Nahöstliche Wiederkehr des Ewiggleichen: Ein Jahr nach Kriegsbeginn liegt Gaza noch immer in Trümmern

51 Kampftage und mehr als 2.100 Tote – der Gazakrieg im vergangenen Jahr hatte verheerende Folgen. Noch immer sind die Menschen in Gaza von Normalität weit entfernt – es droht eine Verschlechterung der humanitären Lage.

Jerusalem (KNA). „Der Wiederaufbau Gazas ist im Interesse Israels.“ Kein geringerer als Israels Präsident Reuven Rivlin sprach diese Worte, und er sprach sie in einem denkwürdigen Rahmen am Montag bei einer Gedenkfeier für die in Gaza gefallenen Soldaten. Eine Bedingung nannte Rivlin auch: Der Terror aus Gaza müsse aufhören. Doch auch wenn die Ruhe seit dem Ende der Operation „Protective Edge“ derzeit nur sporadisch gebrochen wird – ein Jahr nach Kriegsbeginn am 8. Juli 2014 ist Gaza von Normalität weit entfernt. Streitigkeiten zwischen Hamas und Fatah sowie immer häufigere islamistische Aktivitäten verstärken den Eindruck einer sehr empfindlichen Ruhe.

Die Zahlen zeichnen ein düsteres Bild. An 51 Kampftagen starben sechs israelische Zivilisten, 67 Soldaten und mehr als 2.100 Palästinenser, viele von ihnen laut Vereinten Nationen (UN) Zivilisten. Mehr als 12.000 Wohneinheiten wurden zerstört. Zurück blieben laut UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in Spitzenzeiten 485.000 Binnenvertriebene – mehr als ein Viertel der Gazabewohner. Ein Jahr später sind es noch 100.000. Die finanziellen Folgen gehen in die Milliarden.

Vom Versprechen eines raschen Wiederaufbaus merkt Gaza wenig. Kein Viertel der versprochenen Gebermilliarden ist angekommen, nicht ein Haus wieder aufgebaut. Die Lage könnte sich angesichts des Millionendefizits der UNRWA, dem UN-Flüchtlingshilfswerk für Palästinenser, noch verschärfen. Mit strengen Sparmaßnahmen kann UNRWA seine Leistungen noch bis Jahresende gewährleisten. Wie es dann weitergeht, ist offen.

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Der Ausfall des Hilfswerks wäre für die 1,8 Millionen Menschen in Gaza eine Katastrophe. 80 Prozent von ihnen, so die Schätzungen, sind von internationaler Hilfe abhängig – eine Rate noch höher als die der Arbeitslosen, mit 43 Prozent die höchste weltweit. Die humanitäre Krise im Gazastreifen halte an, sagte der OCHA-Koordinator für die Region, Robert Piper, anlässlich des Jahrestags, und „wie immer zahlen die Zivilisten den höchsten Preis“. 70 Prozent der Kinder in den am stärksten betroffenen Gebieten, schätzt die „Thomas Reuters Foundation“, leiden unter Kriegstraumata.

Die UN und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warfen beiden Parteien Kriegsverbrechen vor, und auch am linken Rand der israelischen Gesellschaft wurde Kritik an der Kriegsführung laut. Das offizielle Israel verweist auf legitime Selbstverteidigung. Anfängliche Lockerungen der Blockade wie die Erteilung von Reiseerlaubnissen wurden mit Verweis auf die sich verschlechternde Sicherheitslage wieder eingeschränkt. Versuche von Aktivisten, die Seeblockade mit Hilfslieferungen zu durchbrechen, scheiterten. „Es gibt keine Blockade des Gazastreifens und ihr seid eingeladen, jegliche Hilfsgüter in den Gazastreifen durch Israel einzuführen“, schrieb ihnen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Doch Israel ist nicht die einzige Baustelle Gazas. Versuche einer Einheitsregierung zwischen Fatah-Bewegung und Hamas scheiterten. Der Ton verschärfte sich zuletzt zusätzlich, als Palästinenserpräsident Mahmud Abbas rund 170 Hamas-Anhänger im Westjordanland festnehmen ließ.

Der südliche Nachbar Ägypten setzt seine Abschottung fort und baut nach der Zerstörung der Schmugglertunnel an einer Pufferzone. Im eigenen Territorium muss Hamas zunehmend Konkurrenz aus dem extremistischen Lager fürchten. Anfang Juli drohte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) mit einer Übernahme des Gazastreifens – eine Gefahr, die US-Militärgeheimdienst-Chef Michael Flynn für nicht unbegründet hält.

Die jetzige Blockadepolitik „bestraft eine große Bevölkerung und macht sie feindlich und radikal“, so die „Aix-Gruppe“, ein seit 2002 bestehendes Team aus israelischen und palästinensischen Wirtschaftsforschern. In ihrer jüngsten Analyse fordern sie den Wiederaufbau der zerstörten Gaza-Wirtschaft – inklusive einer „Sicherheitspassage“ in das Westjordanland, einem Ausbau des Hafens und des internationalen Flughafens.

Einfach den Vorkriegszustand wiederherzustellen, darin sind sich Beobachter einig, sei nicht genug. Gaza müsse raus aus dem Kreislauf der Krise, sonst sei der nächste Krieg absehbar.