Wider die Collage der Wahrnehmung

Ausgabe 291

Foto: evorona | Freepik

(iz). Am 22. August wurde ein Urteil des Verwaltungsgerichts Halle bekannt, wonach eine muslimische Schülerin im Unterricht bekleidet duschen darf. Die Hallenser Richter beriefen sich dabei auf Artikel 4 des Grundgesetzes und seiner Funktion, das Recht des Einzelnen auf Glaubensüberzeugung zu gewährleisten. Auch sei das Duschen vor dem Unterricht kein ­Bestandteil desselben, sodass es nicht deren Grundrechte einschränken könne.

So weit so gut. Jetzt kann man sich auch als neutraler Beobachter natürlich fragen, warum es nun gerade im Anhaltinischen erst eine richterliche Entscheidung braucht, um solch eine Lappalie zu regeln. Vielleicht hat der Vorgang auch etwas mit dem ostdeutschen Hang zur körperlichen Freizügigkeit zu tun, der sich in westdeutschen Badeanstalten nie so durchge­setzt hat. Wie dem auch sei. Interessant dabei ist, wie wir Muslime auf banale und im Grunde alltägliche Vorgänge wie diesen reagiert haben und reagieren.

Anstatt diese spezielle Badeordnung und ihre pedantische Durchsetzung in den Kontext eines gesamtdeutschen Alltags zu rücken, in dem wohl Zehntausende Menschen (beileibe nicht nur Muslime) unbehelligt mit Bade­kleidung duschen, wird hier unter anderem skandalisiert. Aus dem berühmt-berüchtigten Einzelfall wird ein weiterer Mosaikstein in der Collage eines Weltverständnisses gemacht, ja ein Fanal der Diskriminierung. Längst hat sich diese Collagetechnik des Subjektivismus und der Aneinanderreihung einzelner Momentaufnahmen (wie sie vom SPIEGEL nach 9/11 perfektioniert wurde), die man von der rabiaten Islamkritik kennt, in unseren eigenen Reihen breitgemacht.

Beinah schon getrieben von jedem sich anbietenden „Shitstorm“ besteht die Wirklichkeit, wie sie im muslimischen Gespräch gezeichnet wird, stellenweise nicht mehr aus einem Alltag, der auch seine problematischen, wenn nicht gar beunruhigenden Seiten hat, aber eben auch seine funktionierenden, wenn nicht gar positiven. Im Gegenteil, es wird eine ­Wirklichkeit der muslimischen Existenz in Deutschland beschrieben, in der die Lager eindeutig benannt sind und in der jedem erkennbaren Muslim an jeder Ecke Ungemach droht.

Bevor bei der/dem einen oder anderen Leser/in Schnappatmung eintritt, weil sich das Ganze wie eine Relativierung alltäglicher Muslimfeindlichkeit liest, sei gesagt: Dem ist keineswegs so. Diese existiert und ihr muss im konkreten Fall eben konkret begegnet werden. Etwas, das Initiativen unter muslimischer ­Beteiligung wie FAIR International oder die neue CLAIMS Allianz engagiert tun.

Das lässt sich aber nur erfolgreich bewerk­stelligen, wenn man sich nicht in einer Welt voller, umgebender Feinde wähnt. Und wenn man erkennt, dass es auch einen funktio­nierenden, wenn nicht schönen muslimischen Alltag in diesem Land gibt. Dafür aber ­müssen wir uns von der Collage frei machen und wieder dem realen Leben zuwenden.