IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger auf den Spuren von Evliya Çelebi: Mit Winckelmann die Antike entdecken.
(iz). Nachdem wir Albanien verlassen haben, erinnern wir uns in Griechenland an den Beginn unserer Reise, unseren Besuch in Triest. In der Hafenstadt knüpften wir an die Thematik der italienischen Reise an und besuchten das Stadtmuseum der Antike J.J. Winckelmann.
Der Vater der Archäologie und Begründer der Kulturwissenschaft gehörte zu den Helden Goethes. Der Schustersohn aus Stendal hatte es als erster Ausländer zum Präsidenten der Altertümer zu Rom gebracht. Seine Schriften bestehen aus genialen Beschreibungen der antiken Kunst.
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Unterwegs mit Winckelmann
Die Werke dienten dem Weimarer Dichter als kulturhistorischer Leitfaden auf seiner italienischen Reise, wie er mehrfach seinem Reisetagebuch erwähnt. Am 28.1.1787 heißt es dort: „Durch Winckelmann sind wir dingend aufgeregt, die Epochen zu sondern, den verschiedenen Stil zu erkennen, dessen sich die Völker bedienten, den sie in Folge der Zeiten nach und nach ausgebildet und zuletzt wieder verbildet.“
Goethe fasste seine Erfahrung mit dem Werk Winckelmanns wie folgt zusammen: „Man lernt nichts, wenn man ihn lieset, aber man wird etwas.“
Der herausragende Einfluss des Autodidakten auf die Weimarer Klassik verdeutlicht auch eine Bemerkung des Philologen Herder. Er sieht seine Bedeutung darin, „die natürliche und schöngebildete Denkart der Griechen wieder lebendig gemacht zu haben – und das in deutscher Sprache!“
Ganze Generationen lernten
Ganze Generationen lernten, in der Auseinandersetzung mit den Büchern Winckelmanns, das Schöne zu sehen. Diese Bildung wollte die Empfindungskraft steigern, um selbst schön zu werden. Mit seiner poetischen Feder forderte er die Nachahmung der Alten (Griechen), weil nur aus ihrem Geist eine Neuschöpfung möglich sei. Dabei soll „Nachahmung“ keinesfalls als Kopieren, sondern als Nacheifern verstanden werden.
Die Kunst sollte mit allen Sinnen erlebt und dieses Erleben künstlerisch umgesetzt werden. „Sehen“ setzte Winckelmann mit Erkennen gleich. Voller Begeisterung beschrieb er das Bild seines Griechenlands: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und stille Größe! So wie die Tiefe des Meeres allzeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.“
Winckelmann sah seine Kunstgeschichte als Lehrbuch, sich selbst als den sprachlichen Mittler, insbesondere für deutsche Reisende. Fürst Franz von Anhalt-Dessau und seine Entourage hielten sich im Winter 1765/1766 in Rom auf. Zweck der Studienreise war die Modernisierung und Verschönerung ihres durch Krieg gebeutelten Fürstentums.
Als Reiseführer erschloss Winckelmann seinen Gästen vier Monate lang die kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten der Ewigen Stadt. Das Wörlitzer Schloss (bei Dessau) gilt heute als Gründungswerk des Frühklassizismus in Deutschland, seine Ausstattung als Inbegriff des guten Geschmacks und winckelmannscher Kunstauffassung.
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Er sollte nie wieder zurückkehren
Nachdem Winckelmann einige Jahre in Rom verbracht hatte, beschloss der inzwischen berühmte Mann, am 10. April 1768, nach Deutschland zu reisen. Regenten, Gelehrte und Künstler erwarteten ihn dort. Das Vorhaben endete in einem Fiasko. Schon in den Alpen wurde der Gelehrte immer schweigsamer. In Regensburg beteuerte Winckelmann, nicht anders zu können, als zurückzureisen. Gegenüber Fürst Franz beklagte er, „kein Mittel gegen die Schwermut zu wissen als den Rückweg nach Rom“. Den Norden sah er nie wieder.
Seine Rückreise nahm in Triest eine tragische Wendung. Wir besuchten in Triest das Hotel Duchi d’Aosta, wo er am 8. Juni von einer Zufallsbekanntschaft ermordet wurde. Der Mann, der sein Leben der Schönheit widmete, wurde hier Opfer von sinnloser Gewalt.
Seine Münzen und sein Bargeld wurden nicht gestohlen, auch die Werke Homers, die Winckelmann im Reisegepäck hatte, blieben unversehrt zurück. Der Täter wurde schnell gefasst und zum Tode verurteilt. Der wegen seiner mysteriösen Hintergründe rätselhafte Fall ging in die Kriminalgeschichte ein.
In Deutschland reagierte man auf das Verbrechen erschüttert. Fürst Franz schrieb seiner Frau: „Ich habe einen einzigen Freund verloren, du, einen Anbeter, der nicht zu ersetzen ist.“ In der lesenswerten Biografie von Klaus-Werner Haupt wird die Lebensleistung des Stendalers treffend zusammengefasst: „Winkelmanns Beispiel beweist, dass ein Vorhaben nur mit Enthusiasmus zum Erfolg führt werden kann.“
Wir sind gespannt, ob uns Griechenland Einblicke in die Welt der Schönheit gewährt.