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Ferien mit Kindern. Ein neues Buch über „Islamische Ferienfreizeiten“

Ferien

Das Buch „Islamische Ferienfreizeiten“ von Nadim Daniel Gharieb ist der wohl umfassendste Praxisratgeber seiner Art für muslimisch geprägte Zeltlager und Ferienfreizeiten.

(iz).  Mit langer persönlicher Erfahrung des Autors, der als Kind, Jugendlicher, Helfer und Hauptverantwortlicher an mindestens sechzig solchen Veranstaltungen teilgenommen hat, schöpft das Manuskript aus dem Vollen: Es verbindet autobiografische Eindrücke mit pädagogischer Erkenntnis und versammelt sie zu einem Kompendium konkreter Handlungsempfehlungen.

Ferienfreizeiten: Erfahrener Blick und pädagogische Verantwortung

Gharieb beginnt aus der Innenperspektive – seine eigene Entwicklung, die Leidenschaft für diese Jugendarbeit und die empathische Beobachtung der Kinder markieren den Ton. Die Widmung an Freunde, Wegbegleiter und Familienmitglieder ist mehr als ein literarischer Kunstgriff: Sie spiegelt die Gemeinschaftserfahrung, wie sie in Ferienlagern entstehen kann und soll.

Dank, Lob und Segenswünsche rahmen das Ziel: Nicht nur die Organisation, sondern die Herzensbildung der Teilnehmenden steht im Zentrum. Der Autor verheimlicht nie, wie sehr das Gelingen von Zeltlagern vom Engagement vieler Einzelner abhängt, von Großzügigkeit, Geduld und der Bereitschaft, Zeit und Kraft für junge Menschen zu spenden

Konkrete Anleitung für Lagerleitung und Teamer

Die Struktur des Buches ist didaktisch durchdacht. Vom Überblick über Lagerformen, Zielsetzung und Teilnehmerbedürfnisse bis zur feingliedrigen Rolle der Verantwortlichen und Helfer – Gharieb verzahnt Theorie mit Praxis und bleibt stets pragmatisch. Seine Hinweise zur Teamarbeit, Hierarchie, Kommunikationsregeln und der bewussten Vermittlung islamischer Werte sind klar und nachvollziehbar formuliert. 

Insbesondere betont er, dass Autorität stets mit Wertschätzung und Dialog kombiniert werden muss – und dass religiöse Praxis im Alltag und nicht nur im Stundenplan lebt.

Pädagogik zwischen Alltag und Ritual

Wie das Manuskript darlegt, ist pädagogische Professionalität kein Selbstzweck, sondern soll den Kindern und Jugendlichen nicht nur Wissen, sondern islamische Charaktereigenschaften und Lebenskompetenz vermitteln. Der Umgang mit problematischem Verhalten, die Bedeutung von Strukturen und die Ermutigung zur Selbstverantwortung werden aus der Praxis heraus erklärt. 

Die Kapitel zur rituellen Praxis, Gebet, Mahlzeiten und Sauberkeit bilden einen gelebten Wertekosmos, in dem sich Alltag und Spiritualität durchdringen. Besonders wertvoll: Gharieb plädiert dafür, Kinder in ihrer Individualität zu sehen und ihnen Erfolgserlebnisse im religiösen Lernen zu ermöglichen – ohne Überforderung oder Leistungsdruck.

Inspiration, Methoden und nachhaltige Vision

Wer das Buch in die Hand nimmt, spürt die Absicht des Autors: Er möchte nicht nur Wissen weitergeben, sondern eine Bewegung anstoßen. Die detaillierten Programmvorschläge, Hinweise zur rechtlichen und finanziellen Organisation und die methodisch klugen Anhänge machen das Buch zu einer Fundgrube für Praktiker. 

Die Gedankenreise, Entspannungsübungen und Alltagsrituale – hier verknüpft sich die islamische Geisteshaltung mit moderner Pädagogik. Bewegend ist das ständige Plädoyer für Nachhaltigkeit und den Aufbau tragfähiger Strukturen, die das muslimische Gemeindeleben stärken sollen.

