Zurück zu den Wurzeln: der Jurist Taris Ahmad über die bewegte Vergangenheit seiner Vorfahren

Ausgabe 204

(iz). Viele, die in unseren Breiten aufwach­s­en, können aus unterschiedlichen Grün­den auf kein detailliertes familiäres Gedächtnis zurückgreifen, das über die Generation ihrer Großeltern beziehungsweise über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit zu­rückreicht. Dabei können sehr viele Fa­miliengeschichten zu uns sprechen und eröffnen ein Verständnis für unsere spezifischen familiären Anlagen. Der international ausgebildete Jurist Taris Ahmad ist ein interessantes Beispiel für eine, alles andere als langwei­lige Familiengeschichte. Im Gespräch mit ihm reden wir über ein faszinieren­des Familienerbe, warum sich die Araber für ihre Geschichte interessierten und Vorbilder unserer Zeit.

Islamische Zeitung: Lieber Taris, deine Familie hat eine bunte Geschichte, darunter auch ein österreichisches Grafengeschlecht, dass von spanischen Adligen abstammt. Wie bist du auf deine Familiengeschichte gestoßen?

Taris Ahmad: Meine mütterliche Grossmutter ist ein Abkömmling der Familie von Velasco und ich bin damit aufgewachsen und in Verbindung mit meinen Cousins.

Islamische Zeitung: Woher die Verbindung nach England?

Taris Ahmad: Konrad Emile von Velasco ist in den 1880er von München nach London ausgewandert, andere in die USA. Während und zwischen den Weltkriegen war man dann weder in England noch Deutschland sicher. Gott sei Dank gibt es heute die Europäische Union.

Islamische Zeitung: Woher der Adel?

Taris Ahmad: Soweit vom Archiv her erkenntlich wurde Bernardin von ­Velas­co in Wien 1537 in den Ritterstand, 1713 in den spanischen Grafenstand und dann 1812 in die bayerische Adelsmatrikel aufgenommen in Berufung auf die Abstammung von Bernardino Heinrich Fernan­detz von Velasco Tobar und Carravajel, Condestabl von Castilien und Leon, Herzog von Friar etc. Einige prominente spanische Familienmitglieder leben heute noch in Teneriffa.

Islamische Zeitung: Deine spanischen Vorfahren haben sowohl christliche, als auch muslimische Wurzeln. Wie bist du darauf gestoßen?

Taris Ahmad: Das wurde mir von meinen katholischen Verwandten ­weiter tradiert. Die Familie von Velasco ist mehrheitlich katholisch, die jedoch auch zum Teil arabische Namen trugen und wohl auch zum Teil muslimische ­Zweige hatte wie etwa ibn Velasco. Die Inquisition und der Fanatismus hat viele Muslime dazu gezwungen ins Exil zu gehen oder ihren Glauben zu verheimlichen. Ein spannendes Buch zum Thema ist „Blood and Faith: The Purging of Muslim Spain“.

Islamische Zeitung: Was fasziniert dich an der Geschichte? Ist dein Interesse an deiner Familiengeschichte bloß ein historisches oder ziehst Du Bedeutung aus ihr für dein heutiges Leben?

Taris Ahmad: Ich sehe darin eine Verbildlichung, dass der Islam in Europa sehr lange existiert mit familiären und kulturellen Verflechtungen: sei es in Spanien durch das 800 Jahre währende Emirat, 250 Jahre in Süditalien, der erste muslimische König in England, King of Mercia in Offa aus dem 8.Jahrhundert, der muslimische Vertraute Abdulka­rim der Königin Victoria im 19. Jahrhundert, die intellektuelle Ausstrahlung der islamischen Philosophie auf Juristerei, Medizin, Literatur, Kunst, Philosophie, Mathematik und gar Technik, In­novation und Wirtschaftstheorien. Islamische Herrschaftsstrukturen mögen verschwinden, doch Menschen, ihre Innovation und ihr Glauben blieben. Ich persönlich, so wie viele andere europäische Muslime auch, sehe mich daher oft in einer Brückenfunktion zwischen den christlichen und muslimischen Gesellschafts- und Familienteilen. In vielerlei Hinsicht sind wir als Muslime mit unseren universalen Werten die Integrationsmacher.

Islamische Zeitung: Kennst du ein konkretes Beispiel oder Vorbild eines muslimischen Integrationsmachers unserer Zeit?

Taris Ahmad: Ja, meinen Freund den Grossmufti Habimana Saleh aus ­Ruanda. Er hat sich geweigert, sich am Genozid zu beteiligen und den Rassismus als islamfeindlich abgelehnt. Die Moscheen waren Zufluchtsorte, in denen Christen Schutz fanden und ihren Gottesdienst absolvieren durften. Heute ist es der Islam, der Hutis und Tutsis am Besten versöhnen und eine nationale Identität schaffen kann. Der Islam war nämlich nicht beteiligt. Ich empfehle den Film „Kinyarwanda“.

Islamische Zeitung: Die frühen Muslime kannten sich sehr gut mit ihrer Abstammung aus. Ist das ein Vorbild für dich?

Taris Ahmad: Die frühen Muslime waren vorbildhaft in ihren genealogischen Kenntnissen. Die kannten teilweise mehr als dutzend Generationen auswen­dig, egal ob väterlich oder mütterlicherseits. Davon bin ich weit entfernt. Ich verlasse mich auf das Wissen meiner Verwandten und verstaubten Dokumenten und hoffe, dieses zumindest bewahren zu können.

Islamische Zeitung: Auch im Namen, vielleicht eine doppelte Namensführung?

Taris Ahmad: Der Gedanke wurde mir vom Familienältesten der Velascos zugetragen.

Islamische Zeitung: Nicht alle Menschen haben ein umfangreiches familiäres Gedächtnis, das weiter als zwei Generationen zurückliegt. Sind wir geschichtsvergessen?

Taris Ahmad: Die eigene Familiengeschichte berührt viele. Es braucht jedoch nur eine Generation um eine Unterbrechung zu früheren Generation zu bewirken.

Islamische Zeitung: Lieber Taris Ahmad, vielen Dank für das Interview.