IZ-Blogger: Wie viele junge Muslime Weihnachten verbringen. Von Malika Fachrou

(IZ). Ihr habt euch schon immer gefragt, während es für Christen (und die Part-Time-Weihnachtschristen unter euch) Bescherung und Hüftgold an Heiligabend gibt, was machen Muslime bloß? Ins Exil für drei Tage, bis die Bescherung um ist? Naja, nicht ganz… aber komplett falsch liegt ihr da nicht. Hier ein kleiner Blick hinter die Tore der muslimischen Weihnachtstradition für euch:

Nicht nur Christen, auch Muslime freuen sich das ganze Jahr über auf Weihnachten. Man schlendert zwar 30 Tage lang durch die in voller Pracht geschmückte Stadt, wird an jeder Ecke mit Weihnachtsdeko und weihnachtlichem Gebäck konfrontiert, die einem nur Zunge heraus streckend zu rufen: „Ätsch, das darfst du nicht erleben.“ Und als wäre dies nicht genug, die Kassierer in den Geschäften, die ihr stumpfsinniges Weihnachtsplädoyer am Ende jedes Satzes herunter beten: „Und schöne Feiertage noch…“. Ein kurzer Blick auf den Kunden, stoppt den durch und durch ehrlichen Wunsch, jedem Kunden, den man am liebsten aufgrund seiner nervigen Weihnachtshysterie auf den Gamott führen möchte, die schönste Weihnachten aller Zeiten zu wünschen. Der Kassierer lächelt entschuldigend, ein wenig aus der Fassung jetzt improvisieren zu müssen und nicht sein Weihnachtsskript herunter beten zu können und sagt dann mit Schweißperlen auf der Stirn: „Äh… ja sie feiern ja offensichtlich nicht… Ihnen schöne Tage…oder so….was immer sie auch da machen… auf jeden Fall natürlich schön.“ Hach, wunderschönes Gefühl einen Monat lang auch an der Kasse tagtäglich erinnert zu werden, am Fest der Liebe alias Verkaufsstärkste-Saison-Des-Jahres nicht teilzunehmen.

Weihnachten sollte man mit der Familie sein…

Der ersehnte Heiligabend ist nun eingetroffen, und auch wir Muslime verbringen Weihnachten ganz traditionell mit der Familie: nämlich zum „Kevin allein zu Hause“-Marathon. Anlässlich zu Weihnachten haben auch Muslime ihre Familienzusammenkunft. Und so sehr unterscheidet es sich nicht vom christlichen Heiligabend. Verwandte von nah und fern trifft man wieder – und wird daran erinnert, warum manche Verwandte zur Kategorie „fern“ zählen. Da der Familienstammbaum den gewundenen Zweigen eines Tannenbaums ähnelt und man heil froh ist, wenigstens sechs der neun Onkel mütterlicherseits zumindest mit Vornamen zu kennen, fühlt man sich auch schnell daheim, wie auf einer riesigen „Christmas Event“-Party mit zig ungeladenen Gästen und unbekannten Gesichtern. Es gibt auch alljährlich einen Special Guest: irgendein verschollener Cousin sechsten Grades, der für mehrere Jahre zum Studium ins Ausland abgetaucht ist, taucht dann gelegentlich auf. In freundlicher Runde sitzt man dann, erzählt sich statt Weihnachtsgeschichten harmonische Familienanekdoten, die von ihrem Wahrheitsgehalt mindestens fast so realistisch sind wie die Geschichte des Nussknackers. Geschenke gibt es zwar nicht vom Weihnachtsmann, aber auch hierfür haben wir einen ebenbürtigen Ersatz: Ein fettleibiger Onkel mit gezwirbelten schwarzen Bart verschleppt dich in eine Ecke, der klägliche Versuch ihn davon zu überzeugen, keine 9 Jahre alt mehr zu sein, mündet darin, ihm stolz zu bejahen, die Empfehlung für’s Gymnasium erhalten zu haben. Um sich aus der „Umarmung“ zu lösen, ist man gewillt, einiges zu tun – nun ja, der Grad zwischen Umarmung und Würgegriff ist schmal, sehr schmal, aber das versteht ihr erst, wenn ihr Heiligabend mal bei einer muslimischen Familie zugebracht habt.

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1 Fussel, 2 Fussel, 3 Fussel…

Heiligabend hat sich dem Ende geneigt und nun geht es zwei weitere Feiertage zu überstehen – äh feiern meinte ich natürlich. Zelebriert wird der erste Weihnachtstag mit einer Ode an das unterhaltsame Weihnachtsfernsehen. Nachdem man alle Sender 60 mal durchgezappt hat und nicht länger als zwei Sekunden auf einem Kanal verweilt ist, bin ich nach drei Stunden felsenfest überzeugt, mit gutem Gewissen mich in mein Zimmer begeben zu können und Fussel zu zählen. Natürlich habe auch ich für Weihnachtsdeko gesorgt. Um mich in Weihnachtsstimmung zu bringen, wurde mein Zimmer über die Feiertage zur Höhle umfunktioniert: Rolladen herunter und Lichtverbot. Um Weihnachten auch gebührlich zu zelebrieren, fange ich an Fussel zu zählen.

To be continued…

„Lebst du noch?“- „Ich atme doch!“ – „Äh, du hast dich seit zwei Tagen nicht bewegt…“

Fussel 636.890 ist mein Zwischenstopp. Mein Zeitgefühl hat sich nun auf hell und dunkel reduziert, seit gestern liege ich im Energiesparmodus auf meinem Bett. Am zweiten Weihnachtstag hat man gelegentlich einen Kater von der feucht fröhlichen Weihnachtsfeier, doch auch hier stehen Muslime euch um nichts nach. Unter Zuckerschock der reduzierten Weihnachtsschokolade, liege ich nun beschwipst und überzuckert auf meinem Bett und starre ausdruckslos auf die Decke. Da ich nun 24 Stunden bewegungsunfähig auf meinem Bett liege (obwohl „liegen“ ja ein Verb ist, das eine Bewegungsfunktion beschreibt; also sollte ich lieber „existieren“ sagen), frage ich mich, ob ich es geschafft habe, meinem Körper meinen persönlichen Tod vorgespielt zu haben und ob ich mich, meinen Scheintod simulierend, anfange einfach aufzulösen…

The day after tomorrow…

Ich sehe nur noch grelles Licht: ist es das Licht am Ende des Tunnels? Habe ich meinem Körper seinen eigenen Tod vorgespielt? „Beweg dich endlich.“ Diese schrille Stimme kann nur Vorbote von Luzifer sein – „Ich weiß, ich war nicht die Bravste, und die Hausarbeit hab‘ ich nur mit Hilfe bestanden, aber bitte, das ist doch kein Grund in die Hölle zu kommen..“ – „Es ist Samstag und das Frühstück gleich kalt, komm runter, sofern du nicht mittlerweile Ganz-Körper-Gelähmt bist.“ Frühstück? Samstag? Erleichtert öffne ich die Augen: Ich lebe und die Maden haben meinen Körper nicht von innen aufgegessen – ein gelungenes Weihnachtsfest.

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