, , , ,

Viel Schatten. Die deutsche Syrienpolitik enthält düstere Kapitel

syrien politik

Die Verbindungen von zwei deutschen Staaten zu Syrien bis zur Wiedervereinigung sind lang und komplex. Darunter sind auch sehr düstere Kapitel. (iz). Direkt, nachdem die kriminelle Assad-Familie von der Macht […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

, , ,

Ampel-Bilanz: Es wurde viel Porzellan zerschlagen

ampel

Angriff auf Grundrechte, Abschiebedebatten, gesellschaftlicher Generalverdacht: Die Ampel-Regierung hinterlässt Rekordwerte in Sachen Ausgrenzung, Straftaten und Gewalt – und eine zutiefst verunsicherte muslimische Community.

(iz). Zum Schluss gab es noch einmal einen dicken Stinkefinger. Einen Tag nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am 6. November 2024 das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung verkündete, erklärten SPD, Grüne und FDP gemeinsam mit CDU/CSU und AfD noch ein letztes Mal deutsche Muslime zum Problem.

Mit der am 7. November verabschiedeten Bundestag-Resolution „Nie wieder ist jetzt“ sollte eigentlich jüdisches Leben geschützt werden. Tatsächlich tat die Ampel aber auch diesmal nur, was sie in den letzten drei Jahren perfektioniert hatte: eine autoritäre Politik auf Kosten der Schwächsten. Formulierungen vom „importierten Antisemitismus“ und Maßnahmen, die Judenfeindlichkeit vor allem mit Verschärfungen im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht bekämpfen sollen, hatten in ihrer AfD-Variante vor 2021 noch zurecht für große Empörung im Bundestag gesorgt.

Nun wurden die von Menschenrechtsorganisationen, Juristinnen und Kulturschaffenden einhellig kritisierte Resolution unter Applaus von SPD, Grünen und FDP verabschiedet. Nur das BSW widersetzte sich der Großen Koalition des anti-muslimischen und anti-migrantischen Generalverdachts. Die Linke enthielt sich.

Ampel-Regierung: Teilhabe um Jahrzehnte zurückgeworfen 

Autoritarismus, Migrationsfeindlichkeit, anti-muslimischer Rassismus eine bedingungslose Solidarität mit einer mörderischen und rechtsextremen israelischen Regierung. Das sind einige der Merkmale der Ampel-Politik der letzten drei Jahre. Mit einer kaum für möglich gehaltenen Vehemenz und Konsequenz hat die selbsterklärte Fortschrittskoalition das Ringen um Teilhabe und Gleichberechtigung in Deutschland um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, Migrations- und Asylpolitik, Schutz vor Gewalt und Diskriminierung: In all diesen Fragen stehen Geflüchtete, Muslime, arabischstämmige Menschen und viele weitere Menschen in Deutschland heute schlechter da als vor der Ampel. Der „zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen“ wolle man mit „umfassendem Schutz, Prävention und besserer Unterstützung der Betroffenen“ begegnen.

Das war eines von vielen Versprechen, das SPD, Grüne und FDP den rund sechs Millionen muslimischen Menschen in Deutschland im November 2021 in ihrem Koalitionsvertrag gegeben hatten. Getan haben sie das Gegenteil.

Muslimfeindlichkeit Islamkonferenz debatte

DIK 2022. Ministerin Faeser im Gespräch mit einer Teilnehmerin. (Pressefoto: © Henning Schacht / Bundesinnenministerium)

Nur als Belastung oder Bedrohung

Dass an dem Versprechen nicht viel dran ist, merkte man zuallererst in der Migrationspolitik. Flüchtlinge tauchten in der Politik der Bundesregierung von Beginn an fast nur als Belastung und Bedrohung auf. Diskurse rund um Ausgrenzung und Stigmatisierung von Schutzsuchenden prägten die gesamte Legislaturperiode der Ampel.

Mit den mittlerweile zum Spottbegriff gewordenen „großen Bauchschmerzen“ billigten die Grünen im Juni 2023 den sogenannten EU-Asylkompromiss und damit eine repressive Migrationspolitik, von der vor einigen Jahren noch nicht einmal die AfD geträumt hatte.

Als SPD, Grüne und FDP das Gesetz absegneten, hagelte es Kritik durch Menschenrechtsorganisationen. Doch die Ampel machte genauso weiter. Drei von zahlreichen Beispielen: Die Verabschiedung des „Rückführungsgesetzes“ vom Oktober 2023, Olaf Scholz, der auf dem Cover von Der Spiegel forderte: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ und ein eigens zu Wahlkampfzwecken organisierter Abschiebeflieger nach Afghanistan im August 2024.

Die Chance war so groß wie nie

Nach Maßnahmen, die Teilhabe und Gleichberechtigung von Menschen in Deutschland verbessern, muss man in der Bilanz der Ampel lange suchen. Im Juli 2022 nahm die neu eingerichtete Antidiskriminierungsstelle des Bundes ihre Arbeit auf. Im Juni 2024 trat das neue Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft. Mit der Reform beendete die Ampel zwar endlich das diskriminierende Doppelpass-Verbot und ermöglichte schnellere Einbürgerungen, erhöhte aber gleichzeitig die Hürden hierfür.

Nennenswerte weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung gab es nicht. Dabei hatte die Ampel-Regierung hierfür eigentlich die besten Voraussetzungen. Im Juni 2023 stellte der noch von der Vorgängerregierung eingesetzte „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ einen umfassenden, detaillierten und wissenschaftlich fundierten Blueprint für die Gleichberechtigung von Muslimen in Deutschland vor.

Doch bis zu ihrem Regierungsende hatte die Bundesregierung keine einzige der dutzenden Handlungsempfehlungen der Expertenkommission umgesetzt. Der 400 Seiten starke Bericht verschwand erst in der Schublade und schließlich im Schredder des Bundesinnenministeriums.

