Hintergrund: Anarchie bestimmt den Alltag in Zentralafrika. Ein Bericht von Markus Schönherr

Kapstadt/Bangui (KNA). Die Zentralafrikanische Republik kommt nicht zur Ruhe. Knapp zwei Jahre nach dem Regierungssturz und der Schaffung einer Übergangsregierung herrscht in weiten Teilen des Landes immer noch Gewalt. Die von den Vereinten Nationen unterstützten Interimsführer versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Allerdings fehlt es außerhalb der Hauptstadt Bangui an jeglichen staatlichen Strukturen.

„Es ist schwierig für die Regierung, alle Teile des Landes zu kontrollieren, wenn die Armee einfach nicht funktioniert“, sagt Georgette Florence Deballe Koyt. Die Politikwissenschaftlerin leitete einst als Rektorin die staatliche Universität in Bangui. Als die Seleka-Rebellen im März 2013 die Hauptstadt einnahmen und kurz darauf die Regierung von Francois Bozize stürzten, verlor sie ihren Posten. Es dauerte ein Jahr, bis sich die Seleka und verfeindete Rebellen auf Catherine Samba-Panza als Übergangspräsidentin einigten. Die neue, UN-gestützte Regierung ernannte Koyt zur Direktorin der nationalen UNESCO-Kommission.

Nach ihren Worten befindet sich die Zentralafrikanische Republik weiter im Griff der Streitparteien. Vor allem die christliche Anti-Balaka-Miliz, die sich als bewaffnete Antwort auf die muslimische Seleka bildete, droht den Friedensprozess zu zerschlagen. Seit 14 Monaten herrscht in dem von Armut geplagten Land ein religiöser Bürgerkrieg. Trotz eines Waffenstillstandsabkommens wird der Alltag immer noch von Anarchie begleitet. „Einzig die UN-Truppen dürfen Feuerwaffen benutzen. Aber diese weigern sich, Risiken einzugehen und in die abgelegenen Gegenden vorzudringen, wo sich die Rebellen unter der Bevölkerung verstecken“, so Koyt.

Die UN-Mission MINUSCA zählt derzeit 8.700 Soldaten. Ein Gefühl der Sicherheit vermittelt sie nur wenigen Zentralafrikanern. Im Januar wurde der Minister für Jugend und Sport, Armel Mingatoloum Sayo, mitten am Tag aus seinem Wagen gezerrt und verschleppt. Er war bereits das dritte Opfer nach einem UN-Mitarbeiter und einem französischen Entwicklungshelfer. Alle drei entkamen ihren Entführern. Es wird vermutet, dass es sich dabei um die Anti-Balaka-Miliz handelte, die immer noch mehrere Bezirke Banguis kontrolliert.

Die Politikwissenschaftlerin Koyt hält es für derzeit „unmöglich“, alle Regionen unter die Kontrolle der Zentralregierung zu bringen. Beamten, die in entlegene Regionen entsandt werden, würden entweder getötet oder vertrieben. Von der Repression sind auch humanitäre Helfer nicht ausgenommen, berichtet Abdraman Issa Algueche, Freiwilliger des Roten Kreuzes in Bangui. „Letztlich kann niemand unsere Sicherheit garantieren. Wenn ich zu Einsätzen in gefährdete Gebiete ausrücke, habe ich oft Angst. Das Rote Kreuz-Logo hilft kaum.“ Vergangenes Jahr sorgte die Ermordung des Rotkreuz-Mitarbeiters Patrick Matede für Aufsehen. Rebellen lynchten ihn – in Bangui.

Die UNO hält an einem Fahrplan fest, der das Land zurück in die Demokratie führen soll. Spätestens im Juli sollen Parlamentswahlen stattfinden; ein Urnengang, den Kritikern jedoch für unrealistisch halten. „In weiten Teilen des Landes kann niemand frei sprechen“, so Koyt. „Wo die Rebellen herrschen, kann es keine freien Wahlen geben. Und selbst wenn die Wahlen transparent wären, könnten die Ergebnisse in den aktuellen Umständen nachträglich gefälscht werden.“

Einen gescheiterten Staat sieht die UN-Mitarbeiterin allerdings noch nicht. Tatsächlich könne die Interimsregierung auch erste Erfolge nachweisen. „Der Präsidentin ist es zu verdanken, dass Beamte wieder arbeiten und regelmäßig bezahlt werden – selbst wenn das nur durch Geld befreundeter Länder möglich ist. Der Großteil der Schulen unterrichtet wieder, und es ist möglich, auf den Märkten an Lebensmittel heranzukommen.“ Nach Koyts Einschätzung braucht es für Stabilität nicht erstrangig Wahlen, sondern nationale Aussöhnung und eine rechtliche Aufarbeitung. „Jene, die Menschen getötet oder unser Land niedergebrannt haben, müssen den Preis dafür zahlen. Anderenfalls werden sich immer Menschen ermutigt fühlen, selbst zu den Waffen und greifen und Rache zu üben.“