
Geschichte ist retrospektive Interpretation, die in uns, die im kollektiven Gedächtnis fortlebt. Dieses Fortleben der Interpretation vermag sich einerseits zu wandeln und progressiv zu wirken, birgt jedoch andererseits die Gefahr, […]
unabhängig seit 1995
Geschichte ist retrospektive Interpretation, die in uns, die im kollektiven Gedächtnis fortlebt. Dieses Fortleben der Interpretation vermag sich einerseits zu wandeln und progressiv zu wirken, birgt jedoch andererseits die Gefahr, […]
IZ+
Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.
Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.
Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.
* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.
Berlin (iz). Für die Nachkriegsgeneration ist der Krieg im Osten eine völlig neue Situation. Wer gehofft hatte, dass es sich nur um ein kurzes Zwischenspiel handelt, wurde bitter enttäuscht. Hoffnungen auf eine schnelle Lösung sind inzwischen im Bombenhagel zerstoben. Das Szenario einer eskalierenden Auseinandersetzung, geführt mit taktisch eingesetzten Atomwaffen, ist durchaus real. Ein Schock, aber schlichte Lähmung als Verhaltensmuster ist nicht gut genug.
Man nimmt mit Verwunderung zur Kenntnis, dass die Debatten um die Verwicklung der Bundesrepublik in einer der gefährlichsten Konflikte dieses Jahrhunderts mit wenig Leidenschaft geführt werden. Woran liegt das? Vermutlich an der Tendenz, diese entscheidende Krise mit einer gewaltigen und simplen Dialektik zu begegnen. Man ist nach der herrschenden Logik entweder für oder gegen Putin, für Kampf oder Aufgabe. Es gibt aber ebenso eine mögliche Position, die mit der Ukraine solidarisch ist und dennoch nicht jedem Ziel bedingungslos folgt.
Nötig wäre eine besonnene, öffentliche Auslotung des Mittelweges. Das hieße praktisch: Ja, man unterstützt den legitimen Kampf der Ukrainer, allerdings nur bis zu einem Punkt, der vor dem ultimativen Risiko des atomaren Wahnsinns liegt. Jetzt wäre es an der Zeit, diese Linie zu debattieren; zum Beispiel in der Form, unsere Waffenlieferungen dann in Frage zu stellen, wenn es der ukrainischen Führung tatsächlich um die Rückeroberung aller verlorenen Regionen einschließlich der Krim geht.
Selbst wenn diese selbstmörderische Strategie nach jahrelangen Krieg am Ende doch aufginge, wäre völlig unklar, wie diese Gebiete künftig befriedet werden. Wie sollen die russischen Bevölkerungsteile nach diesem Konflikt erfolgreich integriert werden? Wie wird eine ukrainische Innenpolitik am Ende der langen Phase des Ausnahmezustandes aussehen, welche Kräfte sich durchsetzen? Fragen, auf die unsere Diplomatie keine Antwort hat. Davon abgesehen wäre eine vollständige Niederlage aus Sicht des russischen Regimes nahezu undenkbar; mit der paradoxen Folge, dass eine atomare Reaktion auf diesen militärischen Erfolg der Ukraine nicht unwahrscheinlich wäre.
Eine endgültige Lösung braucht in jedem Fall Geduld, sie kann nicht militärisch erzwungen werden. Die Zurückhaltung des Bundeskanzlers gegenüber der Lieferung von Offensivwaffen ist daher vernünftig.
Die Hoffnung auf ein Frieden in der Ukraine ergibt sich einerseits aus einer diplomatischen Lösung, die echte Verhandlungen über den Status der umkämpften Region ergeben. Andererseits darf man darauf setzen, dass das aktuelle Russland auf Dauer an seinen eigenen Widersprüchen scheitert. Dazu gehört, dass die imperiale Rolle Moskaus ein Auslaufmodell ist: eine Phantasie, die auf Kosten des Wohlstands und der Gesundheit der Zivilbevölkerung durchgefochten wird.
Aus unserer Sicht ist die Lage prekär, denn diese Krise und ihre Nebenfolgen hat das Potential, eine Renaissance des europäischen Nationalismus einzuleiten. Nicht nur deswegen ist kein schlafwandlerisches Zuschauen, sondern mehr Leidenschaft in der Argumentation und Streitkultur das Gebot der Stunde. Man kann unterschiedliche Meinungen zu diesem Konflikt haben, aber äußern (können) sollte man sie auf jedem Fall.
Berlin (KNA). Deutschland liefert weiter Waffen an die am Krieg im Jemen beteiligten Länder. Allein für Kuwait erteilte die Bundesregierung zwischen dem 8. Dezember 2021 und dem 13. September 14 Einzelausfuhrgenehmigungen in Höhe von 1,3 Millionen Euro. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen hervor. Das Papier liegt der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vor.
Für Ägypten gab es demnach drei Genehmigungen über rund 377.000 Euro. Auch Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Sudan stehen auf der Liste der Empfänger. Diese Länder beteiligen sich an der von Saudi-Arabien angeführten Koalition am Krieg im Jemen. Für Saudi-Arabien selbst wurden keine Ausfuhren von Rüstungsgütern bewilligt.
Unlängst erst hatte ein Sprecher der Bundeswirtschaftsministeriums auf KNA-Anfrage bekräftigt, dass auch künftig Anträge für Exporte nach Saudi-Arabien abgelehnt würden. Allerdings gebe es einen Sonderfall. „Besondere Verpflichtungen Deutschlands gegenüber Nato-Bündnispartnern werden erfüllt. In diesem engen Rahmen sind Ausfuhrgenehmigungen als Ausnahme möglich“, so der Sprecher.
Wie aus der nun erfolgten Antwort an die Abgeordnete Dagdelen hervorgeht, gehören auch weitere Staaten im Nahen Osten und auf der Arabischen Halbinsel zu den Empfängern deutscher Waffenlieferungen. Neben Jordanien und Oman ist dies vor allem Katar, Gastgeber der diesjährigen Fußball-WM. Hier erteilte die Bundesregierung 46 Einzelausfuhrgenehmigungen für 20,7 Millionen Euro.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht an diesem Wochenende die drei Golfstaaten Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Katar. Dagdelen kritisierte, der Kanzler setze auf „Energiedeals mit blutigen Diktaturen am Golf“ und drohe den Weg für neue Waffenlieferungen freizumachen.
