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Islam in Großbritannien – heutige Werte-Debatten ignorieren die spirituelle Geschichte des Landes

Ausgabe 330

Foto: SakhanPhotography, Adobe Stock

Vor einigen Jahren betitelte die „Times“ einen Artikel mit „Muslimischen Kindern wird Frauenfeindlichkeit eingetrichtert“. Die Überschrift und der folgende Text speisen die Vorstellung über Islam als einen unwillkommenen Eindringling in Großbritannien. Dieser vertrete Ansichten und Werte, die der großen Mehrheit der britischen Bevölkerung widersprächen. Die Geschichte, die hunderte ähnliche in den Medien repräsentiert, pickt Einzelfälle, Zitate und ausgesuchte Statistiken heraus, um Islam als unerwünschten, wenn nicht bedrohlichen Einfluss auf das Land als Ganzes darzustellen.

(iz). Bei einer Fahrt durch die britische Landschaft kommt man nicht um die erste Wahrnehmung umhin, dass in beinahe jedem Dorf ein Kirchturm über die umliegenden Bäume ragt. Ebenso werden unsere Orte und Städte durch große Kirchen und Kathedralen dominiert, um die viele errichtet wurden. Das ist der architektonische Ausdruck einer einfachen Wahrheit: dass die Anbetung Gottes bis vor Kurzem zentral für das Leben unserer Landsleute war.

Wir sehen, dass diese mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung betraf. Das und nur das ist das Hauptanliegen des Islam und aller Muslime. In ihm geht es fundamental um die Anbetung Gottes – und nichts anderes. Und die göttliche Wirklichkeit ist eindeutig identisch für Juden, Christen und Muslime.

Es gibt natürlich unüberbrückbare theologische Differenzen, welche die drei Religionen trennen, aber der Gott aller drei ist zweifelsohne derselbe. Seine Gegenwart wird überwältigend durch Gnade, Großzügigkeit, Vergebung und Duldsamkeit gekennzeichnet. Diese Eigenschaften manifestieren sich bei der muslimischen Gemeinschaft in Form von Freimütigkeit, Gastfreundschaft, Wissen um die Bedürfnisse dritter sowie echte Wärme gegenüber allen. Das charakterisiert Muslime in aller Welt. Jeder, der unter ihnen gereist ist, weiß das.

Viele von uns sind einigermaßen vertraut mit der politischen und sozialen Geschichte Großbritanniens, aber es gibt auch eine spirituelle, die weitaus weniger Aufmerksamkeit erfährt. Neben dynastischen Kämpfen, Bürgerkriegen, sozialen Bewegungen, imperialen Abenteuern und Revolutionen der Geschichtsbücher, hat das Land auch eine reiche spirituelle Vergangenheit. Durch die Jahrhunderte hindurch gab es auf diesen Inseln eine dauerhafte Präsenz der spirituellen Erneuerung – die sowohl von innen und von fremden Ufern kam.

In diesem Kontext, der sich ständig wiederholenden Wellen geistiger und religiöser Erneuerung – häufig durch Gruppen, die von jenseits unserer Küsten stammen – sollte die Präsenz des Islam bei uns verstanden werden. Die Geschichte eines einzigen religiösen Gebäudes in der Londoner Brick Lane, das zunächst eine hugenottische Kapelle war, dann zu einer Synagoge wurde und heute eine blühende Moschee ist, veranschaulicht dass eindrücklich.

Einige Kritiker der islamischen Präsenz in Großbritannien stützen ihre Einwände auf die Behauptung, dass es unüberwindbare kulturelle Unterschiede zwischen Islam und der einheimischen Bevölkerung gibt. Dies zeugt von Unkenntnis über das Wesen des Islam. Es gibt keine spezifische muslimische Kultur, ebenso wenig wie es eine christliche Kultur gibt. Die Christen Südamerikas oder Zentralafrikas haben eine andere Kultur als die britischen Christen. In gleicher Weise unterscheiden sich die Muslime Westafrikas kulturell völlig von den Muslimen Zentralasiens.

Es ist natürlich wahr, dass die verschiedenen Einwanderergruppen, welche die große Mehrheit der Muslime stellen (aus dem Subkontinent, Ostafrika, Nordafrika oder der Türkei) jeweils ihre kulturellen Normen aus den Herkunftsländern brachten. Das Gleiche taten die Hugenotten, Juden und alle früheren Bevölkerungen. Es ist ebenso gültig, dass einige dieser Normen unweigerlich eine Zeit lang in der neuen Umgebung bestehen werden. Es stimmt genauso, dass beinahe alle dieser kulturellen Unterschiede mit der Zeit verschwinden und – im Falle des Islam – sich eine erkennbare britisch-muslimische Kultur entwickeln wird. Das geschieht tatsächlich erstaunlich schnelle. Heute gibt es viele Muslime der dritten und vierten Generation in allen diesen Communitys, die sich kulturell nicht von ihren Mitbürgern unterscheiden.

