2025 war für die muslimische Community in Deutschland ein Jahr der Widersprüche. Mit Verweisen zum Weiterlesen!
(iz). Während auf Bundesebene die Islampolitik weiter in Richtung Sicherheitsdiskurs kippte und Muslimfeindlichkeit messbar zunahm, entstanden zugleich neue Formen politischer Teilhabe – und auf Länderebene mit dem Staatsvertrag in Rheinland‑Pfalz ein positives Signal, das fast aus der Zeit gefallen wirkt.[1][2][3]
2025 als Wahljahr, das Misstrauen hinterlässt
Der Ton war gesetzt, bevor der eigentliche Wahlkampf Fahrt aufnahm. Ende Januar warnte die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman, die Migrationsdebatte im Bundestagswahljahr 2025 nehme „verstörende“ Züge an – ein Alarmzeichen auch für muslimische Minderheiten.[4]
Wenige Tage später beschrieben muslimische Verbände die Radikalisierung des Wahlkampfs als reale Bedrohung: Hetzerische Zuspitzungen in Talkshows und Kampagnen seien nicht folgenlos, sondern korrelierten mit Übergriffen und Hasskriminalität.[5]
Die Islamische Zeitung nahm den Wahlkampf ernst – aber aus Perspektive derjenigen, die darin meistens Objekt, selten Subjekt sind. In einer Serie zu Wahlprogrammen fragte die Redaktion, „was sie Muslimen zu sagen haben“, und arbeitete heraus, wie wenig Religion und Muslimfeindlichkeit in vielen Programmen konkret vorkommen.[6][7]
Nach der Wahl zeigten Analysen, dass viele muslimische Wählerinnen und Wähler zwar weiterhin links der Mitte verortet sind, sich aber zunehmend entfremdet fühlen – von Parteien, die zwar Antirassismus im Programm führen, aber ihre Lebenswirklichkeit selten wirklich abbilden.[8]

Grafik: IZ (Foto: Adobe Stock)
Von der Dialogrhetorik zur Problemgruppe
Die bundespolitische Islampolitik verfestigte diesen