Was ist los in Frankreich?

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(iz). Mein Kollege Samuel Paty wurde am 16. Oktober brutal ermordet. Der Angreifer handelte im Namen einer extrem gewalttätigen Vision des Islams. Leider ist diese Tat Teil einer langen Reihe von Angriffen; von denen jeder einzelne schrecklicher und tödlicher ist als der letzte. Diese Taten wurden von Muslimen im Allgemeinen und französischen islamischen Vereinigungen im Besonderen spontan und scharf verurteilt.

Wenn die vollkommen verständliche Reaktion der individuellen und kollektiven Emotion und der ebenso legitimen Wut vorbei ist, ist es wichtiger denn je, die möglichen/wahrscheinlichen Folgen einer Geste solcher Barbarei zu analysieren, zu kontextualisieren und zu ermessen. Dies trägt eindeutig die entmenschlichende Prägung der dschihadistischen Ideologie, die von terroristischen Gruppen wie der Organisation des Islamischen Staates (Daesh) inspiriert wurde, die leider für ihre zahlreichen Gräueltaten u.a. im Irak, in Syrien und insbesondere in Frankreich bekannt ist.

Einmal mehr wird deutlich, dass der radikal-islamistische Terror globalisiert ist. Und zwar aufgrund der chronischen Konflikte im Nahen Osten, die er gerade im Nahen Osten voll ausnutzt, indem er Grenzen ignoriert und im Gegenteil in sozial, wirtschaftlich und moralisch zerbrechlichen Gesellschaften nach Auswegen sucht.

Wenn in bestimmten privaten und öffentlichen Äußerungen des französischen Islams ein wirklich konservativer Tropismus oder sogar Formen der kommunitaristischen Abschottung zu finden sind, dann sind diese nicht alle „Separatismus“, Islamismus und noch weniger Dschihadismus. Obwohl diese Äußerungen es verdienen, von Wissenschaft und liberaleren muslimischen Theologien in Frage gestellt und aufgewogen zu werden, können sie nicht ohne jede Nuance moralisch für Dschihadismus oder gewalttätigen Radikalismus verantwortlich gemacht werden.

Wir sollten uns noch einmal klar machen, was die Ziele der Terroristen in ihrer makabren Vielfalt sind: Zu terrorisieren, das soziale Gefüge der Länder, in denen sie zuschlagen, zu zerreißen, zu beweisen, dass die demokratischen Werte, die auf der philosophischen Grundlage der Aufklärung beruhen, überholt sind, und um damit muslimische Bürger zu kriminalisieren, die sich in ihren Augen schuldig gemacht haben, sich in Gesellschaften niedergelassen zu haben, in denen das „göttliche Recht“ nicht der Bezugsrahmen ist.

Ignoranz und Hass auf den anderen, ob dieser nun Atheist, Agnostiker, Homosexueller oder „Ketzer“ ist, sind der Treibstoff für mörderische Ideologien in der Welt im Allgemeinen und für religiös inspirierten Terrorismus im Besonderen. Leider bleiben Lehre und Forschung, die die mächtigsten Waffen sind, die uns zur Verfügung stehen, um diese Hassreden zu dekonstruieren. Diese sind auch heute noch unterbewertet in einer Welt, in der binäres Denken und Medienklischees auf Fernsehgeräten als Kompass zu fungieren scheinen.

Wenn jetzt davon die Rede ist, alle fundamentalistisch religiösen Äußerungen zurückzudrängen, ist das ein Thema für sich. Tatsächlich haben die Muslime nicht auf die Angriffe gewartet, um innerhalb ihrer Religionsgemeinschaft daran zu arbeiten. Dennoch sollten sie nicht um jeden Preis des „islamo-gauchisme“ verdächtigt werden, einer Auffangkategorie, die die Verdinglichung von Realitäten erlaubt, die so unterschiedlich sind wie für das Christentum die weißen Rassisten des KKK im Vergleich zu den Arbeiterpriestern der Befreiungstheologie! Gerade in diesen schwersten Momenten findet die durch die lange Zeit der Forschung ermöglichte Differenzierung ihre Daseinsberechtigung.

Entweder wir geben den Sirenen des Rachefeldzuges nach und zerstören als Reaktion auf einen Akt der Barbarei einen nach dem anderen die Dämme unseres demokratischen Rechtsstaates, indem wir einige unserer muslimischen Mitbürger in eine „fünfte Kolonne“ verwandeln, oder wir glauben wirklich an die Überlegenheit unserer demokratischen Werte und hören dann auf, alles auf die gleiche Stufe zu stellen, obwohl wir gegen die wirklichen operativen Komplizen der Terroristen unerbittlich sind.

Ein Muslim, selbst ein konservativer Muslim, ist de facto weder ein Islamist noch ein Salafist, noch ist er notwendigerweise Dschihadist. Dies ist jedoch das Signal, das gesendet wird, wenn die Reaktionen auf einen Angriff unter den kontraproduktivsten darauf abzielen, wahllos Gotteshäuser zu schließen (Terroristen gehen nicht in Moscheen), das Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Raum oder an Universitäten zu verbieten (was hat das mit dem Angriff zu tun?), die Halal-Regale der Supermärkte zu stigmatisieren (kein Kommentar) und alles andere dazwischen.