Maximale Verunsicherung – Selbstmordattentate haben eine lange Geschichte

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Bonn (KNA). Sie sind vergleichsweise einfach durchzuführen, kaum zu verhindern und verursachen maximale Verunsicherung. Selbstmordattentate offenbaren die Hilflosigkeit jeder Regierung. Die Gewalt ist nicht mehr begrenzt. Ob auf dem Flughafen, in der Kirche oder auf dem Markt: Jeder ist – gefühlt – ein potenzielles Opfer.

Vor allem seit Beginn der 1990er Jahre registrieren Wissenschaftler und Sicherheitsbehörden eine exponentielle Zunahme. Für 2016 ermittelte das israelische Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv weltweit 800 Täter, die 469 Bombenanschläge in 28 Ländern begingen. 2017 fiel die Zahl dann – wegen der Schwächung des „Islamischen Staates“ – auf 348 Fälle mit 623 Tätern – die niedrigste Zahl von Selbstmordattentaten seit 2013. 137 der Täter waren Frauen und Mädchen.

Waren früher vor allem militärische und politische Einrichtungen und Repräsentanten im Visier, so zielt die Logik der Terroristen immer häufiger auf Zivilisten. Bei den Terroranschlägen auf Sri Lanka, die nach Mitteiltung der Sicherheitsbehörden vom Montag ebenfalls von Selbstmordattentätern verübt wurden, traf es Christen, die die Gottesdienste am höchsten christlichen Feiertag besuchten, und Hotels, die ein beliebtes Ziel auch westlicher Touristen sind – es ging also offenbar um Symbolik und möglichst große Wirkung in der westlichen Welt.

„Selbstmordattentate bringen dem Feind das größtmögliche Grauen bei relativ geringen Verlusten für die islamische Bewegung“, schrieb Ayman al-Zawahiri, der Führer von al-Qaida, in seinem 2001 erschienenen Buch „Knights under the Prophet”s Banner“. Der Islamwissenschaftler Navid Kermani spricht von einem eiskalten Kalkül: Es sei „propagandistische Logik“ der Täter, „dass sie mit ihren Bildern eine immer höhere Stufe des Horrors zünden, um in unser Bewusstsein zu dringen“. Aus Paris, Brüssel, Nizza, Manchester und jetzt auch aus Colombo lieferten Handy-Kameras Szenen der Gewalt und der Panik.

Dabei sind die Selbstmord-Attentate kein Wesensmerkmal der Neuzeit oder alleinig einer Religion. Die Bibel kennt den Hünen Samson als jüdischen Untergrundkämpfer gegen die Philister. Von ihnen gefangen genommen, brachte er im Namen Gottes einen Tempel der Feinde zum Einsturz. Laut Bibel starben 3.000 Männer und Frauen.

Auch die Frühgeschichte des Islam kennt sie: Die Assassinen, eine schiitische Sekte, aktiv etwa von 1090 bis 1260, führten einen Untergrundkrieg gegen christliche Kreuzritter und korrupte muslimische Herrscher. „Schläfer“ nisteten sich beim Gegner ein, töteten in der Höhle des Löwen. Überleben galt als Schande.

In seinem 2003 erschienenen Buch „Der Märtyrer als Waffe“ sieht der in Israel geborene Journalist Joseph Croitoru eine Wurzel des Selbstmordattentats auch beim Shintoismus und der Kriegerethik der Samurai seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Wer für Japan freiwillig sein Leben ließ, zog in das Pantheon der Shinto-Gottheiten ein. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs opferten rund 3.000 Kamikaze-Kampfflieger ihr Leben, um feindliche Kriegsschiffe zu zerstören. Sie wurden als in Schönheit fallende „Kirschblüten“ verklärt.

Nach 1945 sprang die Idee des Selbstmordattentats dann in den Nahen Osten über: Es seien bezeichnenderweise Terroristen der linksradikalen Japanischen Roten Armee gewesen, die im Mai 1972 mit Handgranaten auf dem Flughafen Tel Aviv ein erstes Selbstmordattentat angerichtet hätten, so Croitoru. Dieses Vorgehen sei im arabischen Kulturraum dann zu einer systematischen Waffe fortentwickelt worden – und das, obwohl der Koran Selbsttötung strikt untersagt.

Was ist die Motivation der Attentäter? Der israelische Psychologe Ariel Merari schreibt in seinem Buch „Driven to Death“, etwa die Hälfte der von ihm befragten gescheiterten Attentäter habe sich freiwillig gemeldet. „Die anderen wurden rekrutiert und dann manipuliert.“ Es handele sich meist nicht um Psychopathen oder religiöse Fanatiker. Gruppendruck und geringes Selbstbewusstsein spielten eine wichtige Rolle. Andererseits schreibt Croitoru, viele islamistische Selbstmordattentäter fühlten sich als Elite und folgten einem vermeintlich höheren Ziel.