Nach dem knappen Ja für ein Verhüllungsverbot in der Schweiz fallen auch die Reaktionen im Land sehr unterschiedlich aus. Teile der Feministinnen und Rechtskonservative freuten sich über die Mehrheit von 51,2 Prozent beim Volksentscheid für ein Verbot der Vollverhüllung. Es handele sich nicht um ein Votum gegen Musliminnen und Muslime, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP).
(KNA). Der Islamische Zentralrat der Schweiz und die Jung-Grünen kündigten dagegen Klagen an, zur Not durch alle Instanzen. Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) und Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt, sprach von einem Angriff auf das Menschenrecht der Religionsfreiheit.
„Der Hauptgrund solcher populistischen Bewegungen ist eine schweizerische Urangst: Es ist die Angst vor dem Fremden, es geht gegen Flüchtlinge, Migranten und in der Schweiz lebende religiöse Minderheiten“, erklärte Goldschmidt am 7. März. Das Ergebnis sei ein alarmierender Trend für alle religiösen Minderheiten. Goldschmidt warf den Befürwortern des Verbots Scheinheiligkeit vor. Der Anteil der Muslime in dem Land liege bei rund fünf Prozent. Die Zahl der einheimischen Nikab-Trägerinnen werde auf landesweit rund 30 geschätzt.
Justizministerin Keller-Sutter sieht nun die Kantone in der Pflicht, die neue Verfassungsbestimmung binnen zwei Jahren umzusetzen. So hätten sie die Ausnahmen präzise zu definieren und Sanktionen festzulegen. Trotz des nationalen Burka-Verbots soll es also keine landesweit einheitliche Regelung geben, sondern 26 Umsetzungsgesetze, die sich von Kanton zu Kanton unterscheiden können. Die Polizeihoheit liege bei den Kantonen, erklärte die Ministerin.
Allerdings wurden ähnliche Initiativen und Vorstöße bislang in fast allen Kantonen abgelehnt. Nur in Sankt Gallen und im Tessin fanden sie Anklang. In Basel-Stadt hatte das Parlament ein Vermummungsverbot 2013 sogar für rechtlich unzulässig erklärt.
Die Kampagne „Ja zum Verhüllungsverbot“ wurde aus dem Umfeld der rechtspopulistischen SVP initiiert. Die „Egerkinger Komitee“ genannte Gruppe hatte auch schon 2009 das Neubauverbot für Minarette in der Schweiz durchgesetzt. Die Initiative hatte ein grundsätzliches Verbot gefordert, das Gesicht im öffentlichen Raum zu verhüllen. Es geht insbesondere um die islamischen Verschleierungen Burka und Nikab, aber auch um Vermummungen zum Beispiel von Hooligans bei Fußballspielen und von Demonstranten. Erstmals werden nun Kleidervorschriften in der Schweizer Bundesverfassung festgeschrieben.
Reinhard Schulze, emeritierter Professor für Islamwissenschaft der Universität Bern und Direktor des Forums Islam und Naher Osten, sagte im Interview des Portals kath.ch: „Statt religionspolitische Ausnahmeregelungen in die Verfassung zu schreiben, könnte man wie der Papst in Mossul im kriegserschütterten Irak verbindende Symbole des religiösen und gesellschaftlichen Friedens anbieten. Das Ergebnis wäre Vertrauen, die beste Währung der Gesellschaft.“
Durch das Referendum dagegen, so Schulze, sei „einmal mehr viel Vertrauen verspielt“ worden. „Pauschalisierung und Verdächtigungen gegenüber muslimischen Gemeinden befeuern ein bestehendes Ressentiment, so dass sich manche darin bestärkt sehen, von unserer Gesellschaft marginalisiert zu werden.“ Das eigentliche Ziel der Initiative, den Islam aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, „ihn unsichtbar zu machen, ihn gewissermaßen zu verschleiern, bedeutet für die Muslime einen weiteren Stolperstein in ihrer Debatte um den Status der islamischen Religionsgemeinschaft in der Schweiz“, sagte der Islamwissenschaftler.