Was darf man lesen? Für den Deutschen Bibliotheksverband ist die Antwort klar: Alles, was man will. Nur dem Grundgesetz dürfen die Bücher, die man sich ausleiht, nicht widersprechen. Diese Einstellung teilt nicht jeder.
Berlin (KNA). Ein Kochbuch des Verschwörungstheoretikers Attila Hildmann, ein Kinderbuch mit dem Wort „Indianer“, ein anthroposophisches Buch zum Thema „Impfen“: So unterschiedlich diese Werke sind, gemeinsam ist ihnen, dass sie sich auf gesellschaftliche Debatten beziehen lassen und sehr unterschiedliche Emotionen wecken – bei manchen geht das so weit, dass sie die Verbreitung dieser Bücher mit Argwohn sehen und dies am liebsten unterbinden würden. Aus einer öffentlichen Bibliothek ausleihen können – das soll man sie nicht.
Der Deutsche Bibliotheksverband (dbv), der rund 9.000 Büchereien vertritt, beobachtet bundesweit einen zunehmenden Druck auf Bibliotheken, bestimmte Werke aus ihrem Bestand zu entfernen. „Wir sehen diese Entwicklung mit großer Sorge“, erklärte dbv-Bundesgeschäftsführerin Barbara Schleihagen am Donnerstag in Berlin. Es gebe vornehmlich von rechten, aber auch von linken Gruppierungen entsprechende Bestrebungen. Auch Leserinnen und Leser forderten vermehrt das Entfernen bestimmter Bücher.
Meistens handle es sich dabei um politische Literatur, aber auch um religiöse oder esoterische Werke. „Häufiger wird auch das Entfernen von Kinderbüchern verlangt“, so Schleihagen weiter. „Es gibt in der Gesellschaft eine starke Sensibilisierung dafür, welche Bücher man Kindern zu lesen geben möchte und welche nicht.“
Ähnliche Erfahrungen hat auch die Bibliothekarin Janin Präßler mit interkulturellen Büchern gemacht. So habe eine Mutter vehement gegen das Vorhandensein eines aus Saudi-Arabien stammenden Buches protestiert, in dem ein kleines Mädchen sich auf das Tragen des Kopftuchs freute, erzählt die Fachbereichsleiterin der Stadtbibliothek Treptow-Köpenick von ihrer Arbeit. Auch Bücher von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht oder die Veröffentlichungen zum Thema Einwanderung des Berliner Ex-Senators Thilo Sarrazin seien immer wieder Gegenstand von Bestandsdebatten.
Für Präßler dagegen ist das Thema Zensur ein rotes Tuch. „Bibliotheken sind demokratische Einrichtungen. Sie garantieren den freien Zugang zu Medien für alle“, betont sie mit Nachdruck. „Wer sind wir, dass wir den Menschen vorschreiben, was sie zu lesen haben? Es geht doch auch um den mündigen Bürger. Wer seine Medizin auspendeln will, kann das gerne tun“, so Präßler mit Blick auf esoterische Literatur.
Im vergangenen Jahr ging der Protest gegen bestimmte Bücher sogar bis zur Zerstörung: So wurden in der Zentralbibliothek des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg mehrfach heimlich Bücher zerrissen, die sich kritisch mit rechten Tendenzen beschäftigten oder linke Theorien vorstellten. Meistens wird Forderungen nach Entfernung jedoch durch E-Mails Nachdruck verliehen, manchmal werden auch Flyer in bestimmte Bücher gelegt. Auch das Bibliothekspersonal wird teilweise angegangen, wie Schleihagen berichtet.
Als eine Ursache für den verstärkten Druck, den Bibliotheken bundesweit wahrnehmen, sieht sie eine Tendenz zu Hass und Hetze im Internet. „Natürlich muss es Diskussionen um bestimmte Bücher geben – dies ist Zeichen einer lebendigen Demokratie“, so die Bibliothekarin. Das Fachpersonal, das die Bibliotheken betreue, müsse aber in der Auswahl seiner Bestände unabhängig bleiben. Einzig Bücher, die strafrelevante Inhalte aufweisen – etwa antisemitische oder volksverhetzende Schriften – kämen nicht in den Bestand von Bibliotheken.
„Die Grundlage von Bibliotheken ist die Meinungs- und Informationsfreiheit. Wir haben zum Beispiel Bücher von Impfgegnern genauso im Bestand wie Werke von Impfbefürwortern, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann“, betont Schleihagen.
Dabei entscheide jede Bibliothek grundsätzlich für sich, wie sie ihren Bestand aufbaue. Neben finanziellen Vorgaben spielt demnach auch der Standort und die Nachfrage eine Rolle, welche Bücher angeschafft werden. „Da muss man immer wieder abwägen.“
Seit dem 1. September heißt es wieder: „Gemeinsam essen, gemeinsam helfen.“ „Speisen für Waisen“, Deutschlands größte ehrenamtliche Aktion von Muslimen und Nichtmuslimen geht in die 11. Runde. Auch in diesem Jahr wird der „Speisen für Waisen“-Foodtruck auf Tour gehen.
Köln/ Berlin (IRD). Heute startet die bundesweite Aktion „Speisen für Waisen“. Damit ruft die humanitäre Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland bereits zum 11. Mal zum gemeinsamen sozialen Engagement von Muslimen und Nichtmuslimen auf. Ein Höhepunkt der Aktion waren dabei stets auch die sozialen Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft. Trotz der Kontaktbeschränkungen haben allein im letzten Jahr über 20.000 Menschen mitgemacht, kreative Lösungen für eine Teilnahme gefunden und für Waisenkinder in Not gespendet.
Die Idee ist einfach: Ob geselliges Frühstück mit Kollegen, Tee mit den Nachbarn oder üppiges Abendessen mit Freunden – Muslime laden Familie, Freunde und Bekannte gleich welcher Religion und Herkunft zu sich zum Essen ein und sammeln dabei gemeinsam Spenden.
