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Österreich: „Schlechterstellung im Vergleich“

Foto: C. Karlovits & P. Lechner

(iz). „Das von oben erzeugte rassistische Klima führt dazu, dass MuslimInnen immer häufiger Opfer von Übergriffen werden. Für viele von ihnen ist antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit eine alltägliche Erfahrung geworden“: Das ist eine der Kernaussagen von Valerie Mussa, derzeitige Pressesprecherin der IGGiÖ, der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.
Mit Mussa sprachen wir über die Einschätzung von Muslimen bezüglich der neuen Regierungskoalition zwischen Christdemokraten und Grünen, über die Nachwirkungen der ÖVP-FPÖ-Koalition, das Ausmaß von Muslimfeindlichkeit in unserem Nachbarland sowie Eingriffsmöglichkeiten seitens von MuslimInnen.
Islamische Zeitung: Sehr geehrte Damen und Herren, wie stellt sich die Haltung österreichischen Bundespolitik – nach der ÖVP-FPÖ- beziehungsweise der neuen ÖVP-Grüne-Koalition – gegenüber den Muslimen des Landes dar?
Valerie Mussa: Im Mai 2019 wurde die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache nach dem sogenannten „Ibiza-Skandal“ ihres Amtes enthoben. Nach dem großen Wahlerfolg der Grünen und der Aufnahme der Koalitionsgespräche, hatten sich die MuslimInnen einen Systemwechsel, eine Änderung des gesellschaftlichen Klimas und der Diskussionskultur erhofft und das, obwohl während des Wahlkampfs deutlich wurde, dass die ÖVP auch weiterhin ihre von antimuslimischen Kampagnen geprägte, restriktive Migrations- und Integrationspolitik verfolgen würde.
Wir hatten angenommen, die Regierungsbeteiligung einer linksgerichteten Partei wie den Grünen, die in der Vergangenheit vor allem einen starken Fokus auf Antirassismus gelegt und die diskriminierenden Tendenzen der vormaligen Bundesregierung stets scharf kritisiert hatte, zu einer Versachlichung der Debatte vor allem bezüglich des Islam beitragen würde. Doch das Gegenteil trat ein: Das Schüren von Hass, Neid und Missgunst gegen Menschen alleine aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ist kein politisches Randphänomen mehr, sondern noch weiter in das Zentrum der Politik gerückt.
Islamische Zeitung: In einer Pressemitteilung zeigte sich die Islamische Glaubensgemeinschaft „enttäuscht“ von den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen. Welche Aspekte des Regierungsprogramms sehen Sie besonders kritisch?
Valerie Mussa: Die bisher selbstverständliche und überzeugte Antidiskriminierungspolitik der Grünen findet sich im Regierungsprogramm mit der ÖVP wie gesagt nicht wieder. Zwar wird von der Parteispitze immer wieder beteuert, dass einige Forderungen in den Koalitionsverhandlungen abgemildert werden konnten, nichtsdestotrotz muss man feststellen, dass die politische Agitation gegen Minderheiten dennoch unverhohlen fortgesetzt wird. Anstatt nachhaltiger Maßnahmen, Förderung und konstruktiver Zusammenarbeit sind vor allem die Bereiche Migration, Asyl und Integration von vermehrten Kontrollen, Sanktionen und Strafen gekennzeichnet. Unter dem Schlagwort „Integration“ sind die Mehrheit jener Beschlüsse zusammengefasst, die die muslimische Bevölkerung direkt betreffen. So wird erstmals ein eigenes Integrationsministerium eingerichtet, dessen offizieller Auftrag lautet, die „konsequente Linie im Kampf gegen Parallelgesellschaften und den politischen Islam“ fortzusetzen.
Neben der Ausweitung des bereits im Vorjahr beschlossenen Kopftuchverbotes an Schulen, sollen islamische Bildungseinrichtungen, der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen (inklusive der Bücher und der Unterrichtsmaterialien) und die Arbeit und Ausbildung der ReligionslehrerInnen, sowie Moscheen, islamische Stiftungen und Vereine insgesamt strengeren Kontrollen unterworfen werden. Die dabei immer wieder zu lesende Hervorhebung „insbesondere islamische“ hat einen unangenehmen Beigeschmack und verdeutlicht die feindselige Haltung dem Islam gegenüber, die sich wie ein roter Faden durch das Regierungspapier zieht.
Islamische Zeitung: Hat die Politik und die Gesetzgebung der vorherigen Koalition Kurz-Strache zu einer bleibenden Verschlechterung der Verhältnisse geführt? Wenn ja, wie sieht diese aus?
Valerie Mussa: Hier müssen wir etwas weiter ausholen. Österreich ist traditionell ein religionsfreundliches Land mit einem respektvollen und lebendigen Dialog zwischen Staat und anerkannten Religionsgesellschaften. Die Flüchtlingsbewegung 2015 hat aber nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern auch das Verhältnis zwischen politischen VerantwortungsträgerInnen und der Islamischen Glaubensgemeinschaft belastet. Misstrauen gegenüber MuslimInnen, aber auch der Arbeit der IGGÖ gegenüber wurde immer weiter vorangetrieben.
Vor diesem Hintergrund wurden auch die konstruktiven Verhandlungen vor der dringend notwendig gewordenen Novellierung des Islamgesetzes im Jahr 2015 aufgegeben und schlussendlich ein Gesetz verabschiedet, dass nicht nur eine Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Religionsgesetzen enthält, wie beispielsweise das Verbot der Auslandsfinanzierung, sondern auch die IGGÖ in ein neues Anerkennungsregime versetzt. Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung wurde dieses Muster noch weiter verschärft, neben der allgemein fremdenfeindlichen Haltung u.a. durch eine restriktive Politik der Kontrolle islamischer Bildungseinrichtungen und des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, Kleidungsregulierungen, der Schließung von Moscheen und Ausweisung von Imamen.
Islamische Zeitung: Warum, um ein Beispiel herauszunehmen, hat das Thema „Kopftuch“ (und hier insbesondere das angebliche bei Kindern) einen derartigen Stellenwert in der innerösterreichischen Debatte angenommen?
Valerie Mussa: Die Debatte über das Tragen des Kopftuchs ist eine Stellvertreterdebatte für vermeintliche Kulturkonflikte, die von weitaus relevanteren gesamtgesellschaftlichen und sozialpolitischen Problemen ablenken soll. Das Kopftuch als deutlich sichtbarer religiöser Marker wird dabei für die Konstruktion von Fremden und Eigenem genutzt. Unter dem Deckmantel der Geschlechtergerechtigkeit und des Säkularismus wird über dieses simple Kleidungsstück der Konflikt über die Frage ausgetragen, wer zu dieser Gesellschaft gehört, und wer nicht.
Auf diese Art wird das Signal an die MuslimInnen gesendet, dass sie in Österreich eigentlich nicht willkommen sind. Deutlich wird das ganz aktuell wieder im Rahmen der Debatte um das Kopftuchverbot an Schulen, das Kindern implizit vermittelt, die religiöse Lebensweise Ihrer Eltern sei nicht tolerabel und sie selbst somit auf problematische Weise anders.

