
Das Internet ist ein Ort der Extreme. Die Risiken eines globalen, polarisierten Kommunikationssystems auf Grundlage von Gegensätzlichkeiten wurde lange vorhergesagt. Das ist zunehmend mit verstörenden antiweiblichen Phänomenen in Form der „Red Pill“- oder Incel-Bewegungen verbunden. Ähnlich wie ihr politisches Gegenteil der „Woken“ beschreibt der Begriff „Red Pill/Rote Pille“ (eine kulturelle Referenz des Films „The Matrix“) eine Form des sozialen und politischen Erwachens. Von Mariya bint Rehan
(Amaliah.com). Diese Bewegungen haben eine Realität konstruiert, in der sie nun voll aufgegangen sind, nach der weibliche Privilegien überwältigend Männer in nachteiligen sozialen Positionen fesselt. Nach Ansicht der Incel-Gemeinschaften (ein Begriff, der sich als „unfreiwillig zölibatär“ übersetzen lässt) bezieht sich der Begriff auf romantisch frustrierte Männer, die unfähig sind, Frauen anzuziehen. Er folgt der umgekehrten Wahrheit, wonach weibliche Interessen soziale und politische Systeme diktieren würden. Dies lasse Männer marginalisiert und diskriminiert zurück.
Diese Cyberkultur-Enklaven fungieren als ideologische Safe Spaces für gekränkte Männer, die meinen, sie würden durch die Macht weiblicher Ansprüche niedergehalten. Beunruhigenderweise drangen sie in die reale Welt in Gestalt zunehmend frauenfeindlicher Haltungen vor. Radikalisiert folgen darauf Missbräuche von Frauen und – im schlimmsten Fall – Massenerschießungen und andere Hassverbrechen.
In Wirklichkeit sind die Bewegungen von Incels und „Red Pill“ Folge sozialer Ängste, die rund um die Rolle männlicher Identität in diesen ökonomisch unbeständigen Zeiten bestehen. Da die Kernfamilie und die sie definierenden traditionellen Geschlechter- und Wirtschaftsrollen durch gesellschaftliche, politische, kulturelle und globale Veränderungen in ihren Grundfesten bedroht sind, wird die Geschlechterorthodoxie entstellt, die die kapitalistischen Gesellschaften kennzeichnet.
Debatten, wie sie unsere Männer und Frauen beschäftigen, basieren auf Annahmen der eigenen Religion, die reaktiv und falsch sind. Gleicherweise wie die Antworten auf das Unbehagen unter muslimischen Männern nicht in säkularen oder nichtmuslimischen Lösungen zu finden sind, sollte der Ausdruck dieser sozialen Angst eindeutig nicht Kulturen wie „Red Pill“ widerspiegeln. So wie konventionelle Geschlechterrollen nicht per se bei muslimischen und westlichen Kulturen übereinstimmen, könnten muslimische Männer auf eine Geschichte der Geschlechternormen zurückblicken, die nicht zur islamischen Kultur gehört. Sie sollten die „Red Pill“ nicht als Kampfruf einer globalen Solidarität unter Männern verstehen. Ihre Ziele und Motive sind nicht dieselben. Islamische Männlichkeit kommt aus einem Ort der Sicherheit und des furchtsamen Gottesbewusstseins (arab. taqwa), nicht Unsicherheit und Panik.
Ebenso erweist die reduzierende Behauptung, Islam sei eine „feministische Religion“, diesem selbst einen Bärendienst. Seine Lebensweise, die von unserem Schöpfer festgelegt wurde, wird immer transzendent und substantiell mehr sein als jedes menschlich definierte Phänomen. Er begründete die gottgegebenen Rechte der Frauen als gleichberechtigte Gläubige und existiert als universelle Wahrheit, die jede irdische soziale Bewegung und ihre Ansprüche auf Gleichheit übersteigt. Die Notwendigkeit, dass Frauen Feminismus als Mittel zur Gleichbehandlung für sich beanspruchen, zeugt von seiner begrifflichen Verkleinerung im westlichen Denken und von ihrer schlechten Behandlung in ihren Gesellschaften.