Auch in diesem Jahr geht der „Speisen für Waisen“-Foodtruck auf Tour. In mehreren deutschen Städten wird das „Speisen für Waisen“-Mobil als Ort der Begegnung im Einsatz sein und über die Waisenarbeit von Islamic Relief Deutschland aufklären. Denn gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, sich um die Schwächsten zu kümmern, wie Nuri Köseli erklärt, der die Aktion bei Islamic Relief Deutschland verantwortet:
„Die Covid-19-Pandemie hat die Welt weiterhin fest im Griff. Gerade Waisenkinder sind davon betroffen, ihnen fehlt es oft am Nötigsten: sauberes Wasser, Essen, Medikamente. Mit unserem Waisenprogramm erreichen wir fast 12.000 Kinder in 26 Ländern weltweit. Hilfe ist gerade jetzt dringend notwendig. Daher möchten wir die Aktion auch in diesem Jahr so gut es geht umsetzen, bitten aber eindringlich darum, bei Spendenessen alle Covid-19-Auflagen einzuhalten, um sich selbst und andere zu schützen.“
Die Hilfsorganisation ist zuversichtlich, dass auch in diesem Jahr wieder viele Menschen „Speisen für Waisen“ unterstützen werden und sich unter den gegebenen Umständen mit neuen und kreativen Teilnahmen sowie Spendenaktionen einbringen– zum Beispiel ein Grillfest im Freien oder ein Frühstück im kleinen Kreis.
Die Aktion läuft insgesamt sechs Wochen und endet am 8. Oktober, dem Geburtstag des Propheten Muhammad, der als Vorbild dient, da er selbst eine Waise war und zugleich zeitlebens für Waisenkinder sorgte. Seit Beginn der Aktion im Jahr 2013 haben in ganz Deutschland über 200.000 Menschen an einem Essen teilgenommen.
Wer in diesem Jahr bei „Speisen für Waisen“ mitmachen möchte, kann sich unter 0221 200 499 2213 anmelden und kostenloses Aktionsmaterial bestellen. Gleiches geht auch online unter www.speisen-fuer-waisen.de
Berlin sucht sich auf der UN-Klimakonferenz als Vorreiter beim Klimaschutz zu präsentieren. Kritiker weisen auf deutsche Klimaschutzblockaden und gebrochene Finanzzusagen hin.
GLASGOW/BERLIN (GFP.com). Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow sucht sich die Bundesregierung zum wiederholten Mal als Vorreiterin beim globalen Klimaschutz zu präsentieren. Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt zu Beginn der Konferenz mit gleich zwei Reden auf; die geschäftsführende Umweltministerin Svenja Schulze erklärt, die Bundesrepublik sei bestrebt, bereits bis 2045 klimaneutral zu werden – „fünf Jahre früher als auf EU-Ebene“.
Beobachter geben sich skeptisch: Berlin hat in der Vergangenheit im Interesse der deutschen Kfz-Industrie jahrzehntelang eine Verschärfung der CO2-Normen in der EU blockiert; bei den Berliner Koalitionsverhandlungen sind einfache Maßnahmen wie ein verbindliches allgemeines Tempolimit schon jetzt vom Tisch.
Haben zahlreiche Schwellenländer ihre Reduktionsziele nicht ausreichend konkretisiert oder unzulängliche Pläne vorgelegt, so haben die reichen Industrieländer Finanzzusagen gebrochen, die Klimaschutzprogramme in Entwicklungsländern ermöglichen sollen. Abgesehen davon nimmt die Stromerzeugung aus der besonders klimaschädlichen Kohle zu – in China, in den USA und vor allem in der Bundesrepublik.
Trotz des anstehenden Koalitionswechsels in Berlin bemüht sich die kommissarisch agierende Bundesregierung, eine möglichst starke Präsenz auf der Klimakonferenz im schottischen Glasgow (COP26) zu zeigen, die am Sonntag begonnen hat und bis zum 12. November andauern wird. So wollte die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel bei dem knapp zweiwöchigen Gipfeltreffen gleich zwei Reden halten – am Montag gleich zu Beginn vor den angereisten Staats- und Regierungschefs, anschließend bei dem PR-Event „Action and Solidarity – the Critical Decade“.
Alle Bundesregierungen waren in den vergangenen Dekaden bemüht, bei solchen Gipfeltreffen die Bundesrepublik als Vorreiterin beim Klimaschutz zu präsentieren. Neben Merkel sind Dutzende weitere Staats- und Regierungschefs nach Glasgow gereist, die ebenfalls die Öffentlichkeit in Ansprachen adressieren, darunter US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Laut Auskunft eines Regierungssprechers will sich Berlin unter anderem für den „Ausbau der Finanzzusagen für ärmere Staaten“ einsetzen; die Mittel sollen Klimaschutzprogrammen und der Umstellung auf regenerative Energien zugute kommen. Die deutsche Wirtschaft hofft, sich eine führende Marktposition als Exporteur von Klimatechnologien sichern zu können. Überdies wolle Kanzlerin Merkel den Druck auf China erhöhen, damit sich Beijing „auf verbindliche Ziele zur Emissionsminderung bis 2030“ verpflichte, hieß es weiter.
Man werde trotz des Umstandes, dass in Glasgow nur eine geschäftsführende Regierung auftrete, nicht als „lame duck“ – die sprichwörtliche „lahme Ente“ – agieren, heißt es in Berlin: Man sei „voll handlungsfähig“. Neben der Ankündigung einer „substanziellen“ Erhöhung der klimapolitischen Finanzhilfen für Schwellen- und Entwicklungsgelder von zuletzt sieben Milliarden Euro pro Jahr will Berlin auf der COP26 auch mit Beschlüssen zur beschleunigten Energiewende punkten. Deutschland komme „mit einem starken, neuen und rechtsverbindlichen Klimaziel nach Glasgow“, beteuerte die geschäftsführende Umweltministerin Svenja Schulze (SPD): Man wolle bereits bis 2045 klimaneutral werden – „fünf Jahre früher als auf EU-Ebene“.
Deutschland sei in der Lage, auf der Klimakonferenz „Brücken zu bauen zwischen den einzelnen Lagern“, da man „die Erfahrung und die Vertrauensbasis“ dafür habe. Umweltverbände fordern indes von Berlin, sich konkret dafür einzusetzen, dass in Glasgow die im Pariser Abkommen festgeschriebenen Klimavorgaben nicht durch einen globalen Markt für CO2-Emissionsrechte ausgehöhlt werden. Es bestehe die Gefahr, dass reiche Länder sich bei einem „Ablasshandel“ mit CO2-Kompensationen von ihren Klimaschutzverpflichtungen freikauften, warnt etwa Greenpeace.
