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Was kostet ­unser Gewicht?

Ausgabe 250

Foto: Lorrie Graham/AusAID | Lizenz: CC BY 2.0 | Link

(IPS). Heute gelten über 2,1 Milliarden Menschen als übergewichtig oder fettleibig. Das sind beinahe 30 Prozent der Weltbevölkerung. Angesichts einer Zahl von mehr als 800 Millionen chronisch Hungernder, übersteigt die Anzahl der Übergewichtigen die Unterernährten somit um mehr als das Zweieinhalbfache.
Die letztjährige Konferenz über Ernährung im November in Rom wurde dafür kritisiert, angeblich das Ausmaß der menschlichen Kosten und der ökonomischen Lasten von Mangelernährung übertrieben zu haben. Die neuen Zahlen eines Berichts des McKinsey Global Institutes von 2014 legen den Schluss nahe, dass sich die Konferenz in die andere Richtung irrte. Zumindest, soweit der Umfang von Fettleibigkeit betroffen ist.
Die letzte Schätzung der WHO lag bei rund 1,5 Milliarden Übergewichtigen. Ein Drittel von ihnen soll fettleibig sein. Das bedeutet einen Anstieg von rund 40 Prozent in nur wenigen Jahren. Alleine in Großbritannien gelten 37 Prozent der Menschen als übergewichtig, und ein Viertel als dick.
Wirtschaftliche Lasten
Übergewicht und besonders Dickleibigkeit stellen laut dem McKinsey Bericht einen schwerwiegenden ökonomischen Kostenfaktor dar. Das sind rund 2,8 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung beziehungsweise ca. 1,78 Billionen Euro. Die Belastung des Gesundheitswesens steigt rapide an, solange die gegenwärtigen Entwicklungen nicht umgekehrt werden. In 15 Jahren wird die Hälfte der erwachsenen Weltbevölkerung übergewichtig, wenn nicht sogar fettleibig sein.
Die Schätzungen über Verluste beinhalten verlorengegangene Produktivität, gestiegene Kosten im Gesundheitswesen und Investitionen, die nötig werden, um mit den Folgen des Fetts umgehen zu können. Diese geschätzten Verluste stehen demnach im Bezug zur Weltwirtschaft auf der gleichen Höhe wie bewaffnete Konflikte, Kriege und Terror sowie das Rauchen.
Nicht nur reiche Bonzen
Übergewicht wurde früher in der allgemeinen Vorstellung und Karikatur mit den „reichen Bonzen“ in den wohlhabenden Ländern des Westens in Verbindung gebracht. Dabei beeinträchtigt das Problem Gemeinschaften mit geringerem Einkommen unverhältnismäßig mehr.
In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Geißel in den meisten Entwicklungsländern rapide ausgebreitet. Das gilt insbesondere für jene, die als „besser dran“ gelten oder über ein mittleres Einkommen verfügen. Das liegt hauptsächlich an der Lebensweise, entsprechender Aktivität – oder ihrem Fehlen – sowie an Änderungen der Ernährungsweise.
Unter Führung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkennen die Vereinten Nationen Fettsucht mittlerweile als eine Epidemie an. Diese stehe in Verbindung mit nicht-übertragbaren Krankheiten wie Diabetes Typ 2 sowie verschiedenen Krebs- und Herzerkrankungen. Jährlich sollen 2,8 Millionen Todesfälle auf das Konto eines übermäßigen Körpergewichts gehen.
Umfassende Eingriffe werden nötig sein
Der Bericht des McKinsey-Instituts sowie die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation unterstreichen die Forderung nach stärkerer politischer Einmischung. Es brauche stringentere strategische Ansätze sowie eine größere internationale Zusammenarbeit zur Behandlung von Fehlernährungen in jeglicher Form. Namentlich seien diese Hunger, ein Defizit von Mikronährstoffen sowie nicht-ansteckende Krankheiten, die im Zusammenhang mit unserer Lebensweise stünden. Letztere stehen in enger Beziehung zur Fettleibigkeit.
Der Bericht gibt schlagkräftige Ar­gumente für eine umfassende Strategie. Sie brauche „ein ausreichendes Maß“. Es sei unwahrscheinlich, dass sich Hoffnungen auf vereinzelte „Wunderwaffen“ und auf ihre Wirkungen erfüllten. Das Papier untersucht 74 Maßnahmen zur Lösung der Fettleibigkeit, bevor in ihm eigene Vorschläge angeführt werden.
Dazu gehören kleinere Mahlzeiten, Einschränkung bei der Werbung und Verkaufsförderung von Lebensmitteln und Getränken sowie verbesserte Informationen und Schulungen von Verbrauchern – insbesondere Eltern. Diese Vorschläge sollen ausgeglichene, vielfältige und gesunde Mahlzeiten in der Schule und am Arbeitsplatz sichern. Außerdem brauche es neue Ansätze gegenüber industriell verarbeiteten Lebensmitteln und mehr Bewegung in der Schule.
Anfang 2014 halbierte die WHO ihre Empfehlung des täglichen Zuckerverbrauchs von zehn Prozent des Kalorienbedarfs eines Erwachsenen auf fünf Prozent. Sie ist einem erheblichen Widerstand durch beeinträchtigte Unternehmen und ihrer staatlichen Unterstützer ausgesetzt. Die letztmaligen Ernährungsrichtlinien der US-Regierung über die Zuckeraufnahme bezogen die WHO-Empfehlungen in ihren Themenkatalog mit ein – ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung.
Es gibt auch erfreuliche Nachrichten. Nachdem die Vereinigten Staaten lange die globale Übergewichts-Liga anführten, konnte zwischen 2004 und 2013 die Fettleibigkeit bei Kindern um 43 Prozent reduziert werden. Das legt nahe, dass die global schnellstwachsende Pandemie umgekehrt werden kann. Nicht alles ist verloren und gemeinsame und entschlossene Anstrengungen können dabei helfen, die Ausbreitung des neuen Fluchs des Überflusses abzuwenden. (IPS)
Jomo Kwame Sundaram war Koordinator für wirtschaftliche und soziale Entwicklung bei der Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen. 2007 erhielt er den Wassily Leontief-Preis.