Über Chancen, die Entfremdung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen einzudämmen

Ausgabe 232

(islam.de). Nach Angaben des Innenministeriums gab es allein von Januar bis August diesen Jahres zwölf politisch motivierte Übergriffe auf Moscheen in Deutschland. Seit 2001 wurden nach dieser Zählung insgesamt mehr als 300 muslimische Gotteshäuser attackiert. Das Spektrum der Taten reicht von Hakenkreuz-Schmierereien, über Morddrohungen gegen Imame bis hin zur Brandstiftung. Noch erstarrt vom Schock der letzten drei Anschläge auf Moscheen in Bielefeld und Berlin erreichen uns nun neue Hiobsbotschaften.

Die Muslime und ihre Gemeinden sind derzeit erheblich verunsichert. Der letzte Übergriff, den das Innenministerium in der Statistik aufführt, war demnach am 17. August. Dabei wurde eine Moschee am 12. August, einen Tag nach dem ersten Brandanschlag auf die Samarkant-Moschee in Bielefeld, im schleswig-holsteinischen Mölln beschädigt. Mölln war das Fanal und der Beginn des rechtsextremistischen Terrors der jüngeren Geschichte Deutschlands.

Gleichzeitig wird uns täglich in den Medien vor Augen geführt, wie der Islamische Staat (IS) im Namen des Islam schreckliche Verbrechen begeht. Die ohnehin zugenommene Muslimfeindlichkeit hierzulande wird dadurch weiter angeheizt. Der Islamische Staat von Irak und Syrien ISIS (oder Daish auf Arabisch), diese Inquisitionsterroristen (Takfiris), die neben Muslimen nun auch Christen, Jesiden und Kurden auf dem Gewissen haben, betrieben bereits ihr grausames Spiel der Spaltung und Abschlachtung in Syrien.

Damals erlebten wir keine militärische Intervention, hörten aber auch kaum etwas der Gelehrten dagegen. Sehr spät, aber hoffentlich noch nicht zu spät, werden diese Terroristen nun von allen muslimischen Richtungen eindeutig verurteilt und das Vorgehen als Sünde gebrandmarkt.

Die Trennschärfe zwischen der friedlichen Religion des Islam, die die absolute Mehrheit der Muslime tagtäglich leben, und den Extremisten auf der anderen Seite wird dennoch immer weiter aufgeweicht. Viele in unserem Land können nicht mehr zwischen beiden Seiten unterscheiden und stellen bisweilen alle Muslime unter Generalverdacht. Die gefährliche Folge könnte auch die Zunahme von Anschlägen und Übergriffen auf Muslime und ihre Einrichtungen in unserem Land sein.

Der IZ-Blogger Mehmet Çelebi schrieb dazu am 29. August: „Wir haben keine andere Wahl, als uns der Debatte zu stellen, aufrichtig und ergebnisoffen. Sie muss geführt werden, um einer fortlaufenden Spaltung in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Die muss in unseren Wohnzimmern geführt werden, in den Schulen und Universitäten, in Kunst und Musik, Literatur und Politik. Bevor die Entfremdung Maße annimmt, bei der sich keine Seite mehr in die Augen schauen kann.“ Recht hat er.

Dies ist in der Tat das Gebot der Stunde: Wir brauchen die Friedensstifter, die Versöhner und die Brückenbauer mehr denn je.

In dem Zusammenhang hat der Koordinationsrat der Muslime (KRM) eine folgenschwere, und für meine Begriffe einer der besten Entscheidungen der letzten Jahre getroffen. In einer wegen der Brandanschläge einberufenen Sondersitzung beschloss er im September, einen Tag „Muslime stehen auf gegen Gewalt“ im Rahmen des Freitagsgebetes und anschließenden Mahnwachen in verschiedenen Städten und der Hauptstadt Berlin auszurufen.

Es war eine einmütige Entscheidung und jeder hat gespürt, dass die jüngsten Anschläge Angriffe auf unsere Gesellschaft, auf unsere Moscheen sind, egal ob sie nun DITIB, VIKZ, Islamrat, ZMD oder keinem der Verbände angehören. Ich bin besonders den DITIB-Vertretern wie dem KRM-Sprecher Ali Kızılkaya dankbar, wie klar hierbei Position bezogen wurde; ganz zu schweigen vom Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), dessen Moschee ja in Bielefeld zu den Betroffenen gehörte.

Uns allen war klar, dass wir nur etwas gegen diese gefährliche Stimmung im Lande tun können, wenn wir für Menschenrechte, Religionsfreiheit und gegen gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit umfassend, ungeteilt und gesamtgesellschaftlich auftreten. Ich will es so sagen und rede damit mitnichten der Reziprozität das Wort: Ich bin ein Jude, wenn eine Synagoge angegriffen wird, ein Christ, wenn in Irak diese vertrieben werden und ein Muslim, wenn Anschläge auf Moscheen hierzulande stattfinden. Uns wird allmählich klar, Empathie, Solidarität und Anteilnahme kann nicht plakativ oder argumentativ herbei lamentiert werden.

Wer als Muslim für seine Rechte eintritt, darf nicht schweigen, wenn anderswo Unrecht geschieht. Er steht auf, wenn Brandsätze auf Moscheen geworfen werden, wenn Menschen in Syrien, Irak oder Gaza zu Unrecht getötet werden. Er erhebt seine Stimme und hält dagegen, wenn gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus – auch oder gerade, wenn dies der eigene Glaubensbruder verbreitet. Er verurteilt und verabscheut (und nicht nur im stillen Kämmerlein) Gewalt im Namen einer ideologisierten und durch und durch verrohten und verblendeten Meute, die den ­Islam schamlos missbraucht.

Wer nur für die eigenen Rechte einsteht und die anderer auslässt, geht zwar mit unserem Rechtsstaat d’accord; ob unsere Gesellschaft das noch mitmacht, ist eine ganz andere Frage. Wer beides zusammen gestaltet, schafft Glaubwürdigkeit, entzieht Misstrauen und eröffnet eine reale Chance, dass die Entfremdung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in unserem Land nicht weiter zunimmt.

Solidarität mit allen Menschen in Notsituationen ist ein elementares Gebot im Islam. Verweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf eine gesicherte Aussage des Propheten Muhammad (Hadith), wonach dieser Muslime ermahnt, sich gegen diejenigen zu stellen, die Nichtmuslimen Unrecht antun, sie diskriminieren, ihnen etwas auferlegen, was sie nicht zu tun vermögen oder ihnen etwas rauben.

Gegen diesen werde er „der Ankläger am Tage der Auferstehung sein“. Ferner sagte er: „Ein Muslim ist derjenige, vor dem andere Menschen in Sicherheit sind.“

Der Artikel erschien zuerst am 1. September auf der Webseite islam.de. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.