Klimapolitiker von Bündnis 90/Die Grünen äußern überdies die Hoffnung, die Klimakonferenz in Glasgow könne auch die parallel geführten Berliner Koalitionsgespräche positiv beeinflussen. Die COP26 sei eine „Chance“, „Impulse für den Klimaschutz in Deutschland“ zu liefern, erklärte die klimapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Lisa Badum. Solche Stellungnahmen sind freilich auch Ausdruck der starken Widerstände, die einer konsequenten Klimapolitik vor allem aus deutschen Wirtschaftskreisen entgegengesetzt werden. Ohnehin hat sich Berlin unter den Regierungen von Gerhard Schröder und Angela Merkel im Interesse der innovationsfaulen deutschen Autoindustrie jahrzehntelang als klimapolitischer Bremsklotz betätigt, indem es EU-weite Verschärfungen der CO2-Normen torpedierte.
Bei den laufenden Koalitionsverhandlungen blockiert vor allem die FDP eine konsequente Klimapolitik, weshalb inzwischen unter anderem ein verbindliches Tempolimit vom Koalitionstisch ist. Konservative Leitmedien begleiten die Koalitionsgespräche mit Klagen über hohe Kosten, die auf Schlüsselbranchen der deutschen Industrie im Verlauf der angepeilten Wende zu regenerativen Energien zukämen.
Allein die deutsche Stahlbranche wird demnach Investitionen in Höhe von 30 Milliarden Euro tätigen müssen, weshalb die Stahlkonzerne, wie es heißt, nach „Betriebsbeihilfen“ riefen und fürchteten, „von Billigimporten aus weniger ambitionierten Regionen überrollt zu werden“. Ähnlich verhält es sich auf dem Autosektor, wo Branchenvertreter milliardenschwere staatliche Investitionen unter anderem in „Ökostrom, Ladesäulen, Wasserstoff, E-Fuel und bei der Digitalisierung“ fordern.
Dabei gilt die Glasgower Klimakonferenz Beobachtern als „letzte Chance“ für das Weltklima. Die rund 140 Staaten, die sich an dem Treffen beteiligen, sollen die weitere Umsetzung des Pariser Klimaabkommens diskutieren und konkretisieren, das eine Beschränkung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius vorsieht. Dazu sollen im Konferenzverlauf im Idealfall neue, verschärfte Klimaschutzziele beschlossen werden, um die akut gefährdeten Reduktionsziele doch noch zu erreichen.
Bislang haben dies vor allem Industrieländer wie die Bundesrepublik und die USA im Rahmen nationaler Selbstverpflichtungen getan; dies soll nicht zuletzt dazu dienen, Schwellenländer wie Indien und insbesondere China unter Druck zu setzen. Die bisherigen Zusagen reichen Experten zufolge „bei Weitem“ nicht aus: Sollten in Glasgow keine weiteren Selbstverpflichtungen hinzukommen, dann werde der CO2-Ausstoß „2030 um 16 Prozent höher liegen als 2010“; das wiederum lasse die Welt auf einen katastrophalen Temperaturanstieg von rund 2,7 Grad zutreiben.
Streit ist, wie es heißt, auch bei der Frage der Verpflichtungsperioden für Verschärfungen beim Klimaschutz programmiert. Schwellenländer wie China fordern möglichst lange Laufzeiten von rund zehn Jahren, während die westlichen Industriestaaten eher kurze Perioden von fünf Jahren favorisieren. Weitere Konfliktfelder bilden der Emissionshandel bzw. die Option, mit Verschmutzungsrechten zu handeln; das könnte vor allen Industrieländern die Option eröffnen, sich von den eigenen Emissionen „freizukaufen“. Bislang konnte keine Einigung auf Regeln für den Emissionshandel erzielt werden.
Schließlich wird es in Glasgow auch ganz konkret ums Geld gehen: Von den jährlichen Transfers in Höhe von rund 100 Milliarden Dollar von 2020 bis 2025, die den Entwicklungsländern zuletzt zum Zweck des Klimaschutzes von Industriestaaten versprochen wurden, ist bislang nur ein Teil geflossen. Auch hier fordern die westlichen Industrieländer, insbesondere China müsse sich künftig stärker an den Finanztransfers beteiligen.
Freilich sind nach Ansicht von Beobachtern nicht nur die Schwellen-, sondern auch die Industrieländer kaum bereit oder in der Lage, die notwendigen radikalen Maßnahmen für einen nachhaltigen Klimaschutz zu implementieren. Die meisten an der Konferenz teilnehmenden Staaten hätten ihre klimapolitischen Hausaufgaben nicht gemacht, heißt es trocken. So fehlten etwa Reduktionsverpflichtungen von „Schwergewichten“ wie China, Indien und Saudi-Arabien; zudem hätten Staaten wie Australien, Brasilien, Mexiko und Russland neue Klimaziele eingereicht, die „keine Verbesserung oder gar eine Verschlechterung zu den alten Zielen“ darstellten.
Anstatt des daraus resultierenden Emissionsanstiegs von 16 Prozent bis 2030 sei jedoch ein massiver Rückgang des CO2-Ausstoßes von 45 Prozent gegenüber 2010 notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ hätten allerdings vor allem die reichen westlichen Staaten, da sie ihre Finanzierungszusagen gegenüber den Entwicklungsländern nicht eingehalten hätten. Sprecher der Nichtregierungsorganisation Oxfam erklärten, gebrochene Finanzzusagen der Zentren gegenüber der globalen Peripherie bildeten eine „schwere Hypothek für die Klimakonferenz“ und stellten den Erfolg des Gipfels in Frage.
Unterdessen belegt die global in hohem Tempo ansteigende Nachfrage nach dem besonders klimaschädlichen fossilen Energieträger Kohle, dass ein nachhaltiger Klimaschutz mit dem Wachstumszwang der globalen Marktwirtschaft kaum vereinbar ist. Der Preis pro Tonne Kohle ist von rund 50 US-Dollar im Herbst 2020 auf inzwischen mehr als 220 US-Dollar angestiegen – das Ergebnis eines rasch zunehmenden Verbrauchs. Dabei führen insbesondere die staatlichen Konjunkturprogramme, die in Reaktion auf die Covid-19-Pandemie aufgelegt wurden, zu einem schnellen Anstieg der Kohleverbrennung.
In China wird auf Anweisung der Regierung in Beijing mehr Kohle gefördert, um die Energieengpässe der vergangenen Monate zu mildern. In den Vereinigten Staaten soll die Stromerzeugung aus Kohle in diesem Jahr um 22 Prozent zunehmen; in Deutschland, das sich gerne als Vorreiter beim Klimaschutz darstellt, wird die Verstromung von Braun- und Steinkohle sogar um 41 Prozent steigen. Der besonders emissionsintensive Brennstoff erlebt, wie Beobachter konstatieren, aufgrund des Nachfrageschubs ein „Comeback“.
