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Ramadan 2024: Wie den Hunger begreifen?

Ausgabe 345

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Foto: Odua Images, Adobe Stock

Die erste und für sehr viele grundlegendste körperliche Erfahrung des Fastens – insbesondere im Ramadan – ist der Hunger.

(iz). Diese Phase des Verzichts, obwohl streng genommen täglich begrenzt, wird von vielen Fastenden entweder als schnell zu überwindende oder als zu bewältigende Belastung erlebt. Andere nehmen sie als einen Moment der Erschütterung wahr, der die Tore zur Wahrnehmung und Nähe Allahs öffnet.

Im Gegensatz zu dem Zustand, in dem wir sehnsüchtig auf das tägliche Ende des Verzichts mit dem Fastenbrechen warten, gibt es in der islamischen Praxis und Lehre eine Denklinie, die uns dazu anregt, Müdigkeit, Appetit und die Unerfüllbarkeit von (ansonsten legitimen) Wünschen als Chancen zu begreifen. Einer der Lehrer und Sufis, die die positive Rolle des Hungers betonten, war der persische Gelehrte Imam Al-Ghazali.

In seinem Grundlagenwerk zur Wiederbelegung der religiösen Wissenschaften („Ihya Ulum Ad-Din“), das heute nichts an seiner Bedeutung verloren hat, zählt der Imam verschiedene Vorteile dieses Zustands auf. Hunger gibt uns, so der Imam, geistige Deutlichkeit sowie tiefe Einsicht (arab. basira).

Normalerweise verstehen wir, dass das Gefühl der Sättigung uns der Klarheit beraubt. Man solle keine Entscheidung treffen, wenn der Magen so voll ist, dass wir nicht mehr atmen können.

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Als weiteren Vorteil beschreibt der Imam, dass eine große Sattheit den Geist vernebelt. „Hunger hingegen macht das Herz weich und lässt die Süße des Gesprächs mit Allah, dem Allmächtigen, und die Wohltat des Gottesdienstes erfahren.“ Wer voll sei, könne kein intimes Zwiegespräch mit Allah, dem Allmächtigen, führen. Der Geist sei dann vernebelt und Dhikr sowie Anbetung hätten keine vergleichbare Wirkung.

Auch Dschunaid Al-Bagdadi, der große Bagdader Sufi, Faqih und Vertreter eines „nüchternen“ Sufismus, sagt, dass übermäßiges Essen unsere spirituelle Verbindung und den Verstand behindert.

Der dritte Vorteil des Hungers ist, dass er das Ego demütigt und die Spuren der Arroganz beseitigt. Nichts bricht das Selbst mehr als das. Es kontrolliert uns die meiste Zeit, deshalb fühlen wir uns im Ramadan Allah näher, wenn wir es brechen. Dadurch nehmen wir uns weicher und leichter wahr.

Im folgenden Text behandelt der Naturheilkundler Abu Bakr Carberry die körperlichen Vorteile von Hunger und warum wir ihn nicht vermeiden sollten.

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Foto: Anna Tarazevich, Pexels

Der Hunger hat einen wichtigen Zweck

In Sachen Ernährung befindet sich der Mensch stets zwischen Hunger und Sättigung. Die korrekte Balance ist für ihn daher, zu essen, wenn er hungrig ist – wenn er denn die Möglichkeit hat, tatsächlich hungrig zu sein. In unserer Zeit erleben wir eine Beschädigung dieser Fähigkeit, wirklichen Hunger zu spüren. Es ist so viel an Essen vorhanden.

Dies hat zu einer Schwächung der Verdauungsorgane geführt. Durch diesen Schaden finden wir uns heute in einer Situation, in der Nährstoffe nicht gut verarbeitet werden können. Das Resultat ist, dass Rückstände dessen, was wir ausscheiden sollten, in der Physis gehalten werden, weil wir sie nicht loswerden können.

Somit beginnen wir, Krankheiten zu entwickeln, die mit körperlicher Vergiftung zusammenhängen. Unter ihnen sind Arthritis, Psoriasis, Ekzeme, usw. Sie alle werden durch das physische Versagen verursacht, Fäkalien richtig auszuscheiden.

Eine der Möglichkeiten, die uns der Ramadan bietet, ist die Rolle, die der Hunger im Leben spielt, wiederzuerkennen. Wenn wir aus Angst essen, führt dies immer zu einem Überschuss. Denn es ist keine Nahrungsaufnahme, um Appetit zu stillen, sondern eine, um unsere Furcht zu stillen. Wir befürchten, nicht genug zu haben, um einem Verlangen nachzukommen. Wir sehen, dass einige Muslime diese Angewohnheit spezifisch im Ramadan entwickelt haben.

In dieser Zeit ist unser Zustand als Muslime sichtbar – in dem Moment, wenn das Fastenbrechen beginnt. Und dann machen wir all die Witze über das Tarawwih-Gebet, welches mit einem überfüllten Magen verrichtet wird. Die Grundaufgabe besteht für uns also darin, das Gleichgewicht zum Hunger wiederherzustellen.

Gleichgewicht in schwieriger Zeit

Jedoch ist es sehr schwer, in einer Zeit, die an sich nicht balanciert ist, Balance zu finden. Wir lesen die Ahadith und die Ratschläge der Sufis und finden darin Anweisungen, wenig zu essen und zu schlafen.

Aber die Natur unserer Epoche ist, dass wir übermäßig viele Stunden arbeiten. Wir haben die Nacht erleuchtet, indem wir durch Elektrizität künstliches Licht im Dunkeln geschaffen haben. Also gehen wir erst spät schlafen. Weitere Faktoren hierfür sind das Fernsehen und das Internet.

All dies hält uns von einem natürlichen Schlafrhythmus ab. Wenn man spät schlafen geht und lange Arbeitstage hat, wird man müde sein. Sind wir übermüdet, neigen wir dazu, Süßes essen zu wollen und generell Kohlenhydrate zu suchen. Der Körper schreit nach einfacher, schneller Energie.

Viele haben deswegen Ringe unter den Augen, denn die Nebenniere ist einem Druck ausgesetzt. Solche Leute werden oft auf Schokolade und weitere Süßigkeiten zurückgreifen. Und es ist fast unmöglich für sie, diese Angewohnheit zu ändern. Sollten sie es über einen Zeitraum hinweg aushalten, finden sie sich meist in einer Situation wieder, in der sie aufgeben und sich „vollstopfen“.

Die Fitra beachten

Der Mensch hat eine Fitra. Wenn wir diese nicht berücksichtigen, dann werden wir verlieren. Denn Allah sagt, dass nichts die Balance brechen wird. Wenn wir all diese schlechten Gewohnheiten beibehalten und dem Körper nicht die Art von Bewegung und Ruhe sowie die Nahrung, die er tatsächlich braucht, zukommen lassen, wird er aufhören, eine natürliche Reaktion auf den Hunger zu haben. Daraus ergeben sich zwei sich gegenüberstehende Seiten: Diäten und Fettleibigkeit.

Viele Leute befinden sich daher in einem Ohnmachtszustand, da sie einfach erschöpft sind. Sie können den Kreislauf der Kohlenhydrataufnahme nicht stoppen, weil unser System stets danach verlangt. Insulin wird ständig ausgeschüttet und das Resultat davon ist, dass der Körper es in Fett wandelt und wir zunehmen. Das Hungergefühl ist pervertiert. Denn eigentlich ruft der Körper nach Erholung und wir geben ihm stattdessen Zucker.

Diäten sind auch Ausdruck eines Problems

Die verschiedenen Diätarten, die wir auf dem heutigen Markt finden, sind eine Ausprägung eben dieser Sache, nur in verschiedenen Gewändern. Oft sind sie bloß eine neue Art, uns genauso zu ernähren wie vorher, nur mit anderen Lebensmitteln, die wir nun für gesund halten. Ein wirkliches Umdenken unserer Lebensgewohnheiten findet dabei nicht statt.

Das ist eine Sache, die die Lebensmittelindustrie sehr gut verstanden hat. Zucker macht süchtig, daher finden wir in den Supermärkten mehr und mehr Lebensmittel, die reichlich zuckerhaltig sind, denn wenn wir süchtig nach ihnen sind, ergibt dies einen großen Markt und die Lebensweise, die dieses Konsumverhalten fördert, bleibt erhalten. Dies ist der Grund für die Vorherrschaft der kohlenhydratreichen Lebensmittel in den Geschäften – sie sichern Profit.

Ich bitte meine Patienten daher meist, einfach früh uns Bett zu gehen. Nach etwa zwei Wochen verändert sich ihr Verlangen nach Zucker und ihre Ernährungsweise allgemein. Denn der Körper stellt seine Balance wieder her und die Pervertierung des Hungergefühls geht allmählich zurück.

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Foto: Albert González Farran, UNAMID/CCL

Tradierte Ernährungsformen sind gewichen

Wenn wir uns die Entwicklung unserer Essgewohnheiten anschauen, sehen wir, dass das, was als traditionelle Ernährung in verschiedenen Völkern galt, heute im Prinzip nicht mehr existiert. Was wir für die traditionelle Küche eines Landes halten, ist es meist nicht.

Denn wir waren geschichtlich nie in der Lage, Getreide und Kartoffeln in den Mengen zu produzieren, in welchen wir sie jetzt vorfinden. Erst durch die Schaffung von Düngemitteln waren wir imstande, Unmengen dieser Lebensmittel, die heute unser Hauptbestandteil an Nährstoffen sind, günstig anzubauen.

Dies hat mit Tradition nichts zu tun. Der Großteil der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Ernährung begünstigt diesen Umstand, denn sie wird von der Lebensmittelindustrie bezahlt, um Resultate zu erbringen, die in ihrem Interesse liegen.

Wenn wir aber unseren Fokus weg von Kohlenhydraten und hin zum Fett verlagern, finden wir, dass unser Energiehaushalt eine Veränderung durchläuft. Besteht Ernährung hauptsächlich aus Gemüse und guten Fetten, Protein in Maßen und ein wenig Kohlenhydraten, kann der Körper Fett abbauen und Energie über einen längeren Zeitraum hinweg halten.

Wenn wir ihm hingegen Zucker geben, dann wird er nur diesen verbrauchen, weil dies für den Körper am einfachsten ist, und unsere Fettleibigkeit bleibt erhalten oder steigt sogar. Lange haben wir geglaubt, dass Fett dick macht. Das Gegenteil ist der Fall.

Es gibt uns exzellente Energie, solange es nicht in Verbindung mit Kohlenhydraten eingenommen wird, beziehungsweise diese in geringen Mengen gehalten werden. Im Gemüse finden sich zudem alle Nährstoffe, die der Mensch benötigt – von Kohlenhydraten und Fetten, bis hin zu Proteinen, Mineralien und Vitaminen.

Grundlegend ist aber unser Problem, dass wir Gewohnheiten nicht ändern wollen. Wenn wir Gesundheit und gute, langanhaltende Energie in unserem Leben erreichen wollen, dann müssen wir uns und das, was wir wollen, fundamental ändern.