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Zeit, in die Jugend zu investieren

Ausgabe 269

Foto: Miguel Ferraz Araújo | Junge Islam Konferenz

Taner Beklen ist 27 Jahre alt und studiert Deutsch und Pädagogik auf Lehramt an der Universität Paderborn. Der gebürtige Dortmunder ist türkischer Abstammung und war von 2015 bis Mai dieses Jahres Bundesvorsitzender des BDMJ – dem Bund der Muslimischen Jugend (DITIB). Wir unterhielten uns mit ihm über die aktuelle Lage junger Muslime in ihren Gemeinschaften sowie die Herausforderungen muslimischer Jugendlicher in Deutschland.
Islamische Zeitung: Lieber Taner Beklen, wie würden Sie die gegenwärtige Lage muslimischer Jugendlicher bewerten?
Taner Beklen: Für muslimische Jugendliche ist der Spagat zwischen den zwei unterschiedlichen Kulturen, in denen sie aufwachsen, immer noch eine große Hürde. Da entwickelt sich mit der Zeit eine ungesunde Beziehung zum eigenen Glauben. Beispielsweise haben einige junge Menschen eine Hemmschwelle, innerhalb der Moschee in geschlechtlich gemischten Gruppen zusammenzukommen und zu arbeiten. Während aber dieselben Jugendlichen, die so eine Trennung einfordern, weil es islamisch sei, kein Problem damit haben, außerhalb der Moscheen in Shisha-Cafés gemeinsam Freizeit zu gestalten.
In einer politisch so polarisierten Gesellschaft rund um islamische Themen neigen immer mehr junge Muslime dazu, islamische Werte, auch solche, die nicht wirklich islamisch sind, mehr denn je verteidigen und erhalten zu wollen. Sie agieren permanent defensiv und nehmen jede Diskussion rund um den Islam als Angriff und Beleidigung wahr.
Konstruktive Diskussionen finden erst gar nicht statt, weil eine zu emotionale und unsachliche Reaktion den Austausch, der klärend sein könnte, abwürgt. Muslimische Jugendliche fühlen sich unverstanden und ziehen sich in ihre eigene Nische zurück.
Islamische Zeitung: Fühlen sich muslimische Jugendliche, die ganz unterschiedliche Hintergründe haben, von der Diskussion über sie ange­messen vertreten? Was müsste sich hier ändern?
Taner Beklen: Im kleinen Rahmen und auf lokaler Ebene gibt es durchaus Plattformen und Zusammenschlüsse, in der sich junge Muslime behaupten und sich vertreten fühlen. Darüber hinaus sieht es leider etwas düster aus. Gerade dort, wo Diskussionen auf Länder- und Bundesebene, über kommunale Grenzen hinweg, allgemeine Themen über Muslime stattfinden, gibt es keine Stimme junger Muslime, die öffentlich Stellung beziehen könnten.
Meist betreffen diese Diskussionen nämlich sie selbst, wenn es darum geht, ob junge Muslime krimineller sind, warum einzelne sich vom Salafismus oder dem IS angezogen fühlen, oder die ganzen Kopftuchstreitigkeiten in Schulen oder Behörden. Nur werden diese Diskussionen am Ende bloß über junge Muslime geführt und nicht mit ihnen.
Zumindest auf Länderebene etablieren sich aber langsam Landesjugendverbände der DITIB, die nicht nur an solchen Diskussionen teilhaben, sondern auch an Gremien, die sich mit jugendpolitischen Themen in Deutschland beschäftigen. Wir müssen uns als junge Muslime nämlich auch mal Themen annehmen, die nicht nur uns selbst betreffen, sondern auch der Sache, wie wir uns allgemein für das Wohl aller jungen Menschen einbringen können. Muslimische Jugendarbeit sollte sich zu keiner Selbsthilfegruppe entwickeln.
Islamische Zeitung: Was sind ihrer Erfahrung nach die größten Herausforderungen der Jugendlichen?
Taner Beklen: Die größte Herausforderung für junge Muslime besteht darin, sich von extrem politisierten Diskussionen rund um den Islam nicht abschrecken zu lassen. Wir sollten uns nüchtern und selbstbewusst diesen Themen zuwenden können. Wir dürfen nicht müde werden, Fragen zu beantworten und falsch Verstandenes richtig zu stellen.
Wir sollten die Deutungshoheit über unsere Religion aber auch nicht den kleinen radikalen Gruppen überlassen. Die meisten jungen Muslime sind nämlich so sehr genervt von den überspitzten Islamthemen, dass sie sich lieber ducken und resigniert zurückziehen – sich letztendlich aber auch hier nicht mehr zu Hause fühlen. So werden diese Themen den wenigen radikalen Stimmen überlassen. In dieser Position ist umso mehr eine Vertretung, ein Sprachrohr von jungen Muslimen notwendig. Diese sollte nicht nur auf Diskussionen reagieren können, sondern auch selbst öffentlichkeitswirksam agieren und Impulse setzen, mit eigenen Themen und Projekten.
Islamische Zeitung: Lieber Taner Beklen, Sie waren bis zum Mai diesen Jahres Vorsitzender des Bundes der Muslimischen Jugend (BDMJ), bis Ihr Vorstand geschlossen zurückgetreten ist. Tun muslimische Organisationen und die einzelnen Gemeinden genug und was müsste sich ändern?
Taner Beklen: Um mit den Herausforderungen ihrer Zeit fertig zu werden, brauchen muslimische Jugendliche und ihre Zusammenschlüsse das notwendige Know-how. Dies betrifft nicht nur den finanziellen Rahmen, sondern auch den notwendigen Freiraum, selbst- und eigenständig handeln und agieren zu ­können – mehr Vertrauen in die junge Generation.
Es darf auch von Seiten junger Menschen nicht zu einem falschen Verständnis über Respekt Erwachsenen gegenüber kommen. Es ist keine beleidigende Geste, Kritik zu äußern und Erwachsene beziehungsweise Vertreter muslimischer Organisationen auf ihre Fehler hinzuweisen. Respekt ist nämlich keine Einbahnstraße. Oft spielen Erwachsene innovative Ideen und Vorschläge von Jugendlichen als zu naiv und utopisch ab, nehmen sie nicht wirklich ernst.
Ein anderer Punkt ist, dass Verantwortliche der Gemeinden heute noch immer damit beschäftigt sind, ihre Räumlichkeiten architektonisch zu verbessern und auszubauen. So lobenswert diese Ziele auch sind, es ist Zeit, dass man mehr in Kinder und Jugendliche, in Bildung und Ideen investiert. Die Moscheen müssen mehr Angebote machen und ihre Jugendgruppen auch finanziell (mehr) unterstützen. Von all den schönen Bauten hat man nichts, wenn die Räume demnächst leer bleiben.
Das konkrete Problem in meinem Beispiel war, dass eine alte Struktur mit der selbständigen Arbeit ihrer jungen Generation nicht fertig wird. Die gewohnte Arbeitsweise, selbst über alles bestimmen zu können und allein den Ton anzugeben, bröckelt. Der Strukturwandel, der Landesvertretungen, Frauen und Jugendliche mit an den Tisch brachte, führte dazu, dass mehr Leute sich „einmischten“. Das ist für einige bloßer Störfaktor, die darin aber die Chancen und Möglichkeiten nicht sehen.
Gerade an der Spitze der DITIB sitzen türkische Bürokraten, die nur ihre Hierarchien kennen und mit einer zivil aufgebauten Religionsgemeinschaft nichts anfangen können. Sie sind chronisch überfordert und bremsen das Potenzial, das immer weiter nach vorne prescht.
Islamische Zeitung: Wird der momentane ethnische oder ideologische Definitionsrahmen der meisten muslimischen Verbände einer neuen Generation gerecht, die längst hier zu Hause ist?
Taner Beklen: Junge Muslime sind schon viel weiter als jene, die sich noch an den Spitzen der Verbände halten. Das Problem fängt schon bei der Sprache an: Muslimische Jugendgruppen haben erkannt, dass ihre Altersgenossen der Herkunftssprache nicht mächtig genug sind, um den Theologen zu verstehen.
Deutschsprachige Veranstaltungen sprechen mehr Muslime an und diskriminieren andere, die kein Türkisch oder Arabisch sprechen, auch nicht. Die Jugendgruppen setzen deswegen vermehrt auf deutschsprachige Referenten. Doch begegnet man dann dem Vorwurf, man würde bewirken, dass die jungen Leute ihre Herkunftssprache verlieren.
Keiner will das und jeder weiß, dass eine Sprache eine Bereicherung ist und Tore öffnet zu einer weiteren Kultur und Literatur. Doch entspricht das nicht der Lebensrealität junger Muslime und man muss sich dann auch noch mit solchen Vorwürfen auseinandersetzen. Das ist mühsam.
Islamische Zeitung: Seit einigen Jahren weichen junge Muslime und Erwachsene auf alternative Ansätze aus. Wie ist eine solche Entwicklung zu bewerten?
Taner Beklen: Letzteres ist auch schon eine gute Überleitung zur nächsten Frage. Ich bin in der muslimischen Jugendarbeit vielen begegnet, die außerhalb der Moscheen in eigenen oder Projekten anderer Anbieter engagiert waren. Diese Projekte sind begrüßenswert und bewirken sogar manchmal mehr als andere.
Jedoch sage ich immer wieder, man soll wegen ein paar Auseinandersetzungen mit den Erwachsenen beziehungsweise den Gemeindevorständen nicht gleich der Moschee den Rücken kehren. Wem überlassen wir die Moscheen denn dann?
Projekte und Initiativen nichtmuslimischer Stiftungen sind meist gut, aber sie sind eben zeitlich begrenzt. Solche Dinge sollten junge Muslime selbst in die Hand nehmen, vor allem von ihren Moscheen beziehungsweise den Religionsgemeinschaften aus, damit sich etwas Bleibendes, Nachhaltiges etabliert, wovon auch die nächsten Generationen profitieren. Wie die christlichen Jugendverbände auch, sollten wir wiederkehrende Schulungen und Fortbildungen haben, Ferienfreizeitlager anbieten und junge Muslime ganzheitlich in das Gemeindeleben einbinden. Die Nachhaltigkeit von der zu begründenden muslimischen Jugendarbeit ist sehr wichtig – Projekte und Initiativen Dritter sind nur temporär, weswegen sie uns nur auf kurze Sicht zufriedenstellen können.
Islamische Zeitung: Lieber Taner Beklen, wir bedanken uns für das ­Interview!