„Trauernde Mütter beerdigen ihre Söhne, den einen mit schwarzem Taliban-Turban, den anderen mit der Uniform der afghanischen Armee. Das ist die wahre Tragödie des Krieges, und sie will, so scheint es, einfach kein Ende nehmen.“
Am 15. August verkündeten die Medien der Welt die Einnahme der afghanischen Hauptstadt Kabul nach einer rapiden, und oft kampflosen, Kampagne der Taliban. Ihre konfusen und erschreckenden Bilder illustrieren das Schlagwort eines „2. Saigon“ und einer „Niederlage des Westens“. Erschreckend aktuell und als Abgesang auf den längsten Krieg der US-Geschichte ist ab dem 30. August das neue gleichnamige Buch des Journalisten und Autoren Emran Feroz im Handel erhältlich.
(iz). Was den Text des Autors, der sich in einem Interview just als „Austro-Afghanen“ bezeichnete, so wichtig macht: Er erzählt nicht den Krieg der Amerikaner (und ihrer Verbündeten), sondern den der Afghanen, der „bereits seit dem Ende 1970er-Jahre“ andauert. Liest man ihn, mutete das jüngst kolportierte Schlagwort von „unserer Niederlage“ beinahe zynisch an, wenn wir bedenken, dass es vor allem die Menschen dieses Landes waren, die seit 1979 (spätestens aber 2001, den eigentlichen Zeitraum des Buches) den höchsten Preis zahlten und weiterhin zahlen.
Emran Feroz’ Buch ist ein starker Text, der noch dadurch gewinnt, dass er sich so weit wie möglich einer Metaebene enthält und dass er Geschichte und Gegenwart sowie seine direkten Erfahrungen und die Berichte seiner Gesprächspartner sprechen lässt. Feroz, der mit offenen Augen durch das Land, seine Geschichte und die aktuellen Vorgänge geht, verzichtet auf die Klassifizierung und Othering des Gegners. Er schildert die Taliban als real-existierenden Bestandteil der afghanischen Gesamtlage.
Seine Absicht sei vor allem gewesen, „die afghanische Sichtweise der Dinge deutlich zu machen“. Er wollte einige Märchen und Falschaussagen „rund um den Afghanistan-Krieg“ dekonstruieren. Afghanistan dürfe „nicht zur Projektionsfläche für den eigenen Eurozentrismus“ werden. Wegen einer Vorprägung „durch die mediale Berichterstattung“ gleiche sein Vorhaben „auch einer Zurückeroberung dieser ganz anderen Sichtweise auf den Krieg in Afghanistan“.
Für ihn sei die eigene Herkunft kein Hindernis, sondern habe vielmehr „eine wichtige, konstruktive Rolle“ gespielt. Denn sein Zugang unterscheide sich grundsätzlich von dem der meisten Kolleg:innen aus dem Westen. Meist sei er, so Emran Feroz, in einfachen Taxis unterwegs gewesen, „und nicht mit kugelsicheren SUVs und bewaffneten Sicherheitspersonal“. Das Buch ist nicht von der Warte des „eingebetteten“ Journalisten geschrieben, sondern profitiert von direkten Eindrücken vor Ort und von Gesprächen mit allen Beteiligten – von Vertretern der Zivilgesellschaft, über korrupte Politiker bis hin zu Repräsentanten der Taliban.
So wie Feroz die Geschichte des unendlich scheinenden Krieges in Afghanistan schreibt, so lässt er auch seine Biografie anklingen an Stellen wie: „Ab dem 12. September 2001 war ich in der Schule plötzlich ‘der Afghane’, mit dem selbst die Türken, Bosniaken oder Serben nichts anfangen konnten.“ Obwohl es notwendigerweise um die Afghanen und ihr Land geht, zeichnet Emran Feroz gleichermaßen die globalen Dimensionen des Anti-Terror-Krieges, den weltweiten Verlust von Bürgerrechten sowie die Militarisierung von Islamkritik. Und „Der längste Krieg“ – auch das ist wichtig – ist eine kritische Obduktion der deutschen Berichterstattung und Debatte. Das ist nicht nur ein theoretisches Spiel, denn beinahe alle Menschen beziehen ihr Wissen (oder Nichtwissen) von Afghanistan über die mediale Vermittlung. „Die westliche Kriegsberichterstattung hat mich meist frustriert (…). Oftmals war sie geprägt von Unwissen oder rassistischen und orientalistischen Stereotypen.“ Allein schon von „den Afghanen“ zu sprechen, offenbare große Ignoranz, denn die verschiedenen Gruppen, die auf dem Boden des heutigen Afghanistan leben, seien überaus heterogen.
„Am 7. Oktober 2001 begann der längste Krieg der amerikanischen Geschichte. Zum damaligen Zeitpunkt wusste das natürlich noch niemand“, beginnt Feroz seine Beschreibung des blutigen Konflikts. Um die folgenden Ereignisse der letzten 20 Jahre zu begreifen, muss man allerdings die Vorgeschichte kennen. Und diesen Dienst leistet der Autor mit seiner präzisen Erzählung, die durch Berichte und Erlebnisse damaliger Zeitgenossen unterfüttert wird.
Genauso wichtig wie die nüchterne Darstellung eines blutigen Krieges ist, deren Opfer noch nicht einmal gänzlich bekannt sind, ist der Perspektivwechsel, zudem uns Emran Feroz zwingt. Denn häufig werde versucht, die Gewalt dieses Konfliktes zu „afghanisieren“. So entstehe ein Bild, wonach der Westen mit all dem nichts zu tun hätte. „Wir wollen doch nur helfen, doch die Barbaren zerfleischen sich untereinander.“ Dieses Narrativ, so der Autor, werde konsequent durchgedrückt und immer wieder neu aufgerollt. „Die Opfer westlicher Gewalt werden stets als Kollateralschäden dargestellt, die man eigentlich nicht töten wollte.“
Ein anderer Topos, der nach dem rapiden Durchmarsch der Taliban erneut die Runde in Redaktionen macht, ist das Schlagwort vom „Friedhof der Supermächte“. Einerseits stimmt das „in gewisser Hinsicht“. Immerhin scheiterte nach den Briten und den Sowjets erneut eine Supermacht am Hindukusch. Andererseits seien es „in erster Linie“ jene Supermächte gewesen, die Afghanistan zum Friedhof der Afghanen gemacht hätten. „All die namenlosen Zivilisten, die in den letzten zwei Jahrzehnten getötet wurden, sind auch der Grund, warum die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten heute als Verlierer dastehen.“ Und diese Gewaltexzesse haben laut dem Autor einen „Rückstoß“ (oder Blowback) für die westlichen Militärmächte erzeugt. „Extremistische Akteure wie die Taliban sind ein großer Teil des Problems. Allerdings sind sie in erster Linie ein Symptom und nicht die Ursache.“
Es ist Emran Feroz zu danken, dass er allzu simple binäre Weltbilder nicht durchgehen lässt. Dies richtet sich vor allem an linke Kritiker des westlichen Engagements am Hindukusch, die gleichzeitig die Besetzung durch die Sowjets und ihren blutigen verherrlichen. „Im Laufe der zehnjährigen sowjetischen Besatzung wurden rund zwei Millionen Afghanen getötet, während zahlreiche weitere als Geflüchtete durch die verschiedensten Länder ziehen mussten.“ Das Buch macht deutlich, dass viele Dinge aus dieser Zeit weiterhin stark mit der Gegenwart verstrickt seien.