Wenn muslimische Feministinnen ständig als das absolut Böse beschrieben werden und wenn Feminismus selbst mit weiblicher Gottlosigkeit gleichgesetzt wird, dann müssen wir als eine Community darüber sprechen, warum über Incel-Kultur als unausweichliche Antwort auf Feminismus gesprochen wird. Nicht als Männer, die zu unislamischen Phänomenen neigen. Wir müssen nachdenken, wieso ein vollkommen männliches Phänomen Frauen zugeschrieben wird. Darüber, warum Musliminnen, die an säkularen Modellen der Gleichheit festhalten, nicht ebenso als Opfer gesehen werden. Dabei gibt es einen beschämend großen Berg an statistischer Evidenz, die nachweist, dass beunruhigend viele Frauen auf der Empfängerseite von körperlichem, emotionalem und spirituellen Missbrauch in unseren Gemeinschaften stehen.
Wird diese Art Überlegungen zu ihrem logischen Schluss geführt, impliziert dies, dass Männer moralisch unfehlbar und Frauen verdorben seien. Diese Schlussfolgerungen bestärken die hässlichsten Pfeiler des „Red Pill“-Denkens und schaffen ein ideales Umfeld für den Fortbestand von Missbrauch. Es ist beleidigend, da Frauen die überwältigende Mehrheit der Opfer von „Red Pill“- und Incel-Kultur sind, nicht Männer. Es ist im Wesentlichen eine ideologische Opferbeschuldigung. Sie verlagert die Verantwortung auf Frauen und fördert die weitere Selbstviktimisierung von Männern, die eine zunehmend verzerrte Wahrnehmung der Realität entwickeln.
Unglücklicherweise entspricht das einer ideologischen Wanderung, die zu einer Wegbewegung von der Sunna führt. Während sich Debatten ständig auf extremere Positionen verschieben, riskieren wir die Entfremdung von mehr Frauen, die einer ständigen kritischen Inaugenscheinnahme unterzogen werden. Muslimische Männer müssen begreifen, dass Frauenfeindlichkeit, ein ideologischer Bettnachbar von Islamfeindlichkeit, eine Eigenschaft der Urahnen antimuslimischer Einstellungen war: der Quraisch. Die Erben unseres Glaubens sollten sie zurückweisen.
Die zahllosen Beispiele der Liebe, Barmherzigkeit, Güte, des Mitgefühls und der Zärtlichkeit des Propheten gegenüber den Frauen in seinem Leben und in der Gesellschaft sollten die Grundlage sein, auf der wir angesichts des allgemeinen Klimas das Gespräch über die Beziehungen der Geschlechter beginnen. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung zur Entkopplung der Frauenfeindlichkeit vom Islam, die im Geist mancher Männer eine Einheit bilden. Um zu verstehen, dass Islam nicht unsere Reaktion auf moderne oder vormoderne Zeitalter ist, sondern ein zeitloser Din, der davon unabhängig ist; und der Männer und Frauen als Zwillingshälften im Glauben begreift. Männer müssen unsere Geschichte kennen, um voll anzuerkennen, dass Frauenfeindlichkeit keine muslimische Eigenschaft ist – und niemals war.
Die Idee, dass muslimische Frauenrechte auf islamischen Säulen ruhen und nicht auf Lügen, die über unsere Religion erzählt werden, muss unter Millennial- und den Z-Muslimen wieder etabliert werden. Und zwar auf eine erhebende und nicht-herablassende Weise. Wir sind keine Lollipops und müssen die fabelhaften Narrative von Weiblichkeit abstoßen, die uns gegenüber Männern in den Augen unseres Schöpfers herabwürdigen.
Und während man sich über den Ton streiten kann, den Frauen anschlagen, wenn wir unter dem Stiefel einer zügellosen, frauenfeindlichen Islamophobie zermalmt werden, hoffe ich, dass Männer innehalten und über unsere eigentliche Berufung nachdenken. Nur wenn Männer sich mit einem Gefühl für die prophetischen Qualitäten der Demut an den Tisch setzen, sind wir in der Lage, ein sinnvolles Gespräch zu führen und finden den notwendigen Ausweg aus der Sackgasse, in der wir uns befinden.