Politiker für muslimische Lieder in Weihnachtsgottesdiensten oder wie man Schlagzeilen produziert

Bonn (KNA) Mancher glaubte am Montagmorgen, der 1. April sei vorverlegt worden – die Schlagzeilen passten zu den milden Temperaturen. «Politiker fordern: Christen sollen im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen», schrieb die «Bild»-Zeitung und zitierte Omid Nouripour (Grüne), Thomas Funk (SPD) und den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, mit dem fast identischen Wortlaut, das könnte doch ein tolles Zeichen für Frieden und Verständigung sein.

Die reflexhaften Reaktionen ließen kaum auf sich warten: Laut Vorabbericht der «Bild» vom Dienstag unterstützen SPD und Linke den «Lied-Vorstoß zu Weihnachten», CDU und FDP sind dagegen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schlug, ganz im Sinne des interreligiösen Dialogs, vor, auch den jüdischen Glauben einzubeziehen: Die Vertreter aller abrahamitischen Religionen könnten damit, na, was wohl, «ein gutes Zeichen» setzen.

Indes polterte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach gegenüber «Focus Online», Weihnachten sei «kein Hochamt für Multikulti». Christliches Fest, christliche Lieder, Punkt. «Mir ist auch nicht bekannt, dass in irgendeiner Moschee 'Stille Nacht, heilige Nacht' gesungen wird oder es entsprechende Pläne gibt», so der Politiker weiter.

In den Sozialen Netzwerken sorgte der Vorschlag für Spott, aber auch für harsche Kritik. Nutzer zogen etwa Vergleiche zum Fußball: «Das ist, wie wenn man die Dortmunder Südkurve auffordern würde, Gelsenkirchener Gesänge anzustimmen. So zur besseren Integration», schreibt jemand auf Facebook. Manche Nutzer beschimpfen die von «Bild» zitierten Politiker als «Gutmenschen» und «Spinner», aber auch als «schwachsinniger muslem», andere fragen polemisch, was als nächstes komme: «Aus Solidarität sollen sich alle beschneiden lassen?» Auch Gleichungen wie «Toleranz + Islam = Paradoxon» blieben auf dem Kurznachrichtendienst Twitter nicht aus.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte denn auch gegenüber «Bild», solche Vorschläge würden Menschen «in die Arme der Pegida-Populisten treiben». In all der Aufregung scheint kaum jemand zu hinterfragen, wo die Idee eigentlich ihren Ursprung hatte. Am Montagmittag veröffentlichte der Grünen-Politiker Nouripour auf seiner Facebook-Seite eine Stellungnahme, laut der ihm die Äußerung – als Politiker muslimischen Glaubens – in den Mund gelegt worden sei: Ihn habe eine «Bild»-Journalistin gefragt, ob er bereit sei, diese Forderung zu erheben. «Meine Antwort war, dass die Forderung nur dann Sinn mache, wenn dann auch Weihnachtslieder in der Moschee gesungen werden würden.»

Sein Vorschlag sei der eines Austauschs gewesen, betont Nouripour. Der gesellschaftliche Graben, der sich derzeit in Deutschland auftue, sei nicht der zwischen Christentum und Islam, «sondern der zwischen demokratischen Kräften und den Feinden der Demokratie – ob Islamisten oder Pegida». Dieser Spaltung leisteten verkürzende Darstellungen Vorschub.

Zu dem Zeitpunkt hatten viele Medien die Darstellung der «Bild»-Zeitung allerdings bereits weitergetragen – und nachträgliche Nuancierungen sind erfahrungsgemäß weniger schlagzeilenträchtig als pointierte Forderungen. Die katholische Kirche reagierte unterdessen gelassen: Das kirchliche Liedgut kenne seit Jahrhunderten eine Vielzahl von Friedensliedern, sagte der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Diese Lieder schlössen alle ein, die Frieden suchen, «auch die Muslime», betonte Kopp. Das tun reißerische Meldungen meist nicht – oder, wie der medienkritische Blog «bildblog.de» kommentierte: «So hetzt man Religionen gegeneinander auf.»