Was „Der längste Krieg“ interessant und relevant macht, sind jene Episoden und Entwicklungen, die es nicht in die heutigen Schlagzeilen schaffen. Dazu gehört die Erinnerung, wie der blutige Bürgerkrieg nach Ende der kommunistischen Episode den Boden für die Ankunft der Taliban bereitete. Eine andere, von Emran Feroz beschriebene Entscheidung, ist der Vorgang, durch den der erste Präsident Afghanistans im 21. Jahrhundert, Hamid Karzai, überhaupt an seine Position kam. „Der paschtunische Stammesführer mittleren Alters“ sei damals praktisch ein Niemand gewesen. „Doch er wusste, dass seine Zeit gekommen war.“ Was ihn von den anderen Gegnern der Taliban unterschieden habe, sei gewesen, dass er kein Krieger, sondern ein Diplomat und Politiker gewesen sei. Obwohl ihn Beobachter wie der Diplomat Norbert Holl als Figur mit „begrenztem Potenzial“ erlebt haben, wurde er dank seiner Verbindungen zu entscheidenden Akteuren in das spätere Amt gehievt.
„Der längste Krieg“ ist kein Buch über die politische Klasse des Afghanistans zwischen 2001 und 2021. Aber am Beispiel Karzais, der den ganzen Text hindurch immer wieder auftaucht, wird deutlich, wie ungeeignet sie im Laufe der letzten 20 Jahre war, die Mindestbedingungen für ein friedliches Land zu gewährleisten. Da die Warlords, ehemaligen Kommandeure der Mudschahidin sowie Drogenbarone die Innenpolitik der letzten 20 Jahre mitbestimmten, durch ihre Korruption schon alleine eine größere Entwicklung verunmöglichten und die Menschen von der Regierung entfremdeten, müssen auch sie beleuchtet werden.
Neben einer Darstellung der ideologischen Hintergründe des „War on Terror“ sowie einem Kapitel mit „Auszügen des Grauens“, in dem drastisch die Kriegsverbrechen der internationalen Allianz in Afghanistan beschrieben werden, bildet die Beschreibung der „sechs großen Vergehen des ‘War on Terror’ in Afghanistan“ den Kern des Buches. Gerade durch diese beiden letzten Abschnitte wird klar, dass sich die Menge der Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung nicht einfach in der Logik einzelner, krimineller Soldaten erklären lassen. Vielmehr sind sie – hier bietet sich der häufig unpassende Vergleich mit Vietnam tatsächlich an – das Ergebnis eines bewussten Kalküls und dementsprechender operationeller und taktischer Vorgaben gewesen. Jüngst merkte selbst „Foreign Affairs“ an, dass das berühmte Schlagwort von „Hearts & Minds“ auch in Afghanistan nicht funktioniert habe.
Das erste „Vergehen“ der westlichen Mächte sei die Beförderung von Terror durch Folter gewesen. Feroz erzählt die Geschichte der Misshandlungen und ihres „Blowbacks“ anhand des berühmt-berüchtigten Stützpunktes Bagram. In dieser „Art afghanisches Guantanamo“ sei tagtäglich gefoltert worden. Die meisten Häftlinge in der bereits von den Sowjets errichteten Basis blieben namenlos und unbekannt. Entschädigungen für die Getöteten und Misshandelten wurden bisher nicht gezahlt. Bagram war aber nicht „nur“ Ort von Folter und Tod, sondern auch der Anstoß für Radikalisierung. Viele Opfer hätten sich „erst nach ihrer Freilassung“ extremistischen Gruppen angeschlossen.
Als zweiten Punkt sieht Emran Feroz eine „Kreuzzügler-Kultur“ unter westlichen Truppen, Ideologen des Einsatzes und in den Medien. Das Narrativ von Gut gegen Böse sei ein Tabu im Westen und würde in den USA, in Europa und in Australien nur selten hinterfragt. Viele westliche Soldaten in Afghanistan hätten die Afghanen „nicht als Individuen“ gesehen, denen man auf gleicher Augenhöhe begegnen müsse, „sondern als Freiwild, das zum Abschuss freigegeben wurde“. Ein Beispiel dafür sei die Verherrlichung der Soldaten in der heutigen Popkultur.
Drittens beschreibt „Der längste Krieg“ den Komplex aus „Warlordismus“, Korruption und der „Lüge der Demokratie“. Es sei das Personal, das nach dem Einmarsch ab 2001 an die Macht kam, welches einen möglichen Rechtsstaat in Afghanistan „konsequent ausgehöhlt“ habe. Karzai und Konsorten hätten Korruption geduldet und gefördert. Außer den Familien im Umfeld der politischen Macht zählten die ehemaligen Warlords und Mudschahidin-Führer zu den größten Plünderern des jungen Staates. Von den vielen Geldkoffern, welche die neuen Herren nach Afghanistan brachten, hätten viele das Land auch wieder verlassen. „Im Schatten von Slums und Flüchtlingslagern“ in Kabul seien pompöse Villen und Hochhäuser entstanden. Milliarden Hilfsgelder für Witwen, Kinder und Bauern seien an die Profiteure der Regierung geflossen.