Innerhalb einer Spanne, die meines Erachtens viele überraschen dürfte, wird sich der Islam an Großbritannien anpassen, wie er es in so vielen anderen Teilen der Welt getan hat. Er wird britisch-kulturelle Merkmale entwickeln, die ihn von Gemeinschaften an weiteren Orten abheben. Er ist in der Tat ein kultureller Filter. Er lässt alle Aspekte der Kulturen, in denen er sich etabliert, durch; mit Ausnahme derer, die ausdrücklich gegen seine grundlegenden Regeln verstoßen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Adaption von Burns’ Gedicht „Auld Lang Syne“ als Lied zu Ehren der Geburt des Propheten Muhammad, das mit seiner ursprünglichen Melodie von verschiedenen Gruppen in Großbritannien gesungen wird. Das bedeutet jedoch, dass das muslimische Leben nicht in Kneipen stattfindet. Aber das war der Alltag der Quäker oder Methodisten auch nicht, und hinderte sie nicht daran, kulturell durch und durch britisch zu sein!

Ein anderer Einspruch gegen die islamische Präsenz im Land wird auf Grund der Werte von Muslimen gemacht. Diese seien irgendwie nicht mit den britischen kompatibel. Als David Cameron gefragt wurde, wie er solche Werte definiere, sagte er, das seien Freiheit, Toleranz, Respekt für den Rechtsstaat, Glaube an persönliche und soziale Verantwortung sowie Respekt für die Institutionen des Landes. Bezüglich der ersten vier wäre es schwierig, eine klarere Definition von islamischen Kernwerten zu finden. Und hinsichtlich des fünften besagen Umfragen, dass britische Muslime einen größeren Respekt für diese Institutionen haben als viele Nichtmuslime.

In seinem wegweisenden Buch über die Muslime in Großbritannien „Al-Britannia“ schreibt der anerkannte Autor und Journalist James Ferguson: „Ich verbrachte hunderte Stunden im Gespräch mit Muslimen in Geschäften, Moscheen, Schulen, Gemeinschaftszentren, auf der Straße und bei ihnen daheim (…). Die von mir befragten Muslime bestanden wiederholt und ungefragt, dass Großbritannien nicht nur ein großartiges Land zum Leben sei, sondern auch, dass sie sich als britisch fühlten und stolz darauf seien. Umfragen haben das durchgehend bestätigt. Eine Erhebung für die Denkfabrik Demos (2011) stellte fest, dass 83 Prozent der Muslime ‘stolze britische Bürger’ seien, was tatsächlich um 4 Prozent über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt (…).“

Wenn Werte und Einstellungen von Muslimen – welche Medien als inkompatibel mit dem britischen Leben beschreien – nüchtern und ohne die häufigen öffentlichen Vorurteile untersucht werden, erweisen sie sich als überhaupt nicht fremdartig. Sie sind in beinahe allen Fällen genau die gleichen, wie sie meine eigenen, sehr englischen Großeltern an den Tag legten. Das Schlimmste, was sich sagen lässt, ist, dass sie ein bisschen altmodisch sind. Die blühende Gegenwart des Islam in Großbritannien sollte von allen anerkannt und begrüßt werden. Denn sie ist genau dieses: die Öffnung eines neuen, nützlichen und spannenden Kapitels der fortschreitenden religiösen und spirituellen Geschichte der Britischen Inseln.

Was jedoch nicht geschehen darf (und trotzdem momentan ein fester Bestandteil der Regierungspolitik gegenüber Islam und der muslimischen Gemeinschaft zu sein scheint), ist der Versuch, den Muslimen vorzugeben, wie ihre Religion zu sein hat. Es gibt eine Agenda zur Reform des Islam – vorangetrieben vonseiten der Regierung und unterstützt von einigen, wenigen muslimischen Stimmen, die keinerlei Unterstützung unter der übergroßen Mehrheit der Gemeinschaft finden. Ihr Vorhaben würde von Muslimen verlangen, einige recht fundamentale Aspekte von Praxis und Verhalten zu verändern.

Wie ich sagte, stellen traditionelle, orthodoxe islamische Praktiken und Meinungen im Kontext ihrer heutigen Etablierung in Großbritannien keinerlei Bedrohung für das Gefüge der britischen Gesellschaft dar. Es ist wahr, dass einige dieser Meinungen sehr konservativ sind und nicht den heutigen Sitten entsprechen. Aber es ist ebenso wahr, dass nicht nur sie solche Ansichten vertreten. Sollte der gepriesene Grundsatz der Rede- und Meinungsfreiheit nicht auch für sie gelten, sofern sie sich an die Gesetze des Landes halten?

Bildung ist ein Bereich, in dem eine stärkere Integration der muslimischen Gemeinschaft gefördert und verstärkt werden kann; aber vielleicht nicht so, wie es einige liberale Pädagogen vorschlagen. Von ihnen wird oft behauptet, dass ein getrennter Religionsunterricht spaltend wirkt und den Zusammenhalt verhindert, aber in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall.