2023 muslime

Foto: Deutscher Bundestag / Janine Schmitz /photothek

Der 7. Oktober änderte alles

Mit ihrer ausgrenzenden Politik gegenüber Muslimen und Asylsuchenden wäre die Ampel wahrscheinlich dennoch nur als Fußnote in die Geschichte der deutschen Islam- und Migrationspolitik eingegangen. Zu sehr hat man sich schon an die kontinuierlichen Gesetzesverschärfungen und stigmatisierenden Debatten gewöhnt. Wäre da nicht der 7. Oktober 2023.

Der Angriff der Hamas bildete den Startpunkt zu einer in der bundesdeutschen Geschichte beispiellosen Stimmungsmache gegen muslimische und arabischstämmige Menschen, die im öffentlichen Diskurs über alle Parteien hinweg als „Antisemiten“ und „Terror-Sympathisanten“ dargestellt wurden. Die bedingungslose Solidarität mit der rechtsextremen und mörderischen israelischen Regierung wurde begleitet von einem kaum für möglich gehaltenen Ausmaß an Ausgrenzung, Kriminalisierung und Stigmatisierung in Deutschland. 

Allen voran auch diesmal: Politiker der Ampel in einer über die gesamten Parteienlandschaften gefeierten Rede zu „Israel und Antisemitismus“ behauptete Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 2. November 2023 erst wahrheitswidrig, muslimische Repräsentanten in Deutschland hätten sich nicht von Hamas und Antisemitismus distanziert und drohte ihnen, sie würden „ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen“.

izh hamburg

Foto: Zairon, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Razzien blieben ohne Empörung

Dass das nicht nur eine leere Drohung war, bekamen muslimische Gemeinden unter anderem am 16. November zu spüren. Hunderte Polizisten stürmten über 50 Moscheen und islamische Einrichtungen in Deutschland. Die Bilder von vermummten und schwer bewaffneten Polizisten auf Gebetsteppichen wären in normalen Zeiten Anlass für weitreichende Empörung über den Zustand von Religionsfreiheit und Minderheitenschutz in Deutschland gewesen. Nach dem 7. Oktober schaffte es die größten Razzia gegen Muslime in Deutschland bestenfalls in eine Meldung auf die hinteren Zeitungsseiten. 

Als Behörden ein halbes Jahr später am 24. Juli 2024 Hamburgs Imam-Ali-Moschee, eine der ältesten Moscheen des Landes und Zentrum des schiitischen Lebens in Deutschlands, beschlagnahmten, widersprach kaum noch jemand öffentlich. So sehr hatte man sich in zweieinhalb Jahren Ampel-Regierung schon an die Grundrechtseinschränkungen gegenüber Muslimen und die Erzählungen von angeblicher islamistischer Unterwanderung gewöhnt. 

Repression statt Dialog

Wie selbstverständlich eine Islampolitik- und Migrationspolitik, die allein auf Repression und Abschreckung setzt, unter der Ampel geworden ist, wurde auch bei der Islamkonferenz im November 2023 deutlich. Das einst von Wolfgang Schäuble als Dialogforum ins Leben gerufene Format, wandelte die Bundesinnenministerin zu einer Bühne für staatliche Bevormundung und Ausgrenzung.

Ohne Begründung lud sie den Zentralrat der Muslime kurzfristig von der Veranstaltung aus. Auch kein anderer muslimischer Repräsentant durfte sich an das Rednerpult stellen. Statt sich dem ursprünglich angesetzten Thema „Muslimfeindlichkeit“ zu widmen, nutzte die Bundesinnenministerin die Veranstaltung für eine paternalistische Rede, die zum größten Teil selbst aus Muslimfeindlichkeit bestand.

Polizei Gewalt

Foto: Tim Eckert, Shutterstock

Ampel-Politik führte zu Entfremdung

Insbesondere die Repressionen im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost forcierte die Ampel-Regierung seit dem 7. Oktober in einem Ausmaß und mit einer Vehemenz, dass man mit der Empörung kaum noch hinterherkommt: Verbote von palästinensischen Symbolen und Slogans, Demoverbote, Absagen (vermeintlich) propalästinensischer Veranstaltungen, von denen auch viele jüdische Kulturschaffende betroffen sind.

Dass Menschenrechtsorganisationen Deutschland mittlerweile regelmäßig für Einschränkungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit kritisieren, die Zahlen antimuslimischer Straftaten und Diskriminierungsfälle so hoch sind wie nie: All das gehört zur Bilanz von drei Jahren Ampel-Regierung. 

Fragt man Angehörige von marginalisierten Gruppen in Deutschland selbst nach ihrer Meinung zur Ampel-Regierung, dann verblasst aber selbst diese beispiellose rassistische Diskursverschiebung angesichts des Frusts über das Unrecht, das Israel mit deutscher Hilfe im Nahen Osten begeht.

Mit der bedingungslosen Unterstützung eines Krieges, der täglich neue Verbrechen und Massaker produziert und vielen Experten längst als Völkermord gilt, hat die Ampel-Regierung Millionen von Menschen in Deutschland in einem Maß von deutscher Politik und Gesellschaft entfremdet, wie es Jahrzehnte rechter Migrations- und Islamdebatten nicht geschafft haben. Diese Folgen von drei Jahren Ampel wird die deutsche Gesellschaft wohl auch dann noch spüren, wenn Scholz, Habeck, Lindner und Co. längst in Vergessenheit geraten sind.