Das vierte Vergehen des Westens in Afghanistan sei der Terror durch „CIA-Schergen“ gewesen. Im Laufe des Anti-Terror-Kriegs wurde dieser Gegen-Terror durch Medien und Experten als „Aufstandsbekämpfung“ beschönigt. Den Menschen im Westen sei immer wieder weisgemacht worden, dass die nötige Gewalt nur gegen Terroristen und nicht gegen Zivilisten gerichtet sei. Entgegen des herrschenden Narrativs von „präzisen“ Drohnen und Geheimoperation seien unzählige Menschen durch „Predator-Drohnen der Amerikaner“ gejagt und ermordet wurden. Bisher blieben diese Opfer sowohl namenlos als auch gesichtslos.
Als vorletzten Kritikpunkt am westlichen Projekt in Afghanistan führt Emran Feroz die „Generierung von Fluchtwellen“ an. Am Beispiel 2015 macht der Autor deutlich, dass die Regierung allein durch die Ausstellung von Reisepässen Profite durch die Ausreisewilligen erzeugen wollte. Dank einer instabilen Regierung des nun geflohenen Präsidenten Ghani schufen Selbstmordangriffe der Taliban und Anschläge ein Klima der Angst, vor dem viele über die Grenze flohen. „2015 gehörte der Krieg in Afghanistan zu den tödlichsten Konflikten der Welt.“ Bereits an diesem Punkt hätten die NATO-Missionen all ihre Ziele verfehlt. Anhand eindrücklicher Beispiele beschreibt Emran Feroz, wie diese schon schwere Lage durch das langjährige Abschieberegime europäischer Staaten wie Deutschland und Österreich erschwert wurde. In diesem Thema sieht Feroz eine verhängnisvolle Verbindung von inhumaner Abschiebepraxis mit einer korrupten afghanischen Regierung.
Und schließlich spricht Emran Feroz das schmerzhafte Kapitel der Lage von Frauen während des gesamten Krieges, unter den Taliban aber auch in unserer hiesigen Propaganda an. Für ihn ist die vorgebliche „Frauenbefreiung“ des westlichen Einsatzes eine „Mär“. Seit jeher gehöre dieses Thema „zu den wichtigsten Argumenten für Militärintervention am Hindukusch“. Ein Topos, an dem sich bereits das imperiale Großbritannien versucht habe. Dabei werde meist unterschlagen, „dass es den westlichen Mächten in Afghanistan nie um die afghanische Frau ging“. Es seien vor allem Afghanen selbst gewesen, die positive Errungenschaften in Gang gebracht hätten – „ohne westliche Hilfe“. Vielmehr hätte der Westen in den letzten zwei Jahrzehnten Strukturen gefördert, die zutiefst frauenfeindlich seien. Sie stünden echten progressiven Projekten aufgrund ihrer Korruption und Machtgier im Weg. „Die Kabuler Regierung und ihre westlichen Verbündeten schrieben sich zwar die Rechte der Frau auf die Fahne, allerdings traten sie diese meist mit Füßen.“
„Alle Beteiligten sollten wissen“, schreibt Emran Feroz im Schlusskapitel, „dass der Krieg am Hindukusch nur mit Worten und nicht mit Waffen gelöst werden kann.“ Diese neue Geschichte des modernen Afghanistankrieges ist ein hartes und manchmal drastisches Buch. Aber es ist auch Aufklärung im echten Sinne des Wortes, die mit Verzerrungen, Missverständnissen und krassen Fehlern aufräumt. Als solches gehört es in die Hand eines jeden, der diesen „längsten Krieg“ verstehen will. Es ist darüber hinaus auch die Frucht einer jahrelangen Beschäftigung durch Emran Feroz mit Afghanistan und seinen Menschen, wie sie nur die wenigsten seiner Kollegen in den „Qualitätsmedien“ fertigbringen.
Und, es gibt Momente der Hoffnung: „Während der Feiertage des islamischen Opferfests fanden in den letzten Jahren stets Waffenstillstände zwischen den Kriegsparteien statt.“ Warum nicht immer Opferfest, fragt Emran Feroz Taliban-Kämpfer und -Unterhändler gleichermaßen.
Emran Feroz, Der längste Krieg, Westend Verlag Berlin, August 2021, broschiert (auch eBook und Audio-CD), 176 Seiten, ISBN 978-3864893285, Preis: EUR 18.–
Berlin (KNA). Mehr als 4.000 afghanische Staatsbürger haben vor Beginn der Luftbrücke in Kabul auf einen Termin in deutschen Auslandsvertretungen für ein Visum zum Familiennachzug gewartet. Mit Stand 16. August hätten sich „auf den Terminlisten der Botschaften für den Familiennachzug insgesamt für die Beantragung in Islamabad 2.775 Personen (davon 791 zu subsidiär Schutzberechtigten) und für Neu Delhi 1.388 Personen (davon 196 zu subsidiär Schutzberechtigten) registriert“, hieß es auf Nachfrage der Zeitungen der Funke Mediengruppe aus dem Auswärtigen Amt.
Insgesamt warteten demnach Mitte August noch 4.163 afghanische Staatsbürger auf einen Termin zur Familienzusammenführung. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu Anfang Mai 2021. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion warteten damals in Islamabad knapp 1.879 Afghanen auf einen Termin für den Familiennachzug, in Neu Delhi waren es 1.138.
Unklar ist, wie viele dieser Menschen in den vergangenen Tagen mit Hilfe von internationalen Rettungsfliegern aus Afghanistan ausgeflogen worden sind. In Deutschland anerkannte Flüchtlinge haben grundsätzlich das Recht, ihre engsten Angehörigen, etwa Ehegatten und Kinder, über das Verfahren zum Familiennachzug nach Deutschland zu holen.
Seit dem Terroranschlag auf die deutsche Botschaft 2017 in Kabul laufen die Visaverfahren für afghanische Staatsangehörige zum Familiennachzug in den deutschen Auslandsvertretungen in Pakistan und Indien. Nach Angaben der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion beträgt die Wartezeit für einen Termin zur Familienzusammenführung etwa im pakistanischen Islamabad sowie im indischen Neu Delhi „über ein Jahr“.
Außenminister Heiko Maas (SPD) hat angekündigt, in den kommenden Tagen in die Region zu reisen. Maas hatte unlängst mit Blick auf die dramatische Lage in Afghanistan zudem versprochen, die „Kapazitäten unserer Visastellen in Islamabad, Neu Delhi, Taschkent“ aufzustocken und die „Möglichkeiten der zentralen Visabearbeitung im Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten voll zu nutzen“.a
Berlin (dpa). Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist für einen härteren Kurs gegenüber China. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Zeitschrift „Internationale“Politik» sagten 58 Prozent, dass die Bundesregierung auch dann eine härtere Haltung einnehmen und die eigenen Interessen offensiver vertreten sollte, wenn dies die Wirtschaftsbeziehungen mit China beeinträchtigen sollte.
