Gesundheitssystem: Helfer und Ärzte sprechen vom Zusammenbruch. Die Zivilbevölkerung gerät immer weiter unter Druck. Kritik an Teilen des israelischen Vorgehens kommt auch von Völkerrechtlern.
(dpa, kann, iz). UN-Generalsekretär António Guterres hat einen sofortigen Zugang für Hilfslieferungen in den Gazastreifen gefordert. „Auch Kriege haben Regeln“, sagte Guterres am Freitag vor Journalisten in New York. „Wir brauchen sofortigen humanitären Zugang zu ganz Gaza, damit wir den Bedürftigen Treibstoff, Nahrung und Wasser zukommen lassen können.“
Mehr als eine Woche nach den verheerenden Angriffen der Hamas und den darauf folgenden israelischen Angriffen ist die Situation der leidenden Zivilbevölkerung in dem hermetisch abgeriegelten Gebiet immer verzweifelter.
Eine Woche nach Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel ist die Zahl der Toten im Gazastreifen auf 2.329 gestiegen. Das teilte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in Gaza am Sonntag mit. Mehr als 9.000 Menschen seien verletzt worden.
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Gesundheit und Versorgung – Systeme brechen unter Angriffen zusammen
Angesichts der massiven Luftangriffe der israelischen Armee steht das Gesundheitssystem in Gaza nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „am Rande des Zusammenbruchs“. Die Zeit werde knapp, um eine „humanitäre Katastrophe zu verhindern“, wenn angesichts der vollständigen Blockade des Gebietes kein Treibstoff und keine lebensrettenden medizinischen und humanitären Güter schnell gebracht werden können.
William Schomburg, Leiter der Unterdelegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Gaza, berichtete aus einem provisorischen Lager für vertriebene Palästinenser in Rafah nahe der ägyptischen Grenze über die humanitären Bedingungen vor Ort:
„Nach mehreren Tagen schweren Bombardements wurden Tausende von Familien aus dem nördlichen Teil des Gazastreifens ohne Vorwarnung angewiesen, aus dem Norden nach Süden zu ziehen“, so Schomburg. „Heute fehlt es der Zivilbevölkerung im gesamten Gazastreifen an Nahrungsmitteln, Strom und Wasser, damit die Familien ihre Grundbedürfnisse befriedigen können.“
Das IKRK hat mehr als 100 Mitarbeiter in Gaza, aber es werden dringend Hilfsgüter benötigt. Das IKRK lagert lebensrettende Hilfsgüter aus Amman in Ägypten, damit die Hilfslieferungen bereit sind, sobald der Zugang nach Gaza gewährt wird.
Dieser erste Konvoi enthält Medikamente und 6.000 Haushaltspakete für Familien, die Hygieneartikel und Chlortabletten für Trinkwasser enthalten. Zusätzliches Personal, darunter ein mobiles Chirurgenteam und weiteres Gesundheitspersonal, ein Experte für Waffenkontamination sowie Hilfskoordinatoren für Wasser, Nahrungsmittel, Unterkünfte und Infrastruktur werden ebenfalls nach Gaza entsandt, sobald der Zugang gewährt wird.
„Die Abschaltung der Strom- und Wasserversorgung für die 2,3 Millionen im Gazastreifen lebenden Menschen, von denen die Hälfte Kinder sind, muss sofort aufgehoben werden. Vor Ort vorhandene Hilfsgüter werden sehr schnell aufgebraucht sein, Wasser geht bereits jetzt zur Neige. Davon sind auch Krankenhäuser, deren Dienste aktuell dringend benötigt werden, betroffen“, schrieb die Hilfsorganisation CARE Deutschland e.V. am Freitag.
„Die Krankenhäuser sind überlastet. Es gibt keine Schmerzmittel mehr. Unsere Mitarbeiter erzählen uns von den Verwundeten, die vor Schmerzen schreien, von den Verletzten, den Kranken, die nicht ins Krankenhaus kommen können, und von der Angst, in wenigen Stunden bombardiert zu werden.
Andere Menschen berichten uns, dass es ihnen unmöglich ist, auch nur für eine Stunde hinauszugehen, um Vorräte zu holen. Im Süden des Gazastreifens, wohin die Menschen von den israelischen Behörden gerufen wurden, ist die Lage extrem schwierig“, heißt es in einer Erklärung von Ärzte ohne Grenzen vom Sonntag.
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Kinder brauchen besonderen Schutz
Die Organisation SOS-Kinderdörfer ruft zum Schutz von Kindern und Familien in Israel und im Gazastreifen auf. „Wir sind tief erschüttert über die aktuell furchtbare Situation. Wir sind schockiert von all dem Leid, das Kinder und Familien in den letzten Tagen in Israel und Gaza erfahren mussten“, erklärte Vorständin Lanna Idriss (Samstag) in München.
