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In Afghanistan ballen sich die Probleme

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Foto: Christian Jepsen, NRC

Der Krieg in der Ukraine bestimmt in diesen Tagen die Schlagzeilen. Gewalt und Not prägen auch das Leben der Menschen in Afghanistan – seit langem schon. Und immer kommen neue Probleme hinzu. Von Joachim Heinz und Volker Hasenauer

Kabul/Bonn (KNA). Caritas International hat ein Problem in Afghanistan. Und ist damit nicht allein. Weil das Land vom internationalen Bankensystem abgeschnitten ist, fehlt es an Geld. „Wir haben Schwierigkeiten unsere Mitarbeitenden zu bezahlen“, sagt der Leiter des Caritas international-Büros in Afghanistan, Stefan Recker. Deswegen muss die katholische Hilfsorganisation auf eine Art informelles islamisches Bankwesen zurückgreifen.

Auch die Welthungerhilfe und Misereor berichten von ähnlichen Engpässen. Nicht nur für die Helfer ist die Lage misslich. Selbst die radikalislamischen Taliban stehen offenbar vor ähnlichen Problemen. Diese könnten noch nicht einmal ihre ehemaligen Kämpfer bezahlen, berichtet Misereor-Länderreferentin Anna Dirksmeier. Die Unzufriedenheit wachse, „was sich auch schon in Plünderungen gezeigt hat“. Dirksmeier: „Die Gefahr eines Bürgerkriegs ist immer noch nicht gebannt.“

Am meisten unter den Folgen der finanziellen Sanktionen, die nach dem Machtantritt der Tailban vor mehr als einem halben Jahr in Kraft traten, leidet jedoch die Zivilbevölkerung. In den Geschäften liegen Lebensmittel aus – aber niemand kann sie mehr bezahlen. „Schätzungsweise 97 Prozent der Menschen bekommen nicht genug zu essen“, sagt Anna Dirksmeier. Hinzu komme, dass eine lang anhaltende Dürre im vergangenen Jahr zu massiven Ernteausfällen führte. „Da müsste von staatlicher Seite gegengesteuert werden, aber so etwas ist in Afghanistan momentan nicht denkbar, weil die Staatskasse leer ist.“

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Nun verschlimmert der Winter laut Angaben der Welthungerhilfe die Lage der notleidenden Bevölkerung. „Die Menschen haben kein Geld für Heizmaterial und verbrennen Plastik und Kleidung, um nicht zu erfrieren“, sagte eine Sprecherin der Organisation. „Die Menschen sitzen hungrig und frierend in ihren Häusern oder noch schlimmer in Behelfsunterkünften oder Zelten.“ Außerdem berichteten viele Familien, dass sie durch die starken Schneefälle keinen Zugang zu Märkten mehr haben, weil Straßen und Wege nicht befahrbar seien.

Die Helfer versuchen nach Kräften, die Not zu lindern – und über den Tag hinaus zu planen. Eine Herkulesaufgabe auch mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen. In Kabul besetzen inzwischen die Hardliner vom Haqqani-Netzwerk Schlüsselposten in der Regierung. „Mit dem Regime ist nicht zu spaßen“, sagt Anna Dirksmeier. Trotzdem: Vor Ort sei mehr möglich, als man vermuten würde. Im Nordwesten des Landes betreibt Misereor beispielsweise mehrere Frauenbildungszentren, die Computer- und Englischkurse, Unterricht in Mathematik und politischer Bildung geben oder Sportangebote machen.

Dass diese Einrichtungen wieder öffnen konnten, war Ergebnis von Verhandlungen mit den lokalen Taliban. Dabei hätten die Frauen selbst erreicht, dass sie selbstständig zu Fuß zu den Kursen gehen können – „wie früher“, so Dirksmeier. Zugleich betont die Misereor-Referentin aber, dass solche positiven Beispiele nicht flächendeckend zu beobachten seien.

Caritas International bietet nach dem Zusammenbruch des staatlichen Gesundheitswesens unter anderem medizinische Hilfen für Lepra- und Tuberkulose-Kranke an. Auch eine Werkstatt für Prothesen und Orthesen laufe weiter, sagt der Leiter des Caritas international-Büros Recker. Ein weiteres Augenmerk aller Organisationen liegt in der Versorgung der Binnenflüchtlinge. Anna Dirksmeier nimmt in diesem Zusammenhang auch die Bundesregierung in die Pflicht – und fügt noch eine weitere Forderung hinzu: Deutschland müsse mehr für seine Ortskräfte tun. „Es sind noch längst nicht alle außer Landes gebracht, die an Leib und Leben bedroht sind.“

Die Helfer sind sich einig: Afghanistan dürfe jetzt nicht in Vergessenheit geraten, auch wenn derzeit ein anderes Thema im Fokus stehe. „Natürlich müssen wir auch mögliche Flüchtlinge aus der Ukraine im Blick haben, vielleicht auch russische Regimekritikerinnen und -kritiker, soweit sie es außer Landes schaffen“, sagt Dirksmeier. Grundsätzlich gelte: „Menschen, die fliehen müssen, weil ihre Menschenrechte verletzt werden, kann man nicht gegeneinander ausspielen.“