
In den kommenden Wochen behandeln wir in einer Reihe die Wahlprogramme der größeren Parteien und was sie Muslimen zu sagen haben. Dieses Mal: die CDU/CSU.
(iz). Die Union mit Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist nicht mehr dieselbe wie in den 16 Jahren der Kanzlerschaft von Angela Merkel. Das geht so weit, dass bei vielen das böse Wort von den „Merkelianern“ kursiert.
Man kann feststellen, dass sich die beiden christdemokratischen Parteien von heute in Sprache und Substanz teilweise verändert haben. Das liegt zum einen an globalen Phänomenen wie dem Aufstieg des Populismus.
Zum anderen sind Führungspersönlichkeiten wie Wolfgang Schäuble, der Initiator der Deutschen Islamkonferenz (DIK), verstorben oder aus den Führungsgremien ausgeschieden. Es ist fraglich, ob sich heute ein Unionspolitiker einen Satz wie „Der Islam gehört zu Deutschland“ (C. Wulff) zutrauen würde.
Der Weg der Schwesterparteien vom Kampf um die Mitte gegen SPD und Bündnisgrüne nach rechts und ihr verzweifelter Versuch, der AfD Stimmen abzujagen, wird von einer trumpesken Rhetorik begleitet. Dahinter stehen einige, inzwischen führende Figuren, die immer weniger mit dem Erbe Adenauers, Kohls oder Merkels zu tun haben.
Diese Veränderungen spiegeln sich im Bundestagswahlprogramm der Union wider. Bei Themen, die für muslimische Bürger von besonderem Interesse sein könnten, haben sich Ton und Forderungen verändert.
Union-Wahlprogramm: Was sind die religionspolitischen Prämissen der Union?
Die heutigen Christdemokraten unter Friedrich Merz sind nicht mehr so eng mit beiden Kirchen verbunden, wie dies in der alten Bundesrepublik der Fall war. Als Hinweis darauf können die negativen Reaktionen ihrer Vertreter auf die kritischen Äußerungen der zwei großen christlichen Religionsgemeinschaften zu den migrationspolitischen Vorstellungen von Merz gelten. Etwas scheint im gegenseitigen Verhältnis ins Rutschen geraten zu sein.
Die aktuellen religionspolitischen Aussagen im Wahlprogramm lesen sich nach dem Rückzug bzw. Tod der früheren christlich verankerten Führungspersönlichkeiten eher wie Traditionspflege denn als Ausdruck tiefer Überzeugung. Die Union beruft sich in ihrem Programm weiterhin stark auf das „christliche Erbe Deutschlands“.
Öffentliches Fastenbrechen auf dem Gelände der Berliner Sehitlik-Moschee. (Foto: Ömer Sefa)
Und sie betont den „unverzichtbaren Beitrag für Bildung, Gemeinwohl und gesellschaftlichen Zusammenhalt“ der Großkirchen. Sie bekennt sich zum Schutz der Feiertage und zur bisherigen Zusammenarbeit von Staat und Kirchen. Im Gegensatz zu anderen betont sie den Charakter des Religionsunterrichts als „ordentliches Lehrfach“.
Im Umgang mit dem Islam als religiöse Lebenspraxis ist der Ton ambivalenter. Muslime werden zwar als „Teil der religiösen Vielfalt Deutschlands und unserer Gesellschaft“ gesehen. Gleichzeitig gilt ihre Religion aber nur dann als akzeptabel, wenn sie „unsere Werte“ teilt. Hier setzt sich bei der Union der Denkfehler fort, „dem Islam“ in der Bundesrepublik einen Subjektcharakter zuzuschreiben.
Die Haltung der Union zu deutschen Muslimen
Wie in anderen Wahlprogrammen wird die Haltung gegenüber muslimischen Mitbürgern an Bedingungen geknüpft: Einerseits gehört ihr Bestand zur bundesrepublikanischen Realität. Allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie „unsere Werte“ teilen. Es gibt keine andere Bevölkerungsgruppe im Land, deren grundsätzliche Existenz an eine solche Vorbedingung gebunden wird.
Der Blick auf die hiesigen Muslime ist zweigeteilt: Die Union fordert in ihrem Wahlprogramm die Schließung extremistischer Moscheegemeinden, die Einführung einer Offenlegungspflicht für Vereine und ihre Dachverbände sowie die Verhinderung einer übermäßigen Einflussnahme aus dem Ausland.
Foto: hydebrink, Shutterstock
Gleichzeitig soll ein „lebendiges und vielfältiges muslimisches Gemeindeleben“ gefördert werden, das sich hier zugehörig fühlt. Die Ausbildung von Imamen in Deutschland auf Deutsch soll nach dem Willen der Union durch eine Stiftung betrieben werden. Ebenso will sie „Forschung und Lehre islamischer Theologie an deutschen Hochschulen“ ausbauen.
Wo der frühere Bundespräsident Wulff (CDU) den Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ wagte, heißt es heute „Die Scharia gehört nicht zu Deutschland“.
Praktische Fragen
In Hinblick auf konkrete Anliegen muslimischer Bürgerinnen und Bürger in ihrer Lebenspraxis hält sich das Bundeswahlprogramm der Union bedeckt. Das liegt unabhängig von der Partei an der föderalen Struktur Deutschlands. In dieser liegen die Behandlung alltägliche Bedürfnisse – von Bestattungen bis Moscheebauten – auf Landesebene oder im Verfügungsbereich von Kommunen.
Einzige Ausnahme ist die erwähnte Ausbildung von Imamen. Sie Christdemokraten befürworten, dass sie an hiesigen Universitäten stattfindet. Damit wollen sie „Integration“ fördern und einen „ferngesteuerten Islam“ verhindern.
Was tun bei Muslimfeindlichkeit?
Am 5. Februar veröffentlichte die CLAIM Allianz (ein Bündnis zu Muslimfeindlichkeit und Antidiskriminierung) eine Auflistung der Positionen der jeweiligen Parteien (ohne AfD, DAVA und Mera25):
Die Union lehnt in ihrem Wahlprogramm alle von CLAIM genannten Aspekte ab: Es gibt kein explizites Bekenntnis gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Die Partei fordert keine Beauftragten gegen antimuslimische Diskriminierung, lehnt Antidiskriminierungsschulen im öffentlichen Dienst ab und fordert auch keine Reform des Antidiskriminierungsgesetzes (AGG). Auch dem Demokratiefördergesetz steht die Union kritisch und mit Bedenken gegenüber.
Integration und Zuwanderung
Es gehört zu den Ärgernissen unserer „Islamdebatte(n)“, dass die religiöse Lebenspraxis einerseits und die Themen „Integration“ und „Migration“ andererseits wenn nicht synonym, so doch als miteinander verbunden verstanden werden. Das bedeutet, dass integrations- und migrationspolitische Fragen in den Blick genommen werden müssen, weil Muslime hier unausgesprochen mitgemeint sind.
Es ist kein Geheimnis, dass die Union unter Merz trotz gegenteiliger Ankündigungen die Integration zum wichtigsten Wahlthema gemacht hat. Sie kündigt eine „grundlegende Wende in der Migrationspolitik“ an. Und will einen „sofortigen faktischen Aufnahmestopp“ für illegale Migranten durchsetzen. Grenzkontrollen sollen mit Zurückweisungen verbunden werden. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll ausgesetzt werden. Und alle freiwilligen Aufnahmeprogramme beendet werden.
Die aktuellen Positionen zeigen eine deutliche Verschärfung der Migrations- und Integrationspolitik der CDU im Vergleich zu früheren Wahlprogrammen. Für sie steht „der deutsche Pass am Ende der Integration und nicht am Anfang“. Hier will sie eine „Express-Ampel-Einbürgerung“ umkehren.
Krieg und Frieden im Nahen Osten
Der Nahostkonflikt spielt für muslimische und arabische Wähler in Deutschland eine herausragende Rolle. Auch wenn hier keine Umfragen vorliegen, sondern nur anekdotische Evidenz sowie Äußerungen von Einzelpersonen bzw. bekannt gewordene Parteiaustritte (vgl. Heft 356), dürfte er ein wichtiges, wenn nicht das dominierende Thema für ihre Wahlentscheidung sein.
Die Parteien positionieren sich unterschiedlich zum Nahostkonflikt, was für diese Wählergruppe relevant sein kann. Er war und ist für viele ein sensibles und emotionales Thema – insbesondere nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und dem darauf folgenden Angriff der israelischen Streitkräfte auf Gaza.
Der Krieg, der Umgang der etablierten Parteien mit ihm und die offensichtliche Empathielosigkeit der gesellschaftlichen Mitte gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung führen, wie das DeZIM kürzlich ermittelte, auch bei muslimischen Wählern zu einer Lockerung der Parteibindungen und zu neuen Sympathien. Davon konnten in den Umfragen vor allem das BSW und Die Linke profitieren.
Foto: The White House, Joyce N. Boghosian, via flickr | Lizenz: Public Domain
Für Muslime, die die Union gewählt haben oder es wollen, dürfte die Haltung des Wahlprogramms zum Nahostkonflikt ein Hindernis darstellen. Beide Schwesterparteien positionieren sich eindeutig zugunsten der israelischen Politik. Die CDU bekennt sich zur Sicherheit Israels als „Staatsräson“. Seine Existenz und Sicherheit werden als nicht verhandelbar bezeichnet. Sie verurteilt nicht nur den Terror der Hamas, sondern betont auch das Recht Israels auf Selbstverteidigung.
Innenpolitisch bedeutet dies unter anderem, dass die Union Gewaltverherrlichung und antisemitische Äußerungen etwa auf Demonstrationen ausdrücklich ablehnt. Zudem will sie die Zahlung von Bundes- und EU-Mitteln an palästinensische Organisationen einstellen und künftig nur noch solche unterstützen, die sich klar vom Terror der Hamas distanzieren. Außerdem will sie Moscheen schließen lassen, in denen Hass und Antisemitismus verbreitet werden. Einzelpersonen, die solche Äußerungen tätigen, sollen leichter bestraft werden und Konsequenzen wie Aufenthaltsentzug oder Verlust der Staatsbürgerschaft erleiden.
Außenpolitisch spricht sich die Partei in ihrem Wahlprogramm für Waffenlieferungen an die israelische Armee aus. Man wolle Tel Aviv im „legitimen Kampf gegen den Terror“ militärisch unterstützen. Bestehende Ausfuhrsperren sollen aufgehoben werden. Völkerrechtlich lehnt die CDU die Haftbefehle des IStGH gegen israelische Politiker ab. Diese seien „zumindest problematisch“. Eine mögliche Festnahme Netanjahus auf deutschem Boden lehnt sie ab.
Formal tritt die Union – wie der politische Mainstream in Deutschland – formalistisch für eine Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt ein. Dies sei der einzige Weg zum Frieden in der Region. Wie diese – vor dem Hintergrund der „Staatsräson“ und der Unterstützung der gegenwärtigen israelischen Regierung – erreicht werden soll, bleibt offen.
Hier kommst Du direkt zum CDU/CSU-Wahlprogramm 2025:
https://www.cdu.de/app/uploads/2025/01/km_btw_2025_wahlprogramm_langfassung_ansicht.pdf