierung der Freitagsansprachen laut. Besonders nach 2010 wurde diese Forderung immer wieder öffentlich diskutiert und von verschiedenen Parteien – vor allem aus dem konservativen und rechten Spektrum – thematisiert.
Muslime reagierten mit Kritik an solchen Vorstößen, da sie dahinter die Reglementierung und Einhegung ihres religiösen Lebens vermuteten.
Allerdings wurde zu wenig berücksichtigt, dass – unter Einbeziehung bestimmter, verpflichtender arabischer Teile in vielen Gemeinschaften immer schon auch anderssprachig in der Bundesrepublik gehalten wurden. In türkisch-, bosniakisch-, albanisch- oder pakistanisch-geprägten Gemeinden bestehen die Khutbas zu weiten Teilen seit ihrer Gründung aus nichtarabischen Teilen.
Seit geraumer Zeit geht ein Teil der Moscheegemeinden gerade in Großstädten dazu über, einen Abschnitt in oder nach der Khutba auf Deutsch anzubieten. Dieser pragmatische Ansatz zeigt für viele Muslime, dass solche Forderungen an der Lebenswirklichkeiten der Moscheen vorbeigehen.
Foto: Muslimische DiaLogen | Rat Berliner Imame
Zwei Drittel der Moscheegemeinschaften untersucht
Das Projekt „Wechselwirkungen“ wertete Predigtmanuskripte der drei größten muslimischen Verbände in der Bundesrepublik aus: DİTİB, IGMG und VIKZ. Diese repräsentieren etwa zwei Drittel (rund 1.500 von 2.300) der Moscheen und Gebetsräume in Deutschland.
Die Untersuchungen umfassten Khutbas aus den Jahren 2005 bis 2024. In Stichproben wurde überprüft, dass die online veröffentlichten Texte mit den vor Ort gehaltenen Predigten übereinstimmten – auf Türkisch und auf Deutsch.
Die Studie deckt nicht alle Moscheen ab. Es wird eingeräumt, dass es einzelne Gemeinschaften geben könnte, in denen radikale Inhalte vorkommen, diese seien aber nicht repräsentativ für den muslimischen Mainstream in Deutschland.
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Forschung kritisiert verzerrte Perspektiven
EZIRE-Geschäftsführer und Islamwissenschaftler Jörn Thielmann sagte zur Differenz zwischen Wirklichkeit und öffentlicher Behauptung: „Oft geht es in den Predigten um allgemeine moralische Ermahnungen und Hinweise, die auch jeder nicht gläubige Mensch unterschreiben könnte.“
Seltener gehe es um Themen wie Rassismus, Diskriminierung und Islamfeindlichkeit. „Muslimische Verbände sprechen die negativen Erfahrungen von Musliminnen und Muslimen einerseits deutlich an, mahnen aber gleichzeitig zu einer konstruktiven und friedlichen Bewältigung dieser Erfahrungen.“
Die Predigten vermittelten den Gläubigen die konsequente Ablehnung von Extremen und Gewalt sowie eine Orientierung an der „Gemeinschaft der Mitte“.
Die FAU-Fachleute kritisieren, dass der positive und konstruktive Gehalt von Freitagspredigten in der öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung kaum Beachtung finden. Vorurteile gegenüber Moscheen und Muslimen werden dadurch nicht abgebaut.
Die Auseinandersetzung mit diesen Predigten (verantwortet von Gesamtprojektleiter Dr. Jörn Thielmann unter Mitarbeit von FAU-Wissenschaftler Dr. Serdar Aslan) ist eines von insgesamt sechs Teilprojekten des Projekts „Wechselwirkungen“. Dieses ist von 2000 bis Ende 2024 aus unterschiedlichen Blickwinkeln den Fragen nachgegangen, wie sich gesellschaftliche Diskurse um „Islamismus“ auf muslimische Communitys auswirken und welche Folgen Maßnahmen gegen Radikalisierung für sie haben.
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Muslime begrüßten Veröffentlichung der Studie
DİTİB und IGMG zeigten sich erfreut über die Forschungsergebnisse. „Freitagspredigten in Ditib-Moscheen sind ein wichtiges Instrument für religiöse Entfaltung und für die Förderung des gesellschaftlichen Friedens“, sagte zeigen sich erfreut über eine Studie zu den Inhalten der Freitagspredigten in ihren Moscheen.
„Freitagspredigten in Ditib-Moscheen sind ein wichtiges Instrument für religiöse Entfaltung und für die Förderung des gesellschaftlichen Friedens“, sagte der DİTİB-Generalsekretär, Eyüp Kalyon, direkt nach Veröffentlichung der Ergebnisse.
Ähnlich äußerte sich IGMG-Generalsekretär Ali Mete. „Wissenschaft widerlegt Vorurteile: Nicht die Moscheen, sondern die Debatten über sie sind gefährlich.“ Die Untersuchung belege, dass sich die Inhalte überwiegend mit alltagsnahen, moralisch fundierten und konstruktiven Themen befassten – „von Bildung über Umweltschutz bis hin zu Nachbarschaftsethik und sozialem Engagement“. Zudem seien die Predigten seines Verbands seit vielen Jahren online abrufbar und transparent.
Angesichts dieser Feststellung appelliere man an die Medien und Politik, diesen Beitrag stärker zu würdigen, so Kalyon. „Denn das Freitagsgebet ist in der Woche die meistbesuchte Zeit in den Moscheen und bietet somit eine bedeutende Gelegenheit, viele Muslime zu erreichen.“ Auch Mete appellierte an Polit und Medien: „Diese Forschungsergebnisse sollten als Grundlage für eine sachliche und differenzierte Diskussion dienen.“