Hat eine Person eine solide Grundlage in ihrer eigenen religiösen Tradition, stärkt dies ihr Identitätsgefühl und gibt ihr eine solide Basis für ihre soziale Interaktion mit der breiteren Gemeinschaft. Das entfremdet sie nicht, sondern macht es ihnen sogar leichter, positive Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Identitätsprobleme und Unsicherheit, die bekanntermaßen zu antisozialen, kriminellen und in extremen Fällen zu terroristischen Aktivitäten führen, treten bei Muslimen eher bei jungen Menschen auf, die keine feste Grundlage in ihrer eigenen religiösen Tradition haben. Sie sind sich nicht sicher, wie sie in die Gesellschaft hineinpassen, in der sie leben. Dies geschieht nicht bei jungen muslimischen Männern und Frauen, die gut ausgebildet und in ihrer eigenen religiösen Identität sicher sind.

Keiner der in Großbritannien wegen Terrorismus verurteilten Muslime war ein richtig ausgebildeter Muslim. Damit meine ich, dass niemand von ihnen eine gründliche Ausbildung in den Grundkenntnissen genossen hat. Dasselbe gilt für die Anführer, denen sie folgen. Usama bin Laden zum Beispiel war Ingenieur und Az-Zawarihi Arzt. Dem Madrassa-System, in dem islamische Studien gelehrt werden, wurde viel vorgeworfen und es wurde beschuldigt, den Terrorismus zu unterstützen. Doch kein Absolvent einer britischen Dar Al-’Uloom (indopakistanische Form der Madrassa), in der traditionelle Studien betrieben werden, wurde bisher wegen terroristischer Aktivitäten angeklagt.

Daher sollten ordnungsgemäß eingerichtete islamische Schulen gefördert und nicht entmutigt werden; vorausgesetzt natürlich, dass sie eine gründlich abgerundete Bildung anbieten, die ihre Schüler mit dem historischen Hintergrund des Landes, das ihre Heimat ist, vertraut macht. Und ihnen alle Werkzeuge an die Hand gibt, die sie für ihr künftiges Leben als britische Bürger benötigen. Es ist klar, dass nur eine kleine Minderheit der muslimischen Kinder in Großbritannien in jedem Fall in der Lage sein wird, solche Schulen zu besuchen. Daher ist es entscheidend, dass auch den Bedürfnissen der großen Mehrheit, die das staatliche Schulsystem besucht, angemessen Rechnung getragen wird.

Ein weiterer Aspekt ist, dass Moscheen nicht mehr nur Gebetsstätten sind, sondern zu ethnischen, kulturellen, konfessionellen oder sprachlichen Enklaven werden, in denen sich auch Muslime, die nicht der betreffenden Gruppe angehören, fehl am Platz fühlen. Das Gleiche gilt für ganze Stadtteile in einigen unserer Städte und Gemeinden. Dies spiegelt sich in gewisser Weise architektonisch wider.

Es gibt keine feste Form, die eine Moschee haben muss. Überall auf der Welt spiegeln sie die bauliche Sprache der Orte wider, an denen sie errichtet werden. Zu viele, die in Großbritannien zu diesem Zweck gebaut werden, wirken jedoch fehl am Platz und sind selbstbewusste Nachahmungen ästhetischer Konventionen anderer Länder. Das wird durch jene Moscheen deutlich, von denen es inzwischen eine wachsende Zahl gibt, die im Einklang mit den einheimischen britischen Architekturtraditionen entworfen wurden und sich in die sie umgebende Stadtlandschaft einfügen.

Das Gleiche gilt für Sprache. Es liegt auf der Hand, dass Menschen, die aus einem anderen Land kommen, nach ihrer Ankunft für eine gewisse Zeit die Sprache ihres Herkunftslandes benutzen. Wenn dieser Unterschied jedoch als Mittel zur Betonung der ethnischen oder kulturellen Identität genutzt wird, um sich von ihren Mitmenschen abzugrenzen, dann wird er definitiv zu einem negativen Faktor, wenn es um eine stärkere Integration geht.

Eine Sache, die diesen Faktor im Hintergrund beeinflusst, ist die anhaltende Tendenz mancher, Ehepartner aus ihren Herkunftsländern mitzubringen. Dies verschärft nicht nur das erwähnte Sprachproblem, sondern verlängert auch die Verbindung der betreffenden Familie mit ihrem Herkunftsland. Denn selbst wenn der Ehemann oder die Ehefrau Brite der zweiten oder dritten Generation ist, behält die Familie so weiterhin eine Verbindung der ersten Generation zu dem, was dann zwangsläufig immer noch als ihr Heimatland angesehen wird.

Auszug (mit Erlaubnis des Verlags) aus: Abdalhaqq Bewley, Islam in Britain, Diwan Press Ltd., Bradfort 2017, broschiert, 44 Seiten, ISBN: 978-1-908892-59-1