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Saba-Nur Cheema zu Muslimfeindlichkeit: „Bildungsbereich hat Bekämpfung nicht auf dem Schirm“

Ausgabe 340

Saba-Nur Cheema Muslimfeindlichkeit CLAIM
Foto: Prostock-studio, Shutterstock

Saba-Nur Cheema: Die Politologin und Anti-Rassismustrainerin über Muslimfeindlichkeit  in Kitas und Schulen.

(ZEOK e.V.). Auf Initiative des Bundesministeriums des Innern und für Heimat wurde der sogenannte Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (kurz: UEM) vor rund drei Jahren eingesetzt, insbesondere auch in Reaktion auf den rassistischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020. Von Sarah Zendeh

Neun ExpertInnen haben seitdem relevante Studien, Erkenntnisse, aber auch Handlungsstrategien erarbeitet, die sich in einem 400-seitigen Bericht wiederfinden.

Saba-Nur Cheema: Stark in der Gesellschaft verankert

Dieser wurde in Berlin am 29.06.2023 vorgestellt und verdeutlicht, dass Muslimfeindlichkeit sehr stark in der Breite der Gesellschaft verankert ist und MuslimInnen beziehungsweise auch diejenigen, die als MuslimInnen wahrgenommen werden, in den verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft keine gleichberechtigte Teilhabe genießen.

Im Kontext von Schule drückt sich dies unter anderem dadurch aus, dass Diskriminierung gegenüber MuslimInnen von ca. 1/3 aller Lehrkräfte ausgeht und der frühkindliche Bildungsbereich noch weit davon entfernt ist, diversitätsorientiert und rassismuskritisch aufgestellt zu sein.

Mit Saba-Nur Cheema haben wir die Notwendigkeit der rassismuskritischen Ausbildung und Arbeit von pädagogischen Fachkräften in den Blick genommen.

Foto: Saba-Nur Cheema

Sarah Zendeh: Frau Cheema, welche Erkenntnisse des UEM-Berichts erachten Sie als relevant für die Arbeit und auch für die zukünftige Ausbildung von pädagogischen Fachkräften?

Saba-Nur Cheema: Zunächst einmal haben wir festgestellt, dass im Bereich der Bildung, der aus verschiedenen Feldern besteht, die Bekämpfung des Phänomens Muslimfeindlichkeit beziehungsweise antimuslimischer Rassismus bei den wenigsten auf der Agenda steht.

Das betrifft sowohl den frühkindlichen Bereich, sprich Kitas und Grundschulen, weiterführende Schulen sowie die Hochschulen. Nur gelegentlich werden Maßnahmen – wie Workshops oder Fachtagungen – veranstaltet und einzelne Institutionen greifen das Thema auf. Zum Teil tragen sie mit ihren Programmen und Inhalten dazu bei, dass sich Muslimfeindlichkeit verbreitet.

Sarah Zendeh: An welchen Parametern kann man dies festmachen?

Saba-Nur Cheema: Wir haben beispielsweise eine umfassende Studie über Schulbücher und Lehrpläne in Auftrag gegeben. Das Ergebnis zeigt, dass Muslimfeindlichkeit kaum als ein Diskriminierungsphänomen auf dem Lehrplan steht. Im Gegenteil, antimuslimische Narrative und Stereotype werden durch Schulmaterialien perpetuiert.

Der Islam und MuslimInnen tauchen vor allem dann auf, wenn es um Terror, Integrationsschwierigkeiten und Frauenunterdrückung geht. Dieses negative Bild muss korrigiert werden, indem muslimisches Leben auch positiv oder neutral dargestellt wird.

Im zweiten Schritt müsste Muslimfeindlichkeit thematisiert werden, denn die Diskriminierung ist ein Problem für die Gesamtgesellschaft – genauso wie Sexismus, Antisemitismus und andere Formen der Abwertung.

Zuwanderungsgeschichte

Foto: Good Mood, Shutterstock

Folgen für die Lehrerbildung

Sarah Zendeh: Was bedeutet das konkret für die Ausbildung von PädagogInnen und Lehrkräften?

Saba-Nur Cheema: Für Lehrkräfte und PädagogInnen sollte das kein optionaler Teil in der Ausbildung sein, sich mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auseinanderzusetzen. Das sollte verpflichtend sein. 

Übrigens ist es egal, ob es um die Lehrkraft für Geschichte, Mathe oder Sport geht: die Auseinandersetzung mit Diskriminierung von gesellschaftlichen Gruppen verstehe ich als ein Querschnittsthema für alle Fächer und Berufsgruppen.

Sarah Zendeh: Gibt es konkrete Haltungen und Kompetenzen, wie sich diese Sensibilisierung auch im Verhalten widerspiegeln sollte?