Foto: IGGiÖ, Facebook

Islamische Zeitung: In Ihrer Mitteilung hieß es: „Die eklatante Islamfeindlichkeit ist jedoch eine Gefahr für die Demokratie und die Menschenrechte.“ Welches Ausmaß und welche Formen hat diese in Österreich derzeit angenommen? 
Valerie Mussa: Das von oben erzeugte rassistische Klima führt dazu, dass MuslimInnen immer häufiger Opfer von Übergriffen werden. Für viele von ihnen ist antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit eine alltägliche Erfahrung geworden, sei es auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Internet, in den Schulen und bei Behördengängen, am Arbeits- oder Wohnungsmarkt.
Die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus hat im Vorjahr einen deutlichen Anstieg antimuslimische Vorfälle konstatiert. Die Zahl ist um fast 74 Prozent gestiegen. 83 Prozent der Opfer sind Frauen, vor allem jene, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als Musliminnen erkennbar sind. Muslimische Männer, vor allem jene, die als Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind hingegen, wurden öfter Opfer rassistischer Polizeikontrollen. Die Statistik zeigt außerdem, dass antimuslimischer Rassismus auch weiterhin auf dem ersten Platz der gemeldeten Diskriminierungsgründe in österreichischen Schulen liegt. 
Islamische Zeitung: Wird das Thema des antimuslimischen Ressentiments – das ja in vielen Ländern Europas ein Problem für muslimische Gemeinschaften und Individuen darstellt – Ihrer Meinung mit dem nötigen Ernst behandelt?
Valerie Mussa: Antimuslimischer Rassismus findet keine explizite Erwähnung im Regierungsprogramm. Dies führt zu Misstrauen innerhalb der muslimischen Community der Politik gegenüber, denn wir sehen ja, dass sich immer öfter auch Personen, die mit hohen politischen Funktionen und viel politischer Macht ausgestattet sind daran beteiligen, Ressentiments uns gegenüber zu schüren. Auf der anderen Seite ist jedoch ein von einer Abgeordneten der Grünen initiierter Aktionsplan gegen Antidiskriminierung insgesamt geplant, an dem wir sehr gerne mitwirken wollen. Noch lässt sich aber nicht abschätzen, mit welcher Ernsthaftigkeit und Geschwindigkeit dieses Vorhaben vorangetrieben werden wird. 
Islamische Zeitung: Was können Österreichs Muslime – in Gestalt der IGGiÖ – tun, um ihre Interessen erfolgreich gegenüber der Politik zu vertreten? Haben Sie konkrete Beispiele?
Valerie Mussa: Die wachsende Islamfeindlichkeit ist eine Gefahr die ganze Gesellschaft, denn sie schädigt das friedliche Zusammenleben und befeuert gerade jene radikalen Gegenbewegungen, gegen die sie sich eigentlich richtet. Um dieser Tendenz der Spaltung entgegenzuwirken, braucht es ein verstärktes gesamtgesellschaftliches Bewusstsein. Dabei sind die Kooperation und die Zusammenarbeit verschiedener AkteurInnen unumgänglich, vor allem die Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Gruppierungen, die interreligiöse Solidarität und der Austausch mit PolitikerInnen auf lokaler und nationaler Ebene sind diesbezüglich für uns von großer Bedeutung.
Auf der anderen Seite kommt unserer Glaubensgemeinschaft insbesondere eine Verantwortung zu, wenn es darum geht, politische Maßnahmen und Gesetzesbeschlüsse, die diskriminierend und damit verfassungswidrig sind, anzuprangern und schlussendlich auch rechtliche Schritte dagegen vorzunehmen, wie jüngst in der Causa um die Bezeichnung des Glaubensbekenntnisses in Schulzeugnissen oder dem Kopftuchverbot an Volksschulen. Hier suchen wir eine rechtskonforme Lösung vor dem Verfassungsgerichtshof.