Fazit: Ein Handbuch mit Herz und Haltung

Ghariebs Manuskript ist ein Leitfaden und eine Einladung, muslimische Jugendarbeit in Deutschland auf neue Füße zu stellen. Mit dem Fokus auf Gemeinschaft, Wertschätzung und lebenspraktische Religiosität schafft das Buch einen Raum für pädagogische Innovation und spirituelle Inspiration.

Der Stil ist offen, freundlich und von Hoffnung getragen, die Argumentation klar und praxisnah. So avanciert „Islamische Ferienfreizeiten“ zum hilfreichen Buch für alle, die sich mit Herz, Hand und Verstand für die muslimische Jugend engagieren wollen.

Nadim Daniel Gharieb, Islamische Ferienfreizeiten, Astrolab Verlag 2025, 200 Seiten, 978-3948139407, Preis: EUR 15,50

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60 Jahre „Nostra Aetate“ – ein neues Kapitel des Dialogs

dialog Nostra Aetate

Die Erklärung Nostra Aetate wird 60 Jahre alt. Eine Muslima reflektiert über den anhaltenden Ruf nach christlich-muslimischer Verständigung

(iz). Ich wuchs als muslimisches Einwandererkind in der schönen Stadt Mainz auf. Umgeben von einer reichen katholischen Kultur spürte ich oft die Last, als „anders“ angesehen zu werden.

Ich erlebte am eigenen Leib sowohl die Schönheit als auch die Spannung, die das Leben zwischen religiösen Welten mit sich bringen kann. Zu Hause rezitierte ich den Qur’an, in der Schule sang ich Weihnachtslieder. Ich fastete während des Ramadan, während meine Klassenkameraden Adventskalender öffneten.

Schon als Kind erkannte ich, dass unsere Glaubensrichtungen nicht so weit voneinander entfernt waren, wie sie oft dargestellt. Ich wurde dazu erzogen, Jesus zu verehren nicht nur als Prophet, sondern als eine der beliebtesten Figuren im Islam. Ich wusste von Maria, deren Name im Qur’an mehr geehrt wird als der jeder anderen Frau.

Wenn ich meine Familie und Freunde im Osten der Türkei besuche, bewundere ich oft die alte Aghtamar Heilig-Kreuz-Kirche. Es erinnert mich daran, wie Christen und Muslime im riesigen islamischen Reich fast 1.300 Jahre lang größtenteils friedlich zusammenlebten. Und ich glaube an den einen Gott – an Barmherzigkeit, an Verantwortlichkeit und an einen gemeinsamen moralischen Ruf nach Gerechtigkeit.

Foto: Catholic Press Photo/Wikimedia Commons | Lizenz: gemeinfrei

Heute, in einer Zeit, in der jede zweite muslimische Frau in Europa Diskriminierung erlebt, denke ich über die anhaltende Notwendigkeit christlich-muslimischer Zusammenarbeit nach. In „Nostra Aetate“, dem bahnbrechenden Dokument der katholischen Kirche über ihre Beziehungen zu anderen Religionen, sah ich eine Vision, die meine Erfahrung bestätigte. Eine Vision, die beide einlädt, ihre Angst zu überwinden und sich gegenseitigem Respekt, gemeinsamen Werten und einer gerechteren Zukunft zuzuwenden.

Der Geist dieses Dokuments gab mir als Muslima die Möglichkeit, an der Georgetown University – einer katholischen Institution – zu studieren und auf demselben Campus als muslimische Seelsorgerin zu arbeiten. Ich unterstützte Studenten aller Glaubensrichtungen und ohne Glauben und lernte, wie transformativ echte christlich-muslimische Beziehungen sein können.