Saba-Nur Cheema: Oft bleiben wir auf der oberflächlichen Ebene und sagen, „ja klar, Sensibilisierung für Rassismus und Diversität ist wichtig“, aber es bleiben Koffer-Begriffe. Jede/r versteht darin, was er oder sie meint, darin zu sehen –  weshalb sich auch die Frage stellt, ob wir alle überhaupt die gleiche Definition von Rassismus beziehungsweise Diversitätssensibilität haben?

In der Praxis kann das auch zu Konflikten führen, wenn Vielfalt positiv anerkannt wird, obwohl man die Unterschiede doch gar nicht erwähnen möchte – so kommt es häufig dazu, dass betroffene Kinder oder Jugendliche exotisiert und zu den „Anderen“ gemacht werden (Othering).

Das ist das vielseits bekannte „Differenzdilemma“ der Pädagogik: die Differenz anzuerkennen, ohne sie zu reproduzieren. Ich glaube, wir können uns dem nähern, indem wir möglichst greifbare Kriterien für einen sensiblen Umgang mit Differenz entwickeln – dazu gehört zum Beispiel Pauschalisierungen zu vermeiden, indem erlernte Erklärungsmuster, die Menschen auf ihre Nationalität oder Religion reduzieren, hinterfragt werden.

Gut gelingt dies durch konkrete Fallarbeit, zum Beispiel in Form der kollegialen Beratung oder des Austauschs, um über bestimmte Vorfälle im KollegInnenkreis zu diskutieren, ExpertInnen einzuladen und gemeinsam zu überlegen, wie in dieser oder jener Situation differenzsensibel gehandelt werden kann.

Sarah Zendeh: Welche alternativen Orte des Zusammenkommens braucht es, die einen niedrigschwelligen Zugang zu diversen Gruppen ermöglichen?

Saba-Nur Cheema: Das ist zum Beispiel die Krabbelgruppe oder der Sportverein, wo plurales Zusammenleben gelebt wird, ohne dass es die ganze Zeit zum Thema gemacht wird. In Frankfurt beispielsweise gibt es Stadtteile, wo es Initiativen und Projekte gibt, in denen Begegnung auf ganz natürliche Art und Weise stattfindet.

Ja, in Frankfurt kann das gut funktionieren, aber wie soll das zum Beispiel in Thüringen auf dem Land gehen? Mir ist klar, dass es dort begrenzte Möglichkeiten gibt. Doch sind Sportvereine, Stadtteilfeste und Ähnliches wichtige Orte, wo Begegnung geschaffen wird und werden kann und man viel über das plurale Zusammenleben lernt.

Berlin Rassismus Plakate Neukölln

Foto: Inssan e.V.

Welche Veränderungen braucht es

Sarah Zendeh: Welche Veränderungen braucht es in den Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit, um diese rassismuskritisch aufzustellen? Was braucht es, um Fachkräfte hier gut zu unterstützen?

Saba-Nur Cheema: Ich forsche aktuell im Kontext von Kitas dazu, inwiefern Differenzkonstruktionen schon im Kindesalter relevant sein können und wie sie sich äußern. Ein Problem, das häufig vorkommt, ist, dass pädagogische Fachkräfte Rassismus selten wahrnehmen.

Dies führt dazu, dass die, die ohnehin schon Interesse am Thema haben, sich darin vertiefen und weiter mit dem Thema auseinandersetzen. Dabei wäre eine Auseinandersetzung mit dem Thema auch auf der Leitungsebene zentral.

Mit Blick auf Spielmaterial und Bücher nehme ich wahr, dass zwar häufig über den Wunsch nach Diversifizierung gesprochen wird, es aber an der praktischen Umsetzung noch hakt.

Neben problematischem, stereotypisiertem Spielzeug und Büchern werden beispielsweise immer noch Lieder gesungen, die zum Beispiel kolonialrassistische Bilder vermitteln, die sich dann bei Kindern festsetzen können. Ähnliches betrifft auch Bücher, bei denen sich die Frage stellt: Wer ist zu sehen und wer nicht? Und wer ist in welchem Kontext zu sehen?

Und es betrifft natürlich auch das Thema Religion beziehungsweise Religionssensibilität – gibt es Bücher, in denen der Islam dargestellt wird und geht es dann um die Religion oder ist es einfach nebenbei ein Thema? Das heißt, wann ist es Normalität und wann ist es etwas Besonderes?

Leider gibt es dazu noch sehr wenige deutschsprachige Bücher, doch das Angebot von diversitätsbewusstem Spielmaterial steigt. Dieses zu nutzen, wäre wichtig. So nehmen nicht nur Kinder, sondern auch ErzieherInnen Diversität wahr, ohne dass jemand vor ihnen steht und sagt: „Das gehört jetzt dazu“. 

