Menschenrechtler und Extremismusexperten warnen vor Missverständnissen bzw. Fehlurteilen nach dem Terror von Solingen. Und lehnen Deals mit Asad und den Taliban ab.
(KNA, dpa, iz). Eine Radikalisierung lässt sich laut einem Extremismus-Experten des Bundesamts für Migration (Bamf) nicht alleine an der sozialen oder kulturellen Herkunft von Menschen festmachen. „Es ist ein klassisches gesamtgesellschaftliches Phänomen“, sagte der Leiter der Beratungsstelle Extremismus im Bamf, Florian Endres, der Deutschen Presse-Agentur.
Aus der Forschung und der Erfahrung der Beratungsstelle wisse man, dass es bei radikalisierten Menschen immer sogenannte Fenster gebe – „die aufgehen aufgrund von persönlichen Umständen, von Lebenskrisen, Sinnkrisen, beruflichen Problemen, familiären Problemen, die diese Personen nicht alleine meistern können“. Dieses Phänomen trete sowohl in muslimischen als auch in nicht-muslimischen Familien auf.
Foto: Voyagerix, Adobe Stock
Solingen: Suche nach den Ursachen
Lebenskrisen hätten zwar die allermeisten Menschen irgendwann mal, aber nicht alle seien in solchen Zeiten in der Lage sich vor extremistischem Gedankengut zu schützen. „Sie sind also ansprechbar für Strukturen, die ihnen eine vermeintlich relativ leichte Erklärung für diese Lage geben und natürlich auch einen Ausweg aufzeigen.“
Als zusätzlicher Faktor spielen laut Endres auch psychische Auffälligkeiten in den vergangenen Jahren eine zunehmende Rolle bei der Radikalisierung. „Bei Geflüchteten kann es beispielweise zu Traumata kommen, die auf der Flucht entstanden sind“, sagte der Experte. Es gebe aber auch Fälle von Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und bei denen etwa eine Psychose oder Depression im Zusammenhang mit der Radikalisierung stünde.
Die Beratungsstelle Extremismus im Bamf besteht seit 2012 und bietet für solche Fälle eine Hotline an. Hier können Menschen anrufen, wenn sie bei einer Person in ihrem Umfeld eine Radikalisierung befürchten. In manchen Fällen versuchen die Berater selbst einzuschreiten.
Foto: John Smith, Shutterstock
Menschenrechtler warnen vor Deals
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ruft die Bundesregierung angesichts der Debatte um Ausweisungen nach Syrien und Afghanistan auf, keine diplomatischen Zugeständnisse an den syrischen Machthaber Baschar al-Assad, die Taliban oder den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu machen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im ZDF-Interview angekündigt, Abschiebungen von schweren Straftätern nach Syrien und Afghanistan ermöglichen zu wollen.
Pro Asyl: Völkerrecht verbietet Abschiebungen nach Syrien
Nach dem mutmaßlich Messerangriff von Solingen wandte sich Pro Asyl gegen Forderungen aus der Ampel-Koalition und der CDU/CSU, Flüchtlinge nach Afghanistan oder Syrien abzuschieben. Das Völkerrecht verbiete eindeutig jegliche Abschiebungen in Länder, wo Folter und unmenschliche Strafen drohen, erklärte Pro Asyl am 26. August in Frankfurt. „Das Folterverbot gilt absolut und für jeden.“
Zudem nannte Pro Asyl den Vorschlag von CDU-Chef Friedrich Merz verfassungswidrig und mit dem EU-Recht unvereinbar, keine Flüchtling mehr aus Afghanistan und Syrien aufzunehmen. „Wer vor Terror, Gewalt und Verfolgung flieht, braucht Schutz.“ Die Merz-Forderung verstoße gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, sei zutiefst unmenschlich und spalte die Gesellschaft.