Das Dokument löscht die schmerzhaften Kapitel unserer verbindenden Geschichte nicht aus – und das sollte es auch nicht. Beide sollten die Vergangenheit nicht vergessen, dürfen sich aber ebenfalls nicht von ihr gefangen nehmen lassen. Der einzige Weg nach vorn führt gemeinsam, in Wahrheit und gegenseitigem Respekt.

Während diese Vision einen großen Wandel in der Geschichte der katholischen Kirche darstellte, bemühten sich die Muslime auch, die Beziehungen zu anderen Gemeinschaften zu verbessern.

So schrieb beispielsweise der Gelehrte Bediüzzaman Said Nursi einen Brief an Papst Pius XII., in dem er seine Hoffnung auf eine Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen gegen wachsende Feindseligkeit, weit verbreitete Armut und moralischen Verfall zum Ausdruck brachte.

1953 besuchte Nursi den Patriarchen Athenagoras in Istanbul, um ihn um Kooperation zu bitten. Seine Vision war im Vorbild und in den universalen Lehren des Propheten Muhammad (Allah segne ihn und schenke ihm Frieden) verwurzelt und hat immer noch Bestand: Zusammenarbeit, die im Glauben ruht.

Deshalb war ich tief bewegt, als ich erfuhr, dass Papst Johannes Paul II. bei seinem apostolischen Besuch in meiner Heimatstadt Mainz im Jahr 1980 sich direkt an die muslimischen Einwanderer – meine Gemeinde – wandte und unsere Anwesenheit, unseren Glauben und unsere Würde bestätigte:

„Aber nicht alle Gäste in diesem Land sind Christen; eine besonders große Gruppe bekennt sich zum Glauben des Islam. Auch euch gilt mein herzlicher Segensgruß!

Wenn ihr mit aufrichtigen Herzen euren Gottesglauben aus eurer Heimat hierher in ein fremdes Land getragen habt und hier zu Gott als eurem Schöpfer und Herrn betet, dann gehört auch ihr zu der großen Pilgerschar von Menschen, die seit Abraham immer wieder aufgebrochen sind, um den wahren Gott zu suchen und zu finden.

Wenn ihr euch auch in der Öffentlichkeit nicht scheut, zu beten, gebt ihr uns Christen dadurch ein Beispiel, das Hochachtung verdient. Lebt euren Glauben auch in der Fremde und lasst ihn euch von keinem menschlichen oder politischen Interesse missbrauchen!“

Dieser Moment ist wichtig. Diese Gesten sind wichtig in einem wachsenden Klima der Entmenschlichung und Dämonisierung muslimischer Einwanderer und Flüchtlinge.

Foto: CNS/Paul Haring

Und in unserer Zeit hat Papst Franziskus dieses Erbe fortgeführt. In „Fratelli Tutti“ ruft er Menschen aller Glaubensrichtungen – und auch solche ohne Glauben – dazu auf, einander als Brüder und Schwestern anzuerkennen. Inspiriert von seiner Freundschaft mit Groß Imam Ahmed el-Tayeb der al-Azhar bekräftigte der ehemalige Papst Franziskus, dass „authentische Religion“ eine Kraft für Frieden und Solidarität sein muss.

Die Botschaft von Nostra Aetate ist daher nicht nur für Geistliche und Theologen, sondern auch für die breite Öffentlichkeit nach wie vor relevant. Sie soll der nächsten Generation helfen, die Komplexität unserer Geschichte zu verstehen und sich eine gemeinsame Zukunft vorzustellen.

Wir leben in einer Welt der Polarisierung, doch dieses Dokument erinnert uns daran, dass christlich-muslimische Zusammenarbeit nicht naiv, sondern notwendig ist. Und dass wir in den heiligen Schriften und Herzen des anderen die Grundlagen für respektvolle Beziehungen, Gerechtigkeit und Frieden finden können.

