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Humanitäre Organisationen erheben Vorwürfe gegen Bundesregierung

Gaza Regierung
Foto: Alisdare Hickson, CC BY-NC SA 2.0

Forderungen an die Bundesregierung: Auf einer Pressekonferenz äußerten sich Sprecher verschiedener Organisationen sowie Experten zur deutschen und europäischen Rolle in Gaza.

Berlin (iz). Am Dienstag traten VertreterInnen von medico international, Amnesty International Deutschland sowie zwei wissenschaftliche ExpertInnen auf der Bundespressekonferenz vor die Medien. Im Mittelpunkt standen die humanitäre Lage in Gaza und die Verantwortung der Bundesregierung sowie der Europäischen Union.

Die SprecherInnen bezeichneten die humanitäre Katastrophe in Gaza als extrem schwerwiegend und ordneten sie völkerrechtlich als Kriegsverbrechen beziehungsweise Genozid ein. Deutschland und die EU wurden dabei deutlich für ihre bisherige Unterstützung Israels trotz nachgewiesener Völkerrechtsverletzungen kritisiert. Die ExpertInnen forderten einen sofortigen Kurswechsel: konkrete Maßnahmen wie ein umfassendes Waffenembargo, politische und wirtschaftliche Sanktionen sowie internationale Schutzmechanismen seien dringend geboten.

Kritik an der Bundesregierung: Beschreibung der Verhältnisse

Als erstes Sprach Riad Othman von medico international. Er beschrieb dabei dokumentierte und erklärte Maßnahmen Israels. Sie würden darauf abzielen, Gaza auszuhungern, dessen Infrastruktur zu zerstören und die Bevölkerung kollektiv zu bestrafen (z.B. durch minimale Hilfslieferungen verglichen mit dem realen Bedarf, der vor dem 7.10.2023 durch 500–600 LKWs täglich gedeckt wurde).

Bezüglich der angekündigten Abwürfe von Hilfslieferungen aus der Luft, die gerade von Bundeskanzler Merz verlautbart wurden, betonte er, dass sie ineffizient und gefährlich seien. Othman kritisierte die Bundesregierung und die EU dafür, Israel trotz bestehender Abhängigkeit weiterhin politisch zu unterstützen, anstatt dort wirksamen Druck zu erzeugen.

Und verweis darüber hinaus auf Berichte israelischer Nichtregierungsorganisationen (namentlich Physicians for Human Rights Israel), in denen von „Völkermord“ die Rede ist. Er machts auf das Leid durch systematisch verursachten Hunger und die Zerstörung der Grundversorgung aufmerksam.

Chefin von Amnesty International Deutschland ordnet den organisierten Hunger ein

Dr. Julia Duchrow ist seit November 2023 Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Die promovierte Juristin ordnete die gezielte Verwendung von Nahrung und Hunger als politisches Druckmittel als „Kriegsverbrechen“ und, sofern systematisch angewendet, als „mögliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ein.

Als Belege führte sie Berichte von B’Tselem und Physicians for Human Rights Israel an, die beide der israelischen Regierung Genozid vorwerfen. Auch Amnesty International selbst bewertet das militärische Vorgehen Israels als Völkermord.

Deutschland habe nach Völkerrecht die Pflicht, Waffenlieferungen an Israel einzustellen, das EU-Assoziierungsabkommen auszusetzen und sich aktiv für ein Ende der Blockade und Besatzung einzusetzen. Luftbrücken bezeichnete Duchrow hingegen lediglich als symbolische Gesten, die in der Praxis völlig unzureichend seien.

Beitrag von universitärer Seite

An der Pressekonferenz nahmen ebenfalls die Volkswirtschaftlerin Prof. Dr. Christine Binzel (Erlangen-Nürnberg) sowie der Sozialanthropologe Prof. Dr. Ger Duijzings (Regensburg) teil. Duijzings zog eine Parallele zwischen dem Genozid in Srebrenica 1995 und der heutigen Lage in Gaza; insbesondere in Bezug auf Zwangsvertreibung, systematische Infrastrukturzerstörung, geplante Aushungerung und den Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten.

Er betonte die Verantwortung Deutschlands und der EU, frühzeitig Risiken für Massenverbrechen zu antizipieren und nicht zu verharmlosen oder zu ignorieren. Kritik äußerte er an „der passiven Haltung“ Deutschlands und Europas, deren diplomatische und wirtschaftliche Möglichkeiten zu wenig genutzt werden.

Auch Binzel sieht einen deutschen Anteil an der jetzigen Situation. Die aktuelle und die vorherige sei mitverantwortlich für die Zerstörung der Lebensgrundlagen und fortgesetzte Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung.

Sie hob hervor, dass Deutschland trotz klarer Völkerrechtsbrüche Israels keine adäquaten Maßnahmen ergriffen habe. Und warnte vor weiterem „mitschuldig machen“ durch politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Untätigkeit.

Binzel forderte u.a. ein vollständiges Waffenembargo, die Überprüfung aller diplomatischen und ökonomischen Beziehungen zu Israel, wirtschaftlichen Druck durch die EU (z.B. Aussetzen des Forschungsprogramms Horizon Europe), internationale Schutzmaßnahmen und das Entsenden von UN-Friedensmissionen.

Konkrete Forderungen an die Bundesregierung

Die vier Sprecher und Sprecherinnen beließen es nicht bei ihrer deutlichen Kritik an der deutschen und europäischen Mitverantwortung an der menschlichen Katastrophe in Gaza:

– Deutschland solle angesichts der beschriebenen Kriegsverbrechen und des drohenden Völkermords keinerlei Waffen mehr an Israel liefern.

– Sie fordern, das Abkommen auf Eis zu legen, um politischen und wirtschaftlichen Druck auf Israel auszuüben.

– Deutschland und die EU sollen sich mit Nachdruck für die sofortige Öffnung der Grenzübergänge und den ungehinderten Zugang für Hilfslieferungen einsetzen. Hilfsgüter müssten per LKW, nicht per Luftbrücke, geliefert werden.

– Neben den Waffenexporten sollen alle wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Programme mit Israel, wie etwa EU-Forschungsprojekte (z.B. Horizon Europe), überprüft und ggf. ausgesetzt werden.

– Die Bundesregierung solle sich unmissverständlich an das Völkerrecht halten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit klar verurteilen und sanktionieren.

– Es wird empfohlen, neben wirtschaftlichen Maßnahmen auch gesellschaftlichen Druck aufzubauen, indem etwa Israel von kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen ausgeschlossen wird.

Diese Forderungen waren von den einzelnen Sprechern unterschiedlich begründet, ließen aber als zentrales Thema erkennen: Ein Politikwechsel Deutschlands ist notwendig – weg von symbolischen Hilfsaktionen und „bedingungsloser Solidarität“ hin zu echtem politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Druck gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen. Ziel sei es, das Leid der Zivilbevölkerung wirksam zu beenden.

Link zur gesamten PK:
https://www.youtube.com/live/qwJ5x_hQbK4

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