17 Prozent unterstützen einen härteren Kurs nur, wenn die Wirtschaftsbeziehungen nicht darunter leiden. 19 Prozent sind grundsätzlich gegen eine härtere Gangart.
Dem autoritär regierten China werden massive Menschenrechtsverletzungen vor allem gegen Minderheiten wie die muslimischen Uiguren vorgeworfen. Unter den westlichen Staaten gibt es Differenzen, wie man damit umgehen sollte.
Während die USA für eine möglichst harte Haltung eintreten, ist die Bundesregierung deutlich zurückhaltender. Deutschland hat enge Wirtschaftsbeziehungen mit der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt.
Frankfurt (KNA). Deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens bewerten die Demokratie und das Funktionieren des politischen Systems in Deutschland positiver als der Durchschnitt der Bürger. Das geht aus einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwoch) hervor. So halten 81 Prozent der muslimischen Bürger die Demokratie für die beste Staatsform, gegenüber 70 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Noch ausgeprägter ist der Unterschied bei der Frage: „Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit dem Funktionieren der Demokratie in der Bundesrepublik und dem Funktionieren unseres ganzen politischen Systems?“ In der Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil derjenigen, die mit dem Funktionieren der Demokratie sehr zufrieden sind, bei 26 Prozent, zufrieden äußern sich 44 Prozent. Unter den wahlberechtigten Muslimen dagegen liegt der Anteil der sehr Zufriedenen bei 53 Prozent, der Zufriedenen bei 27 Prozent.
Auch ist unter den deutschen Muslimen der Anteil derjenigen deutlich höher, die glauben, dass ihre soziale Lage besser sei als die ihrer Eltern. Bei der Gesamtbevölkerung sagen das 44 Prozent, bei den Muslimen 71 Prozent.
Auch in ihrer parteipolitischen Orientierung unterscheiden sich die Deutschen muslimischen Glaubens nicht sehr stark vom Durchschnitt der Bevölkerung. Tendenziell bevorzugen sie eher die SPD. Insgesamt zeigen die muslimischen Wahlberechtigten eine überdurchschnittliche Neigung zur linken Hälfte des Parteienspektrums mit SPD, Grünen und der Linken.
Berücksichtigt man aber das vergleichsweise niedrige Durchschnittsalter der deutschen Muslime, ist allein bei der SPD ein bemerkenswerter Unterschied zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Wahlberechtigten zu erkennen. Hier könnte sich noch immer die sozialdemokratische Orientierung vieler türkischer Gastarbeiter niederschlagen. Umgekehrt findet die FDP bei den wahlberechtigten Muslimen deutlich weniger Zuspruch als bei der Gesamtbevölkerung. Am größten ist der Kontrast – wenig überraschend – bei der AfD, für sie gibt es unter den muslimischen Deutschen praktisch keine Anhänger.
Allerdings ist die Zahl der Muslime mit deutscher Staatsbürgerschaft zu klein, um Wahlergebnisse maßgeblich zu beeinflussen. Laut der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz herausgegeben hat, leben derzeit etwa 5,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Das entspricht 6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. 47 Prozent dieser Muslime, 2,6 Millionen, besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft und machen damit 3,5 Prozent der 72 Millionen deutschen Staatsangehörigen aus.
Laut der neuen Umfrage bezeichnen sich 64 Prozent der deutschen Muslime als religiös; in der Gesamtbevölkerung sind es 36 Prozent. Protestanten bezeichnen sich laut Bericht zu 46 Prozent als religiös, Katholiken zu 63 Prozent.
Cookie | Dauer | Beschreibung |
---|---|---|
__stripe_mid | 1 year | This cookie is set by Stripe payment gateway. This cookie is used to enable payment on the website without storing any patment information on a server. |
__stripe_sid | 30 minutes | This cookie is set by Stripe payment gateway. This cookie is used to enable payment on the website without storing any patment information on a server. |
cookielawinfo-checkbox-advertisement | 1 year | Set by the GDPR Cookie Consent plugin, this cookie is used to record the user consent for the cookies in the "Advertisement" category . |
cookielawinfo-checkbox-analytics | 1 year | Set by the GDPR Cookie Consent plugin, this cookie is used to record the user consent for the cookies in the "Analytics" category . |
cookielawinfo-checkbox-functional | 1 year | The cookie is set by GDPR cookie consent to record the user consent for the cookies in the category "Functional". |
cookielawinfo-checkbox-necessary | 1 year | Set by the GDPR Cookie Consent plugin, this cookie is used to record the user consent for the cookies in the "Necessary" category . |
cookielawinfo-checkbox-non-necessary | 1 year | Set by the GDPR Cookie Consent plugin, this cookie is used to record the user consent for the cookies in the "Non-necessary" category . |
cookielawinfo-checkbox-others | 1 year | Set by the GDPR Cookie Consent plugin, this cookie is used to store the user consent for cookies in the category "Others". |
cookielawinfo-checkbox-performance | 1 year | Set by the GDPR Cookie Consent plugin, this cookie is used to store the user consent for cookies in the category "Performance". |
PHPSESSID | session | This cookie is native to PHP applications. The cookie is used to store and identify a users' unique session ID for the purpose of managing user session on the website. The cookie is a session cookies and is deleted when all the browser windows are closed. |
Cookie | Dauer | Beschreibung |
---|---|---|
_ga | 2 years | The _ga cookie, installed by Google Analytics, calculates visitor, session and campaign data and also keeps track of site usage for the site's analytics report. The cookie stores information anonymously and assigns a randomly generated number to recognize unique visitors. |
_ga_1SGM7QRQ34 | 2 years | This cookie is installed by Google Analytics. |
CONSENT | 2 years | YouTube sets this cookie via embedded youtube-videos and registers anonymous statistical data. |
Cookie | Dauer | Beschreibung |
---|---|---|
NID | 6 months | NID cookie, set by Google, is used for advertising purposes; to limit the number of times the user sees an ad, to mute unwanted ads, and to measure the effectiveness of ads. |
yt-remote-connected-devices | never | YouTube sets this cookie to store the video preferences of the user using embedded YouTube video. |
yt-remote-device-id | never | YouTube sets this cookie to store the video preferences of the user using embedded YouTube video. |
Cookie | Dauer | Beschreibung |
---|---|---|
m | 2 years | No description available. |