Es gebe keine Rechtfertigung für das Töten, für Angriffe und Gewalt gegen Kinder. „Wir verurteilen die terroristischen Anschläge und Gewalttaten zutiefst und verfolgen mit großer Sorge die Berichte von Kinderrechtsverletzungen im Zuge des Konflikts“, so Idriss.
„Wir rufen die Parteien auf, humanitäre Korridore zu schaffen, sodass Kinder und vulnerable Gruppen aller Nationen in Sicherheit gebracht werden können“, so SOS-Kinderdörfer.
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UN-Menschenrechtsbüro sieht wachsenden Hass
Antisemitische und antimuslimische Hetze nimmt nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros weltweit zu. „Wir fordern Politiker und andere Führungspersönlichkeiten dazu auf, diese Art von Hassrede unmissverständlich zu verurteilen“, sagte Sprecherin Ravina Shamdasani am Freitag in Genf. Konkrete Maßnahmen seien nötig, um Aufrufe zu Feindseligkeit und Gewalt zu verhindern.
„Die internationale Gemeinschaft sollte sich jetzt solidarisch für den Schutz aller Zivilisten einsetzen – egal wo, und egal was passiert“, sagte sie.
Im Namen von UN-Hochkommissar Volker Türk forderte Shamdasani die Hamas erneut auf, die israelischen Geiseln freizulassen. Israel solle die Abriegelung des Gazastreifens beenden und die Aufforderung zur Evakuierung des nördlichen Teils des Palästinensergebietes zurücknehmen.
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Warnung vor „Kollektivbestrafung“ und Bruch des Völkerrechts
Der schottische Regierungschef Humza Yousaf, dessen Schwiegereltern im Gazastreifen festsitzen, hat die israelische Aufforderung zur Evakuierung des Gebiets scharf kritisiert. „Die internationale Gemeinschaft muss einschreiten und ein Ende der Kollektivstrafen fordern“, schrieb Yousaf am Freitag im Kurznachrichtendienst X.
Yousaf lud einen Clip seiner Schwiegermutter aus dem Ort Deir Al-Balah hoch. „Jeder in Gaza bewegt sich dorthin, wo wir sind“, sagte Elizabeth El-Nakla in dem Video. „Eine Million Menschen, kein Essen, kein Wasser – und trotzdem werden sie beim Verlassen bombardiert.“ El-Nakla betonte: „Wo ist die Menschlichkeit? Wo sind die Herzen der Menschen auf der Welt, die dies heutzutage zulassen? Möge Gott uns helfen, auf Wiedersehen“.
Hilfsorganisationen warnten vor katastrophalen Zuständen im Gazastreifen. Medico und Misereor forderten am Sonntag die Einhaltung des Völkerrechts und die sofortige Einrichtung humanitärer Korridore zur Versorgung der 2,2 Millionen Menschen in der Küstenenklave.
Die „völkerrechtswidrigen Angriffe“ auf die Zivilbevölkerung, zivile Infrastruktur und medizinische Einrichtungen müssten aufhören, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Beide Gruppen arbeiten mit Gesundheitsdiensten und Menschenrechtsorganisationen im Gazastreifen zusammen.
Aus Sicht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), das weltweit die Einhaltung des Kriegsrechts überwacht, besteht ein „bewaffneter Konflikt“ zwischen Israel und einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe – dem militärischen Arm der Hamas. Auch in diesem Fall gilt laut Rotem Kreuz das humanitäre Völkerrecht.
Wer Zivilisten zum Schutz militärischer Ziele einsetzt, begeht laut Anna Petrig, Völkerrechtsexpertin an der Universität Basel, eindeutig ein Kriegsverbrechen. „Das ist nie erlaubt.“ Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch der Aufruf der Hamas an die Bevölkerung des Gazastreifens, trotz israelischer Warnungen die Nordhälfte nicht zu verlassen.
Die Anweisung Israels, den Norden des Gazastreifens zu räumen, verstoße zusammen mit der Belagerung gegen das Völkerrecht, stellte das IKRK fest. In dem dicht besiedelten Küstenstreifen habe die Bevölkerung keine Chance, sich anderswo in Sicherheit zu bringen, argumentierte das Rote Kreuz.
Wie kann ein Siedlungsgebiet, dass so viele Auslandshilfen erhält nicht mal eine eigene Infrastruktur aufrecht erhalten?
Wie kann die Hamas noch Raketen Richtung Israel abfeuern, wenn der Treibstoff für die Notstromaggregate zu Neige geht?
Die Palästinenser müssen sich ihrer Hamas-Führung entledigen, wenn sie eine Zukunft haben wollen, der Zeitpunkt dafür ist jetzt gekommen.
Die Forderung, die Bewohner von Gaza sollten sich ihrer Herrschaft entledigen, klingt von uns Deutschen etwas wohlfeil. Das haben wir historisch ebenfalls nicht geleistet.