Vor der Rückkehr der Wüstenbibliothek liegt noch ein langer Weg. Von Burkhard Jürgens Brüchiges

Malische Experten haben einen der bedeutendsten Bestände islamischer Handschriften vor Islamisten gerettet. Mit deutscher Hilfe sollen sie jetzt für die Nachwelt bewahrt werden.

Düsseldorf (KNA). Für die kostbaren Manuskripte ist es die Wahl zwischen Pest und Cholera: Schimmel und Ungeziefer oder fanatische Radikale. Mit ersterem ist besser umzugehen. Deshalb bleibt der Handschriftenschatz von Timbuktu bis auf weiteres in seinem Exil in Bamako, auch wenn dort das tropische Klima binnen Monaten zu ruinieren droht, was über Jahrhunderte in den Bibliotheken der sagenhaften Wüstenstadt am Rand der Sahara Bestand hatte. Doch Abdel Kader Haidara, Hüter eines guten Teils des Weltkulturerbes, hat Hoffnung.

Das Drama begann vor drei Jahren. In der Region Azawad im Norden Malis begehrten die Tuareg gegen die Zentralregierung in Bamako auf. Nichts Neues – aber diesmal hatten sie Milizen vom Schlage Al-Kaidas auf ihrer Seite.

Und in den Lehmbauten Timbuktus lagerten Hunderttausende teils uralte Schriften, die vom Recht der Frauen auf Bildung sprachen und von Menschenrechten, die naturwissenschaftliche Abhandlungen arabischer Gelehrter enthielten, astrologische Spekulationen, Gedichte von Sufis, kritische Auseinandersetzungen mit Fundamentalismus.

Spätestens als die Islamisten anfingen, Gedenkstätten islamischer Heiliger als Götzentempel niederzubrennen, wusste Haidara, Leiter einer der größten Bibliotheken Timbuktus, was die Stunde geschlagen hat. Die Manuskripte mussten in Sicherheit. Ein „Abenteuer“ nennt er es. „Mit Gottes Hilfe ist es uns gelungen, 95 Prozent der Handschriften zu retten.“

Die Handschriften – im Kulturkampf mit europäischen Kolonialherren seit dem 19. Jahrhundert waren sie von ihren Besitzerfamilien versteckt oder vergraben worden. Erst Anfang der 1970er Jahre trauten sich viele Eigner mit ihren Schätzen ans Tageslicht. Es entstand die Organisation für „Erhalt und Erforschung der Handschriften zur Verteidigung der islamischen Kultur“ (SAVAMA-DCII), heute geleitet von Haidara. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass er sie einmal vor Glaubensbrüdern schützen müsste.

Im April 2012 überrannten die Extremisten Timbuktu. Ein halbes Jahr, von August bis Januar, retteten Haidara und ein verschworener Kreis die Pergamente aus Kamel- und Ziegenleder, die papiernen Dokumente. Sie wurden in Metallkisten gepackt und nach Bamako geschmuggelt, mit Kanus auf dem Niger, auf Eselskarren, in wechselnden Fahrzeugen, nie mehr als drei, vier Kisten auf einmal, um keinen Verdacht zu erregen.

1.200 Touren waren es. Unterwegs neun Checkpoints. Jedes Mal Schmiergeld. „Eine Million Dollar kann man schon ansetzen für die gesamte Evakuierung“, sagt Haidara. Das Wichtigste war die Diskretion. Ausgerechnet ein öffentlicher Hilferuf der Unesco brachte das Projekt ins Schlingern. Einige kostbare Wochen musste Haidara die Transporte aussetzen. Seitdem, erzählt er, gab es täglich Telefonate mit der Weltkulturerbe-Zentrale in Paris, aber wenigstens keine Pressemitteilungen.

In Bamako, 700 Kilometer weiter südlich, waren die Schriften sicher und doch in neuer Gefahr: Viele hatten durch die Rüttelei und den Druck in den Kisten gelitten. Säurehaltige Mappen setzten dem alten Papier zu. Vor allem aber die tropische Luftfeuchtigkeit ließ das Material anschwellen und sorgte für Schimmel- und Insektenbefall.

Inzwischen wurden die provisorischen Buchlager mit deutscher Hilfe von der Gerda Henkel Stiftung und dem Auswärtigen Amt mit Luftentfeuchtern ausgestattet. Experten des Hamburger Studienzentrums für Manuskriptkulturen begleiten seit April 2013 die Konservierung und Restaurierung. Die Aufgabe ist enorm: Eine Inventarisierung in Bamako ergab die Zahl von 377.491 Dokumenten – vom dicken Buch bis zu Einzelblättern.

Eine fotografische Erfassung soll die einzigartigen Schriften der Forschung zugänglich machen und wenigstens einen digitalen Abklatsch behalten, falls den Originalen doch einmal etwas Zeitliches zustößt. Denn fest steht: Die Manuskripte sollen wieder in ihre Wüstenheimat, in den Schoß der Familien, die sie Jahrhunderte gehütet haben. Die Pest für die Handschriften – Feuchtigkeit und Schädlingsfraß – wird sich in den Griff kriegen lassen. Bleiben die Dschihadisten: Wenn auch dieses Problem gelöst ist, dann, so Haidara „kehren wir sofort zurück“.

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