Die digitale Revolution bedeutet nicht nur massive Veränderungen, sondern eröffnet auch neue Alternativen für die Ökonomie

Ausgabe 229

(iz). Die digitale Revolution ist kein Trend mehr, sondern eine fundamentale Umwälzung“, wird der Fidor-Chef Matthias Kröner in einem Bericht der „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ zitiert. Auf seiner Plattform besprechen bereits tausende Konsumenten ihre neuen Anlagestrategien. Nach der Manipulation von Gold- und Silberpreisen durch Großbanken gibt es immer weniger rationale Alternativen, fürchten viele Anleger die Gefahren der aktuellen Blasenwirtschaft. Der Trend: Immer mehr Menschen meiden das offizielle Belohnungssystem der Banken und schaffen über Webseiten ihre eigenen Bezahlsysteme, leihen sich gegenseitig Geld nach sozialen Kriterien oder finanzieren mit Crowdfunding ihre alternativen Unternehmungen.

Die großen Internetfirmen wie Google oder Facebook verfügen dabei nicht nur über Budgets, die mittleren Staaten gleichen, sie handeln auch mit ihren gigantischen Datenmengen, dem Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Es ist kein Zufall, dass diese Unternehmungen auch längst über die Symbolkraft von gesteigerten Machtoptionen verfügen, indem sie beispielsweise selbst zu Banken werden, revolutionäre Energien verbreiten oder, ohne Widerstand zu ernten, ihre Nutzer mit dem Charme moderner Geheimdienste überwachen.

Aber auch die Macht der kleinen Start-Ups und Netzwerke nimmt zu und wie bei jeder echten Revolution lässt sich das zu erwartende Ergebnis der entfesselten Operationen nicht eindeutig bestimmen. So schaffen tausende kleine Thinktanks eine Art neuzeitliches Piratentum, das auch gewohnte Besitzstände gefährden und intellektuell unterwandern könnte. Das neue Potential dieser Graswurzelbewegung ist dabei groß und unberechenbar.

Eine wichtige Dimension der technischen Revolution dieser Zeit ist eine Wendung hin zum Dezentralismus. So verfügen wir bald selbst über eine Generation von Druckern, mit denen wir uns bald alle möglichen Bauteile ausdrucken können. Der Begriff „Industrie“ muss dann angesichts von Millionen kleiner Fabrikationswerkstätten vermutlich neu definiert werden. Wie immer bei der Analyse des Phänomen der Technik halten sich faszinierende und gefährliche Perspektiven die Waage.

In der Islamischen Zeitung haben wir neulich mit der Vision „Community 2.0“ die innovativen Möglichkeiten der neuen Medien für unsere muslimischen Gemeinschaften vorgestellt. Marktplätze zum Beispiel, die über Jahrhunderte fester Bestandteil islamischer Zivilisation und Lebenswirklichkeit waren, können heute „virtuell“ gegründet werden. Längst gehört die Nutzung sozialer Medien zur Realität eines neuen Gemeinschaftsgefühls. Die alten Organisationsformen von oben nach unten werden dabei zugunsten einer lokalen Vielfalt abgelöst.

Ein besondere Chance für das islamische Wirtschaften sind nun die Möglichkeiten des E-Qirad. Der Qirad-Vertrag, eine überaus wichtige Form des islamischen Vertragswesens, der einen potenten Investor und einen fähigen Unternehmer – unter der zwingenden Bedingung der fairen Risikobeteiligung – zusammenführt, könnte dem islamischen Handeln eine zeitgemäße und internettaugliche Dimension verleihen. Im Netz können diese Strukturen virtueller Geschäftsbeziehungen beinahe ideal und global aufgebaut werden. Lokale Treuhänder könnten dabei mit einer Art „Rating Agentur“ den Leumund der teilnehmenden Personen bestätigen.

Am Horizont erscheint so wieder die Gestalt einer islamischen Ökonomie, die mit der Zeit geht und gleichzeitig das Regime des Banking und die verzweifelte Idee der „Islamisierung“ dieser Institution zu überwinden hilft. Der Qirad-Vertrag ist zudem die Antwort auf die Kritik, dass eine Ökonomie ohne die „Verleihung von Geld mit Zins“ nicht funktionieren könnte. Auch im Islam arbeitet das Kapital, aber eben nicht ohne die Ausschaltung jeden Risikos für einen Vertragspartner. In der Form des E-Qirad wird zudem deutlich, dass die Muslime nicht den Fortschritt per se ablehnen und sie hier und jetzt über kreatives, alternatives Potential verfügen.