Dr. Zeyneb Sayılgan ist Islamwissenschaftlerin am Institut für Islamische, Christliche und Jüdische Studien in Baltimore. Ihre Forschung beschäftigt sich mit dem theologischen Gedankengut von Bediüzzaman Said Nursi (1876–1960). Zeyneb’ s Arbeit wurde in The Guardian, Religion News Service, U.S. Catholic, The Living Church sowie deutschen und türkischen Medien veröffentlicht. Ihre Artikel und ihr Podcast sind auf ihrem Blog zugänglich.

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Von der Demut des Geistes

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Zwischen Demut und spiritueller Arroganz: Wie können wir unser Selbst praktisch überwinden, um Allah näher sein? (Traversing Tradition). Muslime sind oberflächlich mit dem Konzept der spirituellen Demut vertraut. Die Älteren […]

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Wie funktioniert Handel? Einführung in Kernbegriffe und Praktiken

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Handel (und Ökonomie) spielt im Islam eine auch rechtliche wichtige Rolle. Wir führen in Kernbegriffe und wichtige Vertragsformen ein. (iz). Wie in unserer letzten Ausgabe erwähnt, gibt es ein starkes […]

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Islam in Afrika: alles andere als ein fremder Import

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Die Geschichte des Islam in Afrika ist deutlich älter und substanzieller, als viele meinen. (iz). Islam ist seit Anbeginn eng mit Afrika verbunden; von der ersten Hijra nach Aksum bis […]

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Der unbekannte Rumi: Warum Europa ihn bisher falsch versteht

Rumi

Mevlana Rumi und sein Werk sind Teil der islamischen Lehre und keine substanzlose Esoterik.

(iz). In Europa kennt man Rumi vor allem als Dichter der Liebe, als sanftmütigen Mystiker, dessen Worte von Sehnsucht und leuchtendem Herzen sprechen. Seine Verse stehen auf Postkarten, in Kalendern und Bildbänden. Doch dieser Rumi, den Europa feiert, ist nur die sichtbare Oberfläche eines viel tiefsinnigeren Gelehrten.

Der Rumi, wie ihn Muslime kennen und wie er in Konya, seiner Wirkungsstätte, lebendig war, ist ein anderer. Wir lernen ihn unter anderem im Buch „Von Allem und vom Einen“ kennen. Dieses Buch besteht aus Scheikh Rumis Predigten und Annemarie Schimmel hat sie auf Deutsch zugänglich gemacht.

Rumi – ein traditioneller Gelehrter

Mevlana war ein Prediger, der auf der Kanzel stand, eine Gemeinde belehrte und ermahnte, ein muslimischer Gelehrter, der seine Zuhörer geistlich formte. Seine Worte waren nicht bloß Dekoration, sondern Teil eines religiösen Alltags und seiner lebendigen Beziehung zwischen Lehrer und Gemeinschaft.

Der Name „Rumi“ bedeutet Römer. Denn „Rum beldeleri“ wurden die Gebiete genannt, die von den Seldschuken frisch von Byzanz erobert wurden. Das waren die ehemals römischen Gebiete. Daher der Name „Rumi“.

Bevor er Dichter wurde, war er Lehrer und Prediger. Ein Großgelehrter nach hanifitischem Recht und der Glaubenslehre des Imam Maturidi. Das hat sich zeitlebens nicht geändert. Geändert hat sich lediglich, dass er seine Gefühle poetisch zu Wort gebracht hat.

rumi

Foto: MDart10, Shutterstock

In der Moschee von Konya sprach er zu den Menschen, erklärte Qur’anverse, deutete prophetische Überlieferungen und verband sie mit den moralischen Herausforderungen des Lebens. Annemarie Schimmel macht diese oft übersehene Seite seines Lebens in ihrer Übersetzung und ihrem Vorwort sichtbar.

