
Nach Angriff auf das Al Ahli Arab-Krankenhaus schieben sich beide Seiten die Schuld zu. Fest steht: Hunderte Menschen starben.
Gaza (dpa, UN Media, KNA, iz). Bei einem Raketenangriff auf das christliche Al Ahli Arab-Hospital in Gaza sind am Dienstagabend Hunderte Menschen getötet und verletzt worden. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde machte die israelische Armee dafür verantwortlich.
Diese wiederum beschuldigte die Organisation „Islamischer Dschihad“ im Gazastreifen. Es habe sich um eine fehlgeleitete Rakete gehandelt. Eine unabhängige Untersuchung des Angriffs steht aus. Die Ereignisse lösten in vielen Ländern der Welt spontane Proteste aus.
Die Weltgesundheitsorganisation verurteilte den Angriff und forderte den sofortigen Schutz der Zivilbevölkerung und der medizinischen Versorgung in der palästinensischen Enklave. „Die WHO verurteilt den Angriff auf das Al Ahli Arab Hospital aufs Schärfste“, sagte der Generaldirektor der UN-Gesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf der Social-Media-Plattform X.
Das Hospital war bereits am Samstag bei einem Luftangriff beschädigt worden. Dabei wurden nach Angaben der anglikanischen Kirche vier Menschen verletzt. In einem früheren Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärte die Krankenhausdirektorin Suhaila Tarazi, das Haus „basiert auf unserem christlichen Glauben und der Nächstenliebe“. Die Mehrheit des Personals und der Patienten sind Muslime, nicht zu diskriminieren sei Teil der Mission und Vision.
Screenshot: X (Twitter)
Angriff auf Hospital: „Das ist völlig inakzeptabel“
Tareq Abu Azzoum von Al Jazeera berichtete aus Gaza, dass das Areal, in dem der Luftangriff stattfand, „voller Vertriebener“ war. „Dieses Gebiet (in dem die Bombardierung stattfand) ist dicht bevölkert, voller Geschäfte, Wohnhäuser und sogar voller Vertriebener, die ihre Häuser evakuiert haben, nachdem sie von der IOF den Befehl zur Evakuierung erhalten hatten“, so Azzoum.
„Mir fehlen die Worte“, erklärte der UN-Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk in der Nacht. Bei dem massiven Angriff auf die Einrichtung seien Patienten, medizinisches Personal und Familien, die dort Zuflucht gesucht hatten, „auf schreckliche Weise“ getötet worden.
„Wieder einmal die Schwächsten. Das ist völlig inakzeptabel.“ Krankenhäuser seien unantastbar und müssten um jeden Preis geschützt werden. „Wir kennen das volle Ausmaß dieses Massakers noch nicht, aber es ist klar, dass die Gewalt und das Morden sofort aufhören müssen“, unterstrich Türk.
Zivilisten müssten geschützt werden, humanitäre Hilfe müsse die Bedürftigen dringend erreichen können, die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, betonte der UN-Beauftragte. Das Gesundheitsministerium im Gazastreifen teilte mit, in der Klinik seien tausende Flüchtlinge aus dem Norden der Küstenenklave untergebracht gewesen.
Foto: ICRC
Evakuierungsaufrufe kann das Gesundheitswesen nicht bewältigen
Das Al Ahli Arab Krankenhaus war betriebsbereit, und Patienten, Gesundheits- und Pflegepersonal sowie Binnenvertriebene seien dort untergebracht gewesen, so die WHO in einer Erklärung. Es war eines von 20 Hospitälern im Norden des Gazastreifens, das von Evakuierungsforderungen des israelischen Militärs betroffen war.
„Der Evakuierungsbefehl konnte angesichts der gegenwärtigen Unsicherheit, des kritischen Zustands vieler Patienten und des Mangels an Krankenwagen, Personal, Bettenkapazität des Gesundheitssystems und alternativen Unterkünften für die Vertriebenen nicht ausgeführt werden“, so die WHO.
Die UN-Organisation appellierte an den sofortigen aktiven Schutz der Zivilbevölkerung und der Gesundheitsversorgung. „Die Evakuierungsbefehle müssen rückgängig gemacht werden. Das humanitäre Völkerrecht muss eingehalten werden, was bedeutet, dass die Gesundheitsversorgung aktiv geschützt werden muss und niemals ins Visier genommen werden darf.“
UN-Generalsekretär Guterres ruft zu Waffenruhe auf
UN-Generalsekretär António Guterres hat zu einer Waffenruhe aufgerufen. „Ich rufe zu einer sofortigen Feuerpause auf, um genug Zeit und Platz bereitzustellen, damit meine beiden Aufrufe realisiert und das epische menschliche Leid gelindert werden kann“, sagte er am Mittwoch in Peking. Damit bezog er sich auf seine Aufrufe an die Hamas, Geiseln freizulassen, und an Israel, humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen.
Guterres reist angesichts der Eskalation der Gewalt nach Kairo. Dort will er nach UN-Angaben ab Donnerstag unter anderem den ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi treffen, um eine Öffnung des Grenzübergangs Rafah von der Sinai-Halbinsel nach Gaza zu erreichen.
Diplomatische Bemühungen angesichts der Tragödie stark beeinträchtigt
Jordanien hat nach dem Anschlag ein für Mittwoch geplantes Treffen zwischen König Abdullah II. und US-Präsident Joe Biden abgesagt. Das Treffen, an dem auch Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi teilnehmen sollte, werde erst stattfinden, wenn es eine Vereinbarung gebe, den Krieg zu beenden und „diese Massaker“ zu stoppen, sagte Außenminister Aiman al-Safadi dem jordanischen Fernsehsender Al-Mamlaka. Militante Palästinenser und die israelische Armee hatten sich gegenseitig für den Raketenbeschuss verantwortlich gemacht.
Saudi-Arabien verurteilte das „abscheuliche Verbrechen“ aufs Schärfste – und machte Israel dafür verantwortlich, wie es in einer Erklärung des saudischen Außenministeriums hieß. Riad verurteilte die „anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung“ auf Zivilisten. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gaben Israel die Schuld.
Marokko verurteilte die „Bombardierung“ der Klinik «durch israelische Streitkräfte» ebenso «aufs Schärfste». Zivilisten müssten „von allen Seiten geschützt werden“. Bahrain schloss sich der Kritik am „israelischen Bombenanschlag“ an.
Foto: UN Photo, Evan Schneider
UN-Sicherheitsrat soll sich mit Angriff befassen
Der Weltsicherheitsrat soll sich am Mittwoch mit dem Raketenangriff befassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland beantragten am Dienstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Gremiums für Mittwochmorgen New Yorker Zeit, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Diplomatenkreisen erfuhr.
Brasilien, das dem Gremium derzeit vorsitzt, bestätigte zudem, dass der Rat in der Sitzung ab 10 Uhr New Yorker Zeit (16 Uhr MESZ) über einen vorliegenden Entwurf für eine Nahost-Resolution abstimmen soll.
Der Text, der auf eine Initiative Brasiliens zurückgeht, fordert neben dem Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen unter anderem, dass Israel – ohne das Land direkt zu nennen – seine Aufforderung zur Evakuierung der Zivilbevölkerung aus dem nördlichen Teil der Küstenregion zurücknimmt. Zudem müssten sich alle Konfliktparteien an das Völkerrecht halten.