Denn das Material kann sozusagen für sich sprechen. Neben diesen Maßnahmen sollte es Weiterbildungsmaßnahmen geben, um zu fördern, das bestimmte Themen umgesetzt werden, wie zum Beispiel Themenwochen oder Thementage mit verschiedenen Schwerpunkten.

Natürlich hat das auch immer mit der Gruppe und deren Zusammensetzung zu tun, welche Themen für sie relevant oder zum Beispiel unbekannt sind. Wenn eine Gruppe beispielsweise überwiegend aus muslimischen Kindern beziehungsweise Jugendlichen besteht, dann ist es auch wichtig, für diese Gruppe etwas anzubieten, also zielgruppenspezifisch zu arbeiten und Angebote zu schaffen.

Damit kommen wir wieder zurück zum Thema Fachkräfte, die stärker sensibilisiert und unterstützt werden sollten und denen viel mehr Best Practice-Beispiele im Rahmen von Weiterbildungen vermittelt werden sollten, denn die gibt es.

Sarah Zendeh: Was braucht es aus Ihrer Sicht, um mehr Menschen mit Migrationsbiografie und/oder eigenen Rassismuserfahrungen als Fachkräfte für die Kinder- und Jugendarbeit zu gewinnen? Gibt es Initiativen, von denen wir hier lernen können?

Saba-Nur Cheema: Da bin ich immer ein wenig ambivalent. Was den Lehrberuf betrifft, gibt es an vielen Universitäten bestimmte Programme für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund beziehungsweise Lehramtsstudierende und das hat natürlich wiederum diesen Marker.

Andererseits wird die Migrationsgeschichte auch immer als Potenzial und Notwendigkeit gesehen, das LehrerInnenzimmer pluraler zu gestalten, weil es die gesellschaftliche Realität besser widerspiegelt.

Aber man sollte wahrscheinlich noch weiter zurückblicken: Wer schafft es überhaupt an die Uni? Wer macht Abitur, wer hat bessere Chancen, wer kriegt eher eine Gymnasial-Empfehlung? Entsprechend ist es keine leichte Frage, wie man überhaupt Menschen mit Migrationsbiografie oder muslimischem Hintergrund dafür gewinnen kann, dass sie im Bereich der Pädagogik arbeiten. 

Ein Beispiel aus einem Workshop mit einer siebten Klasse zeigt, dass diese Einschränkungen bezüglich der Berufswahl früh anfangen. Einmal sagte mir ein muslimisches Mädchen, dass sie in zwei Jahren anfangen werde, das Kopftuch zu tragen, so habe sie das mit ihrer Mama ausgemacht und sie erzählte dies auch ganz selbstbewusst. Und als ich sie fragte, was sie später einmal machen wolle, sagte sie, dass sie ja sowieso keine Lehrerin werden könne, das mache sie schon mal nicht.

Sie hat sich in diesem Moment gar nicht als Opfer dargestellt, sondern eher mit einer Selbstverständlichkeit gesprochen, weil es ja tatsächlich als Lehrkraft mit einem Kopftuch in Deutschland nicht leicht ist. Und das ist natürlich bitter zu hören, denn es zeigt, dass Chancengleichheit eher Ziel als Praxis ist und immer noch nicht alle die gleichen Möglichkeiten haben.

Auch auf der Ebene von Fachkräften ist es nach wie vor schwierig. In einer Kita zum Beispiel haben zwei muslimische Kolleginnen diese verlassen und in eine andere gewechselt, weil sie auch innerhalb des Kollegiums Abwertungen erlebten und sich auf ihr Muslimsein reduziert sahen.

Dabei bietet gerade der Arbeitskontext, das Zusammenarbeiten in Teams, die ideale Möglichkeit, Diversität zu leben, ohne die Unterschiede ständig zu betonen. Im Lehrkollegium oder im Kita-Personalteam geht es letztlich um die Jugendlichen beziehungsweise die Kinder. Dieser Fokus ermöglicht, gemeinsam Ziele zu definieren und die unterschiedlichen Kompetenzen jedes Teammitglieds einfließen zu lassen.

Sarah Zendeh: Vielen Dank für das aufschlussreiche und spannende Gespräch, Frau Cheema.

Saba-Nur Cheema ist Politologin und Antirassismus-Trainerin. Aktuell forscht sie an der Goethe-Universität zu religiösen Differenzkonstruktionen in der frühen und mittleren Kindheitsphase. Von 2015-2021 war sie Pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank. Sie ist Mitglied im Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, der nach den Anschlägen in Hanau 2020 von der Bundesregierung einberufen wurde. Gemeinsam mit Meron Mendel schreibt sie die monatliche Kolumne „Muslimisch-Jüdisches Abendbrot“ in der FAZ.

Das Gespräch führte Sarah Zendeh (ZEOK e.V.) im Rahmen des Kompetenznetzwerks Islam- und Muslimfeindlichkeit (Bundesprogramm Demokratie leben!).