Seine Predigten sind in ihrem Kern klare und eindringliche Unterweisungen – und seine Gedichte sind deren ästhetische Facette. Allen Menschen, die im Qur‘an keine Liebe finden, sagt Scheikh Rumi: „Du hast das jungfräuliche Wort interpretiert; interpretiere dich selbst, nicht das Buch. Du interpretierst den Koran nach deiner Begierde; durch dich wird die erhabene Bedeutung erniedrigt und pervertiert.“ (Masnawi, Vers 1078f)

Weit entfernt von substanzlosen Kalendersprüchen

Diese Verse, die sich im Original reimen, sind weit entfernt von der sanften Poesie der oft zitierten Kalendersprüche. Sie zeigen das Profil eines Muslims, der den Islam verteidigt gegen alle Barbaren, die es wagen, herzlose Deutungen anzustellen.

Hier spricht jemand, der den Qur’an als Quelle von Verstand, Liebe und Moral begreift. Rumi ruft die Menschen dazu auf, ihr niederes Selbst zu erziehen. Manche würden heute Psyche sagen. Der Ton ist ernst, nicht dekorativ; er ist belehrend, nicht ästhetisierend.

Der europäische Blick blendet diese Seite oft aus, weil sie nicht in das säkularisierte Bild von „Spiritualität“ passt, das möglichst religionsfrei bleiben soll. Doch Rumis Predigten sind fest im Islam verankert. Sie kreisen um moralische Selbstprüfung, Demut, die Nähe zu Allah, den Erhabenen, und die Reinigung der Seele.

Das Werk im Dienste der Lehre

Rumis Gedichte und Predigten wirken häufig wie eine Deutung des Qur’an und der Aussagen des Propheten Muhammed, Allahs Segen und Frieden auf ihm. Sie wirken als moralische Anleitung, als Erinnerung an religiöse Pflichten.

Rumi mahnt alle Menschen: Muslime sowie Nichtmuslime. Insbesondere mahnt er Muslime, die zwar mit den Lippen den Islam bezeugen, aber Gottesdienste vernachlässigen und ihren Charakter nicht verschönern: 

Jemand sagte: Die Mongolen glauben auch an die Auferstehung und sagen, es werde ein Gericht geben. Er antwortete: Sie lügen. Weil sie sich mit den Muslimen zusammen tun möchten, sagen sie: »Wir wissen und glauben das auch.« […] Wenn sie nun wirklich an die Auferstehung glauben – wo ist Zeichen und Beweis dafür? Ihre Sünden und Unrecht und Übeltaten sind wie Schicht um Schicht von Schnee. Wenn die Sonne der Reue und der Umkehr kommt, Nachrichten aus dem Jenseits und Gottesfurcht, dann wird dieser Schneehaufen von Sünden ganz schmelzen, sowie die Sonne Schnee und Eis schmilzt. Wenn Schnee und Eis sagen: »Ich habe die Sonne gesehen und die Junisonne hat auf mich geschienen [d.h. ich habe den Islam erkannt und ihn auf mich wirken lassen]«, und es bleibt immer noch Schnee und Eis, würde kein vernünftiger Mensch das glauben. Es ist unmöglich, dass die Julisonne kommen und Schnee und Eis nicht schmelzen würden.“ („Von Allem und vom Einen“, von Annemarie Schimmel übersetzt)

Der Islam wirkt kultivierend. Wer das leugnet, dem stellt sich Rumi entgegen. An wem das als Muslim nicht sichtbar wird, den ermahnt Rumi. Seine Worte richten sich nicht bloß an ein poetisches Publikum. Rumi wendet sich an Menschen in und außerhalb der Moschee.

Er reicht seine seelische Hand den Menschen, die nach Orientierung suchen. Jede seiner Predigten und alle seine Gedichte tragen die Handschrift eines Gelehrten, der die islamischen Grundlagen mit Weisheit zu Wort bringt, auf gewandte Weise.

Annemarie Schimmel beweist, dass seine Dichtungen ohne seine Predigten nicht zu verstehen sind. Seine Gedichte sind nicht Weltflucht, sondern geistige Verdichtung dessen, was in den Predigten offen ausgesprochen wird: Die Predigt ist der Boden, die Dichtung ist die Blüte.

Goethe Divan

Foto: Alexander Johrmann | Lizenz: CC BY-SA 2.0

Der Spiegel: Rumi in Europa, Goethe bei den Muslimen

Es ist falsch Rumi zu entislamisieren. Das tun areligiöse Europäer und auch bestimmte Gruppen von Muslimen. Beides ist verkehrt. Und mehr noch: Es zeigt sich auch eine bemerkenswerte Parallele zur Frage, wie manche Muslime Goethe lesen.

Dort geht es oft darum, ob Goethe ein Muslim gewesen sein könnte. Diese Frage ist nett gemeint, doch sie führt in die Irre. Sie reduziert Goethe auf eine identitäre Kategorie, statt ihn in seiner Ganzheit wahrzunehmen.

Genau dieselbe Mechanik wirkt in Europa, wenn gefragt wird: „Wie liberal ist Rumi?“ oder „Wie universal ist er?“ Oder subtiler: „Wie sehr passt Rumi in unser Verständnis von moderner, offener Spiritualität?“ Solche Fragen sagen mehr über die Bedürfnisse der Fragenden aus als über die Person, die sie zu verstehen versuchen.

Die muslimische Goethefrage und die europäische Rumifrage ähneln sich darin, dass sie große Persönlichkeiten durch eine vorgefertigte Schablone pressen wollen, statt ihnen als eigenständigen Persönlichkeiten zu begegnen. 

Weder lässt sich Goethe bloß durch seine mögliche Nähe zum Islam verstehen, noch lässt sich Rumi durch seine mögliche Nähe zu Europa erfassen. Beides sind Ersatzfragen. Sie umgehen das Eigentliche. Beide Sichtweisen verhindern ein echtes Verständnis, weil sie die Menschen auf Aspekte reduzieren, die mit ihrer geistigen Leistung nur wenig zu tun haben.

Wenn Europäer und Muslime mit radikalen Tendenzen Rumi auf eine universale Liebesfigur reduzieren, verlieren sie den Prediger, den Theologen, den Muslim, dessen Worte manchmal streng und schneidend waren. Wenn ausgewogene Muslime Goethe auf die Frage seiner religiösen Zugehörigkeit reduzieren, verlieren sie den Staatsmann und Denker, der aus einer tiefen Bildungstradition heraus sprach und experimentierte.

In beiden Fällen entsteht ein Mythos, aber kein Mensch. Annemarie Schimmel führt allen Lesern vor, wie man über kulturelle Grenzen hinweg jemanden wirklich liest: Sie nimmt Rumi ernst, in seiner eigenen Sprache, seinem eigenen religiösen Kontext, seiner eigenen Symbolwelt. Dadurch wird er nicht enger, sondern weiter. Denn Tiefe verbindet, während zu große Vereinfachung verzerrt und entfremdet.

Rumi in seiner Ganzheit – und warum das verbindet

Rumis Ganzheit zeigt sich gerade in der Einheit seiner Rollen. Er ist Prediger und Dichter, Gelehrter und Liebender, Theologe und Erzieher. Seine Liebe ist keine sentimentale Geste, sondern der brennende Kern einer islamischen Disziplin. Seine Predigten zeigen, wie ernst er die innere Entwicklung seiner Zuhörer nahm

 Sie handeln von Demut, von der Überwindung des Nafs Emmare, d.h. dem niederen Selbst, von der Nähe zu Allah und von der Verantwortung der Seele für ihr eigenes Wachstum. Dieser Rumi lässt sich nicht entkernen – der Islam ist sein Kern – ohne seine Kraft zu verlieren. Er fordert den Leser auf, sich selbst in Frage zu stellen, er lädt zur Selbstläuterung ein, nicht zur Selbstbestätigung.

Foto: Sufi Devran

Ein solcher Rumi besitzt das Potenzial, wirklich zu verbinden, denn Verbindung entsteht nicht durch Glättung, sondern durch Tiefe. Auch Goethe kann verbinden, aber nur in seiner Ganzheit. Eine Gesellschaft, die zusammenwachsen will, muss lernen, Menschen nicht nur in Ausschnitten, sondern vollständig zu sehen.

Europa wird Rumi erst dann verstehen, wenn es ihn als islamischen Gelehrten akzeptiert und nicht nur als poetischen Mystiker. Muslime werden Goethe erst dann wahrhaft verstehen, wenn sie ihn nicht über die Frage seiner religiösen Identität definieren, sondern über die Tiefe seines Denkens.

Eine reife Begegnung: Was wir voneinander lernen können

Die eigentliche Frage lautet daher nicht, wie europäisch Rumi ist, und ebenso wenig, ob Goethe ein Muslim war. Die entscheidende Frage lautet, ob wir bereit sind, einander ganzheitlich anzusehen und wertzuschätzen. Der Rumi der Predigten ist ein Lehrer, der Menschen zur Wahrhaftigkeit aufruft.

Seine Liebe ist nicht bloß weich und tröstend, sondern ein Feuer, das reinigt und erhebt. Wenn Europa beginnt, diesen Rumi zu lesen, kann aus einer oberflächlichen Bewunderung eine echte geistige Begegnung stattfinden. Und wenn Muslime lernen, Goethe in seiner Ganzheit zu lesen, wird aus der fernen Ikone ein echter Gesprächspartner.

Aus dieser gegenseitigen Reifung entsteht die Möglichkeit einer neuen Art des Zusammenlebens. Nicht kulturelle Aneignung, sondern Begegnung. Nicht Projektion, sondern Verständnis. Nicht Abgrenzung, sondern Gemeinschaft. 

Rumi und Goethe, beide groß und beide wahr, können uns dazu führen, einander tiefer zu verstehen. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir bereit sind, jeden von ihnen so anzunehmen, wie er war – ganz, und nicht in Ausschnitten.

Von Gott verirrt, hast du nur Schmach erworben;
Dich hüllen hunderttausend Schleier ein;
Du nährst den Leib, doch ist dein Herz erstorben;
Du siehst es morgen; doch zu spät wird’s sein.

Als Prediger sprichst du von der Menschheit Schwächen,
Und birgst dich hinter’m Vorhang härchenfein;
Wo sind die Taten die dem Wort entsprächen?
Du siehst es morgen; doch zu spät wird’s sein.

(Aus Rumis: Diwan asch-Schams, übersetzt von Vincenz von Rosenzweig, 1838)

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Bioethik: Gibt es Antworten aus dem Islam?

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Bioethik im Islam – Antworten auf ethische Grenzfragen der modernen Medizin, wie Gentechnik, Organspende und Lebensverlängerung. (iz). Wenn über Bioethik gesprochen wird, ist der Islam für viele kein naheliegender Gesprächspartner. […]

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Die Seelsorge gehört zur Menschenwürde

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Seelsorge: Ein soziologisch und religionspsychologisch fundierter Beitrag von Dr. Cemil Şahinöz. (iz). Inmitten einer Gesellschaft, die sich zunehmend an Effizienz, Funktionalität und Selbstoptimierung orientiert, gerät etwas zutiefst Menschliches immer mehr […]

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Ökonomie im Islam: Englische Neuerscheinung führt in die Grundlagen ein

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Die Themen Ökonomie, Handel und Geld stehen ganz unten im muslimischen Diskurs. Eine leicht verständliche Broschüre fängt mit den Grundlagen an. (iz). Das Thema Ökonomie, Wirtschaft, Handel und Verträge steht […]

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Muslime aus Europe – ein Überblick

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Muslime aus Europe: Überlegungen zu geteilter Geschichte und dem Alltagsleben. Ein Überblick von Yahya Birt (iz). Die Geschichte des Islam in Europa unter Berücksichtigung einer umfassenden geografischen Definition zu betrachten, […]

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