, ,

Muslimische Beerdigungen: Der Bedarf an Gräbern steigt

gräber

Fehlende Gräber in Deutschland: Warum immer mehr Muslime hier bestattet werden – und welche Herausforderungen das mit sich bringt. (KNA). Saad Akidi, 65, steht auf dem Bonner Nordfriedhof und spricht […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

, , ,

Syrische Stimmen: In Deutschland angekommen

herrschaft syrien deutschland

Bashar Abdo und Ameer Ghazy sind aus Syrien nach Deutschland geflohen. Was die beiden verbindet und worin sie sich unterscheiden – zwei Beispiele dafür, wie divers die syrische Community in Deutschland ist.

Bonn/Berlin (KNA) Den Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat Bashar Abdo auf dem Smartphone verfolgt. „Es macht mir Angst zu sehen, wie Abu Mohammed al-Dschulani mit seiner Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham von den Medien gefeiert wird“, sagt der 34 Jahre alte Syrer. Während er spricht, sitzt er angespannt auf seinem Bürostuhl in der Bonner Telekomzentrale und umklammert einen Kaffeebecher. Von Julia Rosner und Nikolas Ender

Blick aus Deutschland: Befürchtungen bezüglich HTS

2013 floh der damalige IT-Student aus Aleppo, weil er nach dem Examen zum Militär gehen sollte, wie er sagt. „Ich war neun Monate lang in der Türkei und dachte, der Krieg ist bald zu Ende“, erinnert er sich. Heute lacht er über diesen Satz. An ein Ende des Krieges glaubt er nicht mehr – auch nicht nach den Ereignissen der vergangenen Woche.

Abdo, der fließend Deutsch spricht, arbeitet seit drei Jahren als Data Engineer. Nebenbei ist er bei den Grünen engagiert, fährt Rad und geht dreimal in der Woche mit seinen Freunden schwimmen. „Ich bin froh, dass Assad und seine Familie nach 54 Jahren weg sind“, sagt er. „Sie haben Menschen getötet und gefoltert.“

Er wünscht sich nach eigenen Worten nichts sehnlicher, als ohne Angst nach Aleppo zurückzukehren, noch einmal durch den Olivenhain seines Vaters zu spazieren und im elterlichen Haus einen Tee zu trinken. Doch für immer zurückgehen könne er nicht: Seine Familie gehöre der kurdischen Minderheit im Land an, die täglich Gewalt erlebe.

HTS-Führer Al-Julani im ersten Interview mit einer westlichen Reporterin nach der Einnahme von Aleppo. (Screenshot: CNN)

„Ich habe Bedenken, dass die Leute von Haiat Tahrir al-Scham nicht besser sind als Assad. Sie sind eine Terrororganisation“, sagt er. Seine Tante, die anders als der Rest der Familie in Syrien geblieben sei und sich um die 500 Olivenbäume der Abdos kümmere, berichte täglich über Gewalt gegen Kurden. Erst vor ein paar Tagen habe sie erzählt, wie Abdos Cousin ohne Grund verhaftet worden sei und jetzt gefoltert werde. „Als Kurde hast du in Syrien keine Zukunft“, sagt Abdo.

Der Ingenieur warnt davor, junge Syrer und besonders Kinder, die in Deutschland gut integriert seien, jetzt überstürzt zurückzuschicken. „Sie sind nach so vielen Jahren Fremde für Syrien. Das ist nicht einfach. Dazu kommt, dass die Infrastruktur durch den Krieg komplett zerstört ist.“

Für seine nicht-kurdischen Landsleute, die aus eigenem Willen jetzt in die Heimat zurückkehren wollen, zeigt er dennoch Verständnis. „Wer religiös ist und die Mentalität Haiat Tahrir al-Schams hat, kann in Syrien jetzt vielleicht besser leben.“

Ameer Ghazy fühlt sich „als Deutscher“

Während Abdo an die Olivenhaine seines Vaters denkt, erinnert sich Ameer Ghazy an den süßen Duft von Jasmin in Damaskus. Zu Hunderten sei das Blümchen in den Straßen seiner Heimatstadt gewachsen, bevor es ab 2012 dem Geruch von Bomben und Munition habe weichen müssen.

Heute lebt der 32 Jahre alte Katholik mit seiner Familie in Berlin-Moabit, ist verheiratet und hat eine Tochter. In Syrien hatte er ein Importgeschäft mit Maschinenbauteilen, in Deutschland hat er in diesem Jahr ein Unternehmen gegründet, das Software und Social-Media-Marketing vertreibt. Von Anfang an sei es sein Ziel gewesen, anzukommen und zur Mitte der Gesellschaft zu gehören, wie er sagt.

Einbürgerung Extremisten kurzmeldungen

Foto: mpix-foto, Adobe Stock

In Syrien sei er geboren, Deutschland sei seine Heimat. Er habe nicht nur die deutsche Staatsbürgerschaft, sondern er fühle sich auch als Deutscher – auch wenn ihm manche das absprächen. Schließlich habe er den größten Teil seines Erwachsenenlebens in dem Land zwischen Nordsee und Alpen verbracht.

Die Diskussion um eine Rückkehr der syrischen Community versteht er nicht. „Ich habe inzwischen eine Familie hier – wie viele meiner syrischen Freunde.“ Anstatt Rückführungsdebatten zu führen, wünscht sich Ghazy von der Bundesrepublik mehr Engagement in seinem früheren Heimatland. Die Zukunft gehöre den Syrerinnen und Syrern, den Rückzug internationaler Großmächte sehe er positiv.

In seiner Berliner Wohnung riecht es noch nach seiner Geburtsstadt Damaskus, denn er hat ein Fläschchen mit Jasminduft gekauft. Wenn ihn jemand fragt, ob das nicht nur ein Duft für Frauen sei, sagt er: „Nein, Jasmin ist für alle da.“

, , ,

Empathielose Debatte? Deutschland diskutiert Syrien unter falschen Vorzeichen

syrien Debatte

Direkt nach dem Sturz von Assad beginnt hier eine Migrationsdebatte. Menschenrechtler widersprechen. Währenddessen ruft die Übergangsregierung in Syrien zu Rückkehr auf.

Berlin/Damaskus (ots, dpa, iz). Anlässlich der aktuellen Debatte um die Rückkehr Geflüchteter nach Syrien erklärte Nele Allenberg, die Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa des Deutschen Instituts für Menschenrechte:

„Menschen, die aus Syrien geflohen sind und hier als Flüchtlinge anerkannt wurden oder die aufgrund des Bürgerkriegs einen subsidiären Schutz erhalten haben, können zurzeit nicht nach Syrien zurückgeführt werden. Die Debatte direkt nach Bekanntwerden des Sturzes des syrischen Diktators Assad anzustoßen, zeugt nicht nur von Empathielosigkeit gegenüber den begeisterten und erleichterten Syrerinnen und Syrern, sie offenbart auch Unkenntnis über die rechtlichen Grundlagen.“

„Wichtig ist jetzt, mit außenpolitischen Mitteln rechtsstaatliche und demokratische Kräfte in Syrien zu stärken“, Nele Allenberg, Leitung der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa. (Foto: DIMR/B. Dietl)

Der Widerruf eines Flüchtlingsstatus oder einer Anerkennung als subsidiär geschützte Person setze eine erhebliche, wesentliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Situation im Herkunftsland voraus. Solange das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht einschätzen könne, ob Menschen nach ihrer Rückkehr in Syrien Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht, könne kein Widerruf erteilt werden.

„Wichtig ist jetzt, mit außenpolitischen Mitteln rechtsstaatliche und demokratische Kräfte in Syrien zu stärken, sodass Stabilität und Frieden einkehren können. Die Außenpolitik ist am Zug“, so Allenberg.

Chef der Übergangsregierung ruft zu „Heimkehr“ auf

Nach dem Befreiung rief der neue Regierungschef Mohammed al-Baschir syrische Flüchtlinge im Ausland auf, in ihre Heimat zurückzukehren. „Mein Appell richtet sich an alle Syrer im Ausland: Syrien ist jetzt ein freies Land, das seinen Stolz und seine Würde wiedererlangt hat. Kommen Sie zurück!“, sagte er in einem Interview der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“.

Nach dem Ende der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie muss nach den Worten al-Baschirs, der zunächst bis März amtieren soll, erst einmal Sicherheit und Stabilität in allen Städten Syriens wiederhergestellt werden, damit die Menschen zum normalen Leben zurückkehren können.

Es sei dann eines seiner vorrangigsten Ziele, seiner Heimat zu einem Aufschwung zu verhelfen. Dabei könnten Rückkehrer nach Syrien mit ihrer Erfahrung eine wichtige Rolle spielen. „Wir müssen unser Land wieder aufbauen und auf die Beine bringen, und wir brauchen die Hilfe aller“, sagte er.

, ,

Ehrenamt: Tafeln verzeichnen Zuwachs an Helfern – und haben Nachwuchssorgen

tafel

Mehr Menschen schenken ihre Zeit den Tafeln: Bundesweit engagieren sich 75.000 Menschen, um in einer der 975 Tafeln Lebensmittel zu retten und damit Menschen zu helfen. Das sind 15.000 mehr als noch 2023.

(Tafel.de). Mit 94 Prozent arbeitet der überwältigende Anteil aller Tafel-Aktiven ehrenamtlich. Trotz des Zuwachses benötigen knapp ein Drittel aller Tafeln dringend mehr freiwillige Helferinnen sowie Helfer und geben fehlenden Nachwuchs im Ehrenamt als eine ihrer größten Herausforderungen an.

„Seit der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine sowie der Inflation sind die Tafeln enorm belastet und unterstützen so viele Menschen wie nie zuvor mit Lebensmitteln, aber auch mit Zuspruch und Gemeinschaft. Wir arbeiten im Ausnahmezustand.

Das geht nur mit viel Kraft und durch eine unglaubliche Teamleistung. Zwei Millionen Stunden engagieren sich die Tafel-Aktiven jeden Monat, im Schnitt 22 Stunden pro Ehrenamtlichen. Das ist beeindruckend. Ich danke jeder Helferin und jedem Helfer für jede dieser Stunden“, sagt der Vorsitzende der Tafel Deutschland, Andreas Steppuhn, anlässlich des Tages des Ehrenamtes am 5.12.2024. 

„Zwei Millionen Stunden gespendete Zeit jeden Monat sind mehr als ein Zeichen der Solidarität. Dieses Engagement ist ein systemrelevanter Einsatz für unsere Gesellschaft und Demokratie.“ Von der Politik fordert Steppuhn, bürgerschaftliches Engagement nicht nur mit Worten zu würdigen, sondern auch ganz konkret zu unterstützen und zu fördern.

Ausgabe von Gemüse in der Tafel Duisburg e.V. (Foto: Reiner Pfisterer | Tafel Deutschland e.V.).

„Der Staat sollte diese ungeheure Kraft der Zivilgesellschaft hebeln, um unser Land zu gestalten. Engagement muss weniger bürokratisch staatlich gefördert werden, sowohl auf der Ebene der gemeinnützigen Organisationen und ihrer Arbeit als auch für den Einzelnen. Kostenfreie ÖPNV-Tickets sollten selbstverständlich sein, aber auch eine Anrechnung von freiwilligem Engagement auf die Rentenpunkte wären ein sinnvoller Anreiz“, so Steppuhn.

Der Dachverband der Tafeln hat vor fast zehn Jahren seine eigene Tafel-Akademie gegründet, um die Helferinnen und Helfer gezielt mit Wissen und Erfahrungsaustausch zu stärken. „Die Anforderungen an ein Ehrenamt werden immer komplexer und reichen von Buchhaltung sowie Vereinsrecht über Fundraising, Lebensmittelhygiene, Konfliktmanagement und Digitalisierung,“ sagt Marco Koppe, Geschäftsführer der Tafel-Akademie gGmbH.

„Hinzu kommt, dass sich die Lebensrealität gerade der jüngeren Menschen verändert hat. Ein Studium im Ausland, das Praktikum in der anderen Stadt, Vereinbarkeit von Familie, Freunden und Job sowie digitaleres und ortsgebundeneres Arbeiten führen dazu, dass Menschen sich nicht mehr so langfristig und mit weniger Stunden an ein Ehrenamt oder einen Verein binden, sondern kurzfristig in einem Projekt helfen wollen. Dafür müssen wir Tafeln befähigen, ihre Angebote für Helferinnen und Helfer anzupassen und durch hauptamtliche Kräfte zu ergänzen, die die Engagierten koordinieren und supporten“, ergänzt Koppe mit Blick auf die Nachwuchssorgen vieler Tafeln.

Mehr Informationen zur Arbeit der Tafel-Akademie: www.tafel-akademie.de

, , ,

Land in der Krise – ein Jahresrückblick 2024

Jahresrückblick

2024 brachte für die Bundesrepublik und ihre Muslime kaum Fortschritte und neue Herausforderungen. Ein Jahresrückblick.

(iz). Deutschland befand sich 2024 in einer Mischung aus inneren und äußeren Krisen (gerne als „Polykrise“ bezeichnet). Das Bündel offener und schwer lösbarer Fragen reicht vom Rechtsruck, der Zunahme autoritärer Einstellungen, der Implosion der Ampel über die schwierige wirtschaftliche Lage bis hin zum vielfach kritisierten Umgang unserer Politik mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten.

Jahresrückblick 2024: Land in der Krise

Das löst in weiten Teilen der Bevölkerung Sorgen und Ängste aus. Eine aktuelle Studie hat im Oktober gezeigt, wovor sich die Deutschen im Jahr 2024 fürchten. Ohnmachtsgefühle angesichts der zahlreichen Krisen führten dazu, dass sich die Menschen stärker auf ihre persönlichen Belange konzentrierten, erklärte die Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki.

Von dieser Krisenlage und resultierenden Besorgnissen sind die rund fünf Mio. Muslime Deutschlands nicht ausgenommen. Zusätzlich zu allgemeinen Krisensymptomen betreffen uns einige Phänomene gezielt. Muslime gehören zu den Objekten von Vorurteilen und Rassismen, die sich vom rechten Rand bis hin ins linksliberale Lager finden. Erschüttert mussten muslimische bzw. arabischstämmige Bürger bereits zum Jahresende 2023 erkennen, mit welcher Ahnungs- und Gefühllosigkeit selbst Vertreter der Ampelkoalition auf ihre Betroffenheit bezüglich des Gazakrieges reagierten.

asyl

Foto: Marco Urban, Deutscher Bundestag

Bundespolitik vernachlässigte Muslime

Ein Beispiel für den derzeitigen Umgang der Bundespolitik mit organisierten Muslimen zeigte sich an der CDU/CSU-Programmdebatte. Moniert wurde konkrete die geplante Formulierung „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Nach Kritik von außen heißt es nun: „Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“

Wobei dieser Satz nicht definiert, wer dieser „Islam“ als handelndes Subjekt sein soll. Für den früheren ZMD-Vorsitzenden Mazyek stellte diese Programmdebatte der Union „eine selektive Vorgehensweise“ dar, die antimuslimische Ressentiments bediene.

Im Februar sprachen muslimische Aktivisten und Verbände von einem „Generalverdacht“ – und beklagten Angriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen. Yasemin El-Menour von der Bertelsmann Stiftung sah in der Bundesrepublik eine Situation wie nach dem 11. September 2001. „Auch damals wurde Druck aufgebaut und von den Musliminnen und Muslimen in Deutschland gefordert, sich zu positionieren.“

„Von uns wird nicht nur erwartet, dass wir uns nach jedem Terrorakt distanzieren, sondern auch von Regierungen, Personen, Positionen, die als muslimisch motiviert gelesen werden“, beklagte IGMG-Generalsekretär Ali Mete. „Muslimen wird unterstellt, sie stünden solchen Taten nahe oder würden sie insgeheim begrüßen.“ Das unterfüttere Vorurteile.

Eines der konkreten „Opfer“ der gewandelten Verhältnisse war das zeitweise Verschwinden des UEM-Berichts „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023“ von der Webseite des Bundesinnenministeriums (BMI). „Auf 400 Seiten hatten Saba-Nur Cheema und zahlreiche weitere Wissenschaftler in mehr als einem Dutzend Studien und Expertisen das Bild eines Deutschlands gezeichnet, in dem Muslime in nahezu allen Lebensbereichen diskriminiert werden. Zugleich bot der Bericht mit zahlreichen Handlungsempfehlungen eine Art Blaupause für die Gleichberechtigung der Muslime in Deutschland“, beschrieb Fabian Goldmann in unserer April-Ausgabe den umstrittenen Vorgang. Befeuert wurde die Debatte um den wichtigen UEM-Bericht im Vorfeld auch vom Unionspolitiker de Vries.

Die Religionspolitik war stellenweise konstruktiver

Konstruktiver als die abstrakten „Islamdebatten“ zeigte sich die Religionspolitik gegenüber muslimischen Gemeinschaften in Deutschland. So betonte die inzwischen aus dem Amt geschiedene rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Dreyer, bis 2024 Staatsverträge abschließen zu wollen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende auch das Ziel eines Vertrags mit vier islamischen Verbänden erreichen werden“, betone sie bei einem öffentlichen Fastenbrechen im März.

Das Düsseldorfer Schulministerium und das Zentrum für Islamische Theologie in Münster haben sich im Mai heftige Kritik von muslimischen Lehrkräften und Eltern zugezogen. Sie kritisierten zwei aus ihrer Sicht fehlerhafte Studien zur Ausbildung von Theologen und Religionslehrern sowie zum Religionsunterricht im bevölkerungsreichsten Bundesland. Aus diesem Grund riet der Verband muslimischer Lehrkräfte den Eltern von einer Teilnahme an der Befragung ab.

Im Sommer setzte die Hamburger Bürgerschaft die Zusammenarbeit mit den Dachverbänden in der Hansestadt fort. Eine Mehrheit – jenseits der dort muslim-kritisch agierenden Union – stimmte für die Verlängerung. Vorausgegangen war eine zweijährige Prüfung. In einer Pressemitteilung nach der Abstimmung erklärte die SCHURA Hamburg, dass damit „eine neue Ära des Austauschs und der Zusammenarbeit“ begonnen habe.

Dass CDU-Chef Friedrich Merz nicht nur poltern kann, bewies er im September bei einem Besuch des Osnabrücker Islamkollegs Deutschland. Die dortige Ausbildung von Imamen hält er für sinnvoll. „Der Weg ist richtig, dafür zu sorgen, dass die 5,5 Millionen in Deutschland lebenden Muslime eine Chance haben, auch in ihren Moscheen in deutscher Sprache von Imamen begleitet zu werden, die in Deutschland ausgebildet worden sind“, sagte er nach einer Besichtigung. Ende 2023 hatten BMI und die türkische Diyanet vereinbart, die Entsendung von Imamen aus der Türkei langfristig auslaufen zu lassen. Zusätzliche Verbände betonten, künftig auf eine Ausbildung vor Ort setzen zu wollen.

Wie schon seit geraumer Zeit erwartet wurde, hat das BMI im Juli das IZH sowie angeschlossene Organisationen verboten. Die von dem Verein bisher kontrollierte „Blaue Moschee“ wurde geschlossen und beschlagnahmt. Sie steht damit unter der Verwaltung des Bundes. Das Verbot könnte beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dagegen klagen.

Auf politischen Druck hin trat das IZH Monate zuvor aus der Schura Hamburg aus. Die größeren Moscheeverbände reagierten verhalten. „Es gehört zur Aufgabe eines demokratischen Staates, sich wehrhaft gegen jede Form des Extremismus zu erweisen“, zeigte der ZMD Verständnis für die staatliche Maßnahme. Zugleich betonte er, dem IZH stünden alle rechtsstaatlichen Mittel zu Verfügung, um dagegen vorzugehen.

Foto: OsamaK, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Ableger von Hizb ut-Tahrir sorgen für schlechte Laune

Deutschlands Muslime mussten auch 2024 die Erfahrung machen, dass das Agieren ideologischer Extremisten wie die Hizb ut-Tahrir oder terroristischer Einzeltäter in Mannheim oder Solingen bestehende Debatten beschleunigen und radikalisieren.

Im April und im Mai konnte „Muslim Interaktiv“, eines der Nachfolgernetzwerke, unter polizeilichen Auflagen mit dem Slogan „Kalifat ist die Lösung“ in der Hansestadt auf die Straße gehen. Derzeit gilt die Stadt neben Berlin oder dem Ruhrgebiet als eines der Epizentren in Deutschland.

Am 2. Mai hatten organisierte Muslime in Hamburg genug. Sie widersprachen den Ideologen. „Wir beobachten die Parolen, das Auftreten und die verunsichernden Auswirkungen dieser Demonstration mit Sorge. Wir lehnen jegliche antidemokratischen Vorstellungen ab und warnen vor der Gefahr, dass ein solches Vorgehen in einer systematischen Ablehnung demokratischer Prozesse endet. Hier zeigt sich, wie Religion für eine politische Ideologie mit einer emotionalisierten Rhetorik instrumentalisiert wird“, hieß es in einer Stellungnahme der Schura Hamburg.

Durch die Inszenierung als „Verteidiger des Islams“ werde „ein einfaches Freund-Feind Schema“ bedient, welches Spaltung und Entfremdung befördere. Dieses gefährliche Vorgehen stehe unserem Ansatz eines pluralistischen Miteinanders diametral gegenüber.

Marginale Gruppen wie diese bewegen sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der Gemeinschaften und sind angewiesen auf die sozialen Medien und öffentliche Auftritte.

Einig ist man sich darin, dass Strukturen wie „Muslim Interaktiv“ ätzender werden. „Seit mehr als einem Jahr ist eine aggressive Grundhaltung zu sehen. Sei es bei der Flyer-Verteilung oder bei den Kundgebungen ist die Ansprache lauter, aggressiver und die Gebärden bedrohlicher. Vor den Moscheen werden die Menschen bedrängt und bei Wortgefechten werden auch mal die Regel der Adab fallen gelassen.“

Ein konkretes Ziel sind überall jene Aktiven, die Verantwortung in muslimischen Gemeinschaften und Vereinen übernehmen. „Es ist vorgekommen, dass Vertreter, Funktionäre von Gemeinden angesprochen, angegangen, bedrängt, beschuldigt und diffamiert werden.“

solingen messer

Foto: imago | Christoph Hardt

Die Frage nach der Messergewalt

Ein Sonderthema stellte 2024 die „Messerkriminalität“ dar. Sie wurde häufig in Verbindung mit Migranten und Muslimen gebracht. Hier fehlte es oft an einem differenzierten Umgang – sowohl bei denen, die Messergewalt rassistisch interpretieren, als auch bei jenen, die es verniedlichen. In der Kategorie „gefährliche und schwere Körperverletzungen“ stiegen sie um 9,7 % auf 8.951 Taten. Unter „Raubdelikten“ nahmen sie sogar um 16,6 % auf 4.893 Delikte zu.

Die Kriminalstatistik scheint einen Zusammenhang zwischen Delinquenz und Migration zu bestätigen. Tatverdächtige ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind mit 34,4 % in der Statistik deutlich überrepräsentiert. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt nur bei 15 %.

Studien zeigen: Ein wichtiger Grund dafür, dass Ausländer häufig in der Kriminalitätsstatistik auftauchen, ist nicht ihre Religion, Kultur oder Herkunft. Ausschlaggebend ist, dass sich die Kohorte anhand ihrer Demographie erkennbar vom hiesigen Durchschnitt unterscheidet.

So finden sich in der Gruppe vergleichsweise viele junge Männer – ein Charakteristikum, das deutschdeutsche Straftäter gleichfalls auszeichnet. „Bei Gewalttaten, die mit Messern begangen wurden, ist die mediale Verzerrung sogar noch größer. Bei ausländischen Tätern wird hier fast ausnahmslos die Herkunft genannt. Die Nationalität von deutschen Messertätern bleibt medial hingegen fast immer unerwähnt. Und das obwohl die meisten Täter nach wie vor Deutsche sind“, schrieb Fabian Goldmann bei uns zum Thema.

Muslimfeindlichkeit

Die CLAIM Allianz stellte am 24. Juni 2024 ihr Lagebild „antimuslimischer Rassismus“ in Berlin vor. (Foto: imago | Jürgen Heinrich)

Das Phänomen Muslimfeindlichkeit blieb auch 2024 einflussreich

Die Verschiebung politischer Diskurse und die innere Krisenhaftigkeit zeigte sich hinsichtlich von Muslimen am geringeren Interesse an Muslimfeindlichkeit. Dieses kündigte sich schon Ende 2023 an, als muslimische Vertreter ins BMI zitiert wurden und die Politik mit Generalvorwürfen und Distanzierungsforderungen operierte.

2024 haben die Mitte-Parteien von Union bis zu den Grünen hierbei auf eine abgeschwächte Kopie populistischer Stimmen gesetzt in der Hoffnung, ihnen das Wasser abzugraben. Dabei gehörten Muslime in diesem Jahr zu den Objekten von Hass und Ausgrenzung.

Im Juni veröffentlichte die CLAIM Allianz ihr Lagebild zur Islamfeindlichkeit in Deutschland. Verbale und körperliche Angriffe, Diskriminierung oder Sachbeschädigung: Durchschnittlich hätten sich ihr zufolge täglich mehr als fünf Vorfälle dieser Art ereignet. Antimuslimische Äußerungen im Internet fließen in die Lage nicht ein. Das Projekt wird bisher vom Bundesfamilienministerium finanziert.

Unterfüttert wurden diese Einschätzungen vom Politikwissenschaftler Kai Hafez. Muslimfeindlichkeit werde aus seiner Sicht zu wenig bekämpft. Die vier bis fünf Millionen Musliminnen und Muslime, die hierzulande lebten, würden „vom Innenministerium im Regen stehen gelassen“. Er warf Bundesinnenministerin Faeser vor, ihre Fürsorgepflicht für die hier lebenden Muslime zu vernachlässigen.

Hafez war Teil des aufgelösten Unabhängigen Experenrates Muslimfeindlichkeit. Er warnt vor den möglichen Folgen einer sich ausbreitenden Muslimfeindlichkeit. „Aus der Forschung wissen wir, dass Radikalisierung im Bereich des Islamismus viel mit Diskriminierungserfahrung zu tun hat.“

Die Zahl der Menschen, die bei islamfeindlichen Straftaten verletzt wurden, stieg an. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Petra Pau (Die Linke) im November hervor. Demnach zählten die Polizeibehörden in den ersten drei Quartalen dieses Jahres bundesweit 42 Verletzte durch Verbrechen, bei denen ein muslimfeindliches Motiv angenommen wird, darunter waren bisher vier Schwerverletzte.

Die Antwort der Regierung zeichne ein besorgniserregendes Bild, sagte sie. Zwar seien im dritten Vierteljahr dieses Jahres mit 117 Fällen weniger Taten gemeldet worden als im zweiten, als es 139 Straftaten waren. Doch sei eine zunehmende Brutalität der Angriffe zu erkennen.

Der hiesige Umgang mit Musliminnen und Muslimen beschäftigt längst auch internationale Menschenrechtsorganisationen und -institutionen. Anfang Mai veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) eine diesbezügliche Stellungnahme. Sie war der Bundesregierung „Versagen“ im Umgang vor. „Die deutsche Regierung versagt beim Schutz von Muslimen und Menschen, die als Muslime wahrgenommen werden, vor Rassismus angesichts zunehmender Vorfälle von Hass und Diskriminierung“, hieß es.

Grund dafür ist die mangelnde Dokumentation der Fälle und fehlende institutionelle Hilfe für die Opfer. „Ohne ein klares Verständnis von antimuslimischem Hass und Diskriminierung in Deutschland und ohne aussagekräftige Daten über Vorfälle und die Arbeit in den Gemeinden wird eine Reaktion der deutschen Behörden wirkungslos bleiben.“

muslimischen partei

Foto: annastills, Freepik.com

Wohin ging die muslimische Stimme?

2024 änderte sich etwas in der politischen Verfassung der muslimischen Wahlberechtigten. Das erste Mal wurden in einer Nachwahlbefragung zur EU-Wahl nach ihrer Entscheidung gefragt. Entgegen vergangener Jahre, in denen die Parteien der bisherigen Regierungspolitik auf sie zählen konnten, deuten die Ergebnisse eine Verschiebung an.

Demnach kamen die neuen Formationen BSW und DAVA aus dem Stand auf jeweils 17 % der Stimmen. Gefolgt wurden sie mit 13 % für die Union. Die Ampelparteien sowie Linke lagen auf den Plätzen 3-5. FDP und AfD konnten beim muslimischen Votum kaum Zustimmung verzeichnen.

Eine Debatte, die in den USA geführt wird, die hier aussteht: Gibt es in politischer Hinsicht ein handelndes Subjekt? Entgegen einer undifferenzierten Berichterstattung haben „die Muslime“ in den USA nicht innerhalb eines identitären Blocks abgestimmt.

Die Vorstellung, Menschen wählten hauptsächlich wegen ihrer Identität oder Herkunft, übersieht den Faktor ihrer konkreten Interessen. Auch in der deutschen Community findet seit Längerem eine Ausdifferenzierung und Bildung verschiedener Milieus statt. Ob sich Muslime bei künftigen Abstimmungen wie der vorgezogenen Bundestagswahl analog zur EU-Wahl entscheiden werden, ist unklar.

Die Schwierigkeit, hier mehr als nur zu spekulieren, liegt in erheblichem Maße an einem Mangel an Zahlen (verglichen bspw. mit den USA), die der aktuelle Mikrozensus offenbart hat. Die Kategorie der Religionszugehörigkeit wird bisher bei politischen Bekenntnissen kaum oder nicht abgefragt. Muslime sind in statistischer Hinsicht noch eine Leerstelle.

In Sachen „organisierter Islam“ wäre vorrangig der Anfang März angekündigte (und später vollzogene) Rückzug Aiman Mazyeks von der ZMD-Führung zu nennen. Das Gremium, das nach eigenen Angaben ca. 300 Moscheegemeinschaften repräsentiert, wird jetzt von Abdassamad El Yazidi geführt. Mit Mazyek nahm der bisher präsenteste muslimische Kopf seinen Hut. Es sieht nicht so aus, als würde das System des alle sechs Monate rotierenden KRM-Sprechers hier etwas ändern.

, , ,

Deutsche Angst: Was die Leute 2024 fürchten

angst

Am 23. August 2024 tötete ein Mann in Solingen drei Menschen. Seither nimmt die Angst vor Terrorismus und die Sorge um die innere Sicherheit zu. Das decken auch zwei Studien […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

, , ,

Zwischen Bangen und Hoffen

bangen hoffen debatte islamismus

Bangen und Hoffen: Die Bundesbürger sind mit multiplen Sorgen konfrontiert. Davon sind auch Muslime betroffen.

(iz). Den alten Chinesen wird der Fluch „mögest Du in interessanten Zeiten leben“ zugeschrieben. Umgekehrt ist das Zitat des Dichters und Dramatikers Bert Brecht belegt: „Glücklich das Land, dessen Geschichte sich langweilig liest“.

Es drückt die Vorstellung aus, dass ein Volk, dessen Geschichte „langweilig“ ist, in Frieden und Stabilität lebt. In solchen Zeiten gibt es keine Kriege und Krisen, die die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen.

Programmdebatte cdu pickel

Foto: Deutscher Bundestag / Thomas Köhler / photothek

Bangen und Hoffen: Es wird „interessant“ in Deutschland

Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass nicht nur wir Deutschen eine „interessante“ Phase der Geschichte erleben. Nicht zuletzt hat sich seit einigen Jahren der Begriff der „Polykrise“ in der Öffentlichkeit etabliert.

Die Krisenhaftigkeit unserer Zeit, die auch in den seit langem ungelösten Grundwidersprüchen unseres Lebensstils wie dem Raubbau an der Schöpfung begründet ist, löst bei den Deutschen Ängste und Sorgen aus.

Was unter der Regierung Merkel 16 Jahre lang an Krisenerscheinungen durch billige Energie aus Russland, Exporte nach China und daraus resultierenden relativen Wohlstand abgefedert wurde, bricht sich nun inmitten von Kriegen in Osteuropa und im Nahen Osten Bahn.

Die Folge sind vielfältige Ängste. Wie Studien zeigen (s. S. 15), sind die Deutschen verunsichert: Gewalt und Sicherheit, Migration, Armut, Inflation und Klimawandel – um nur einige zu nennen.

afd rechts

AfD-Kovorsitzende und Fraktionschefin Weidel spricht vor Kameras. (Juergen Novak, Shutterstock)

Von den Ängsten profitieren nur Demagogen

Von diesen Ängsten profitieren – weltweit – die Bauernfänger und Demagogen. Sie haben nur selten funktionierende Lösungen für reale Probleme anzubieten, sondern setzen auch bei uns auf die Bewirtschaftung von Befürchtungen und schüren Ressentiments.

Die Erfolge der AfD bei den diesjährigen Wahlen zeigen, dass dieses Vorgehen, das etwa von Trump perfektioniert wurde, erfolgreich sein kann. Umfragen unter jungen Menschen, die allen Grund haben, sich Sorgen um ihre Zukunft zu machen, zeigen, wie wirkungsvoll dies ist.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass in Krisenzeiten vor allem Minderheiten mit Ressentiments und Ausgrenzungen konfrontiert werden, die durch vorhandene Ängste erzeugt werden. Davon sind auch die deutschen Muslime betroffen.

Wie die EU-Grundrechteagentur FRA dokumentiert, werden sie in der Bundesrepublik nach Österreich am stärksten diskriminiert. Für die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, hat das inzwischen ein „alarmierendes Ausmaß“ erreicht. Die Bundesregierung müsse darauf reagieren. Dazu forderte sie Ende Oktober „umfassende Maßnahmen“.

, ,

Kurzmeldungen Deutschland (Nr. 352): von Außenpolitik bis zu Anschlägen in Deutschland

debatten kurzmeldungen

Die Kurzmeldungen aus Deutschland (Nr. 352) reichen von der deutschen Außenpolitik, über Diskriminierung in der Polizei bis zu den jüngsten Anschlägen. Israelische NGOs warnen vor Resolution TEL AVIV/BERLIN (IZ). 15 […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.