Rückkehr von Maos Umerziehungslagern

Ausgabe 279

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(iz). Es hört sich an wie ein Kapitel aus den düsteren Abschnitten der modernen Geschichte. Mancher fühlt sich an Orwells „1984“ erinnert. Nach Berichten von Menschenrechtsaktivisten, Bloggern und Uiguren hat die Volksrepublik in ihrer seit den 1990ern ­anhaltenden Repressionspolitik gegen die muslimischen Uiguren – und auch Kasachen in zunehmendem Maße – seit letztem Jahr rund eine Millionen Uiguren sowie ca. einhunderttausend Kasachen in Umerziehungslager verfrachtet.
Bekräftigt wurden die Vorwürfe gegen Peking durch eine Agentur der Vereinten Nationen. Am 10. August erklärte das UN-Komitee zur Abschaffung rassischer Diskriminierung (CERD), es lägen viele glaubhafte Berichte vor, dass rund eine Million muslimischer Uiguren in China in dem inhaftiert seien, was „einem massiven Internierungslager ähnelt, das in Geheimnisse gehüllt ist“. Nach Angaben des Komiteemitglieds Gay McDougall gäbe es Schätzungen, dass zwei Millionen ­Uiguren und Angehörige anderer muslimischer Minderheiten in politische Umerziehungslager der westlichen Autonomen Region Xinjiang (Osttürkestan) gezwungen wurden.
Das rohstoffreiche und sowie ökonomisch und strategisch wichtige Gebiet grenzt an Kasachstan, Kirgistan und Pakistan gleichermaßen. Ungefähr halb so groß wie Indien, ist es seit Langem ein traditionell muslimisches Gebiet. Die dominante Gruppe ist – trotz aller Versuche der politischen Sinisierung – die der Uiguren. Als Rechtfertigung für seine für freiheitliche Geister unglaubliche Repressionspolitik führt Peking – insbe­sondere nach dem 11. September 2001 – ­„islamischen Extremismus“ sowie „Separatismus“ als Rechtfertigung an. Nach Angaben von Menschenrechtlern hätten 2017 rund 21 Prozent aller Verhaftungen in Xinjiang stattgefunden.
Die Internierungs- und Umerziehungskampagne hat die gesamte Region Xinjiang ­ergriffen. Die Einrichtungen werden offiziell als „professionelle Erziehungsschulen“ bezeichnet. Hier werden Insassen zeitweise oder unbegrenzt entsant, um „persönliche Erziehung zu erhalten“. Die Gründe dafür können so banal wie vielfältig sein wie Auslandsreisen, Verwandte im Ausland zu haben oder die SIM-Karte eines Handys wegzuwerfen. ­Bedingungen in diesen Lagern werden als endlose Gehirnwäsche, Folter und Demütigung beschrieben.
Sich im Ausland aufhaltende Uiguren werden nicht nur überwacht, wenn sie sich auffallend oder oppositionell verhalten. Die soziale Kontrolle der Bürger durch Peking wurde dieses Jahr auch auf die wenigen uigurischen Pilger in Mekka ausgeübt, die ausreisen durften. Im Rahmen eines Generalverdachts gegen Muslime seien sie nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) dazu gezwungen worden, „ein Halsband mit GPS- und QR-Code zu tragen, dem jederzeit Name, Adresse, Foto und aktueller Standort über eine entsprechende App zu entnehmen sind“. Die staatliche Islamische Vereinigung Chinas begründete die Installation der Überwachung mit „der Sorge um die Sicherheit der Pilger“.
Insassen beschreiben, wie sie gezwungen wurden, kommunistische Propaganda zu studieren. Das Ziel des zwangsweisen Programms ist die Neuausrichtung der politischen Überzeugungen der Gefangenen, die Auslöschung ihres islamischen Glaubens sowie die komplette Neuausrichtung ihrer Identitäten. Sie sind Folter auf verschiedenen Ebenen ausgesetzt, um ihre religiösen Überzeugungen zu unterdrücken sowie eine vermutete separatistische Bewegung zu eliminieren. Diejenigen, die sich nicht dem Druck zur Gleichförmigkeit der Pekinger Regierung beugen, sollen durch Einzelhaft, Schläge und Nahrungsentzug bestraft werden.
Wie die Webseite des Österreichischen Fernsehens (ORF) am 13. August meldete, haben chinesische Zeitungen die Internierungslager für die Uiguren gerechtfertigt. „Dass in der Region Xinjiang gegenwärtig Frieden und ­Stabilität herrschten, sei zweifellos auch auf die strengen Vorschriften zurückzuführen, hieß es heute in den chinesischen und englischen Ausgaben der Zeitung ‘Global ­Times’“, schrieb der ORF auf seiner Webseite. Die permanente Präsenz von Polizei und ­Sicherheitsorganen sei, so das chinesische Organ, „eine Phase, die Xinjiang durchmachen muss beim Wiederaufbau von Frieden und Wohlstand“. Sie hätten verhindert, dass aus der Region „ein neues ­Syrien“ geworden sei.
Der Beginn der Internierungslager wird von Adrian Zenz, einem Experten der Repression in Xinjiang, auf Anfang März 2017 datiert. Die Kampagne der „Deradikalisierung“ durch Erziehung folgte auch der Ernennung des Hardliners Chen Quango zum Parteisekretär der Region im August 2016. Zuvor leitete er ein vergleichbares Programm zur Über­wachung und sozialen Kontrolle in Tibet.
Die Krise der Menschenrechte in Osttürkestan benötige, so die NGO „Uyghur Human Rights Projects“, eine sofortige internationale Antwort. Die Masseninhaftierung von Uiguren in Umerziehungslagern trete zur gleichen Zeit auf, in der sich China weltweit als ein Modell für Regierung und Handel durch seine neue Seidenstraßeninitiative anpreise. Glaubhafte Berichte von Todesfällen in Haft, Folter und systematischer Indoktrinierung müssen die internationale Gemeinschaft zu einem Handeln für die Uiguren treiben.
Zeit sei bei einem Eingreifen in Menschenrechtsfragen, so das UHRP, von entscheidender Bedeutung, wolle man das langfristige Wohlergehen von verletzlichen Gruppen ­gewährleisten. Und die Zeit zur öffentlichen Stellungnahme Chinas zur massenhaften Internierung von Uiguren sei jetzt gekommen. Das Ausland müsse jetzt von Peking die ­sofortige Freilassung all derjenigen verlangen, die ohne Anklage inhaftiert wurden.
Die Bemühungen zur Änderung der uigurischen Identifizierung mit vermeintlichen ­„externen“ Loyalitäten sei Chinas letzter ­kolonialer Akt in einem Gebiet, das es plünderte und kolonisierte, während die Uiguren absichtlich von den Vorteilen ihres Heimatlandes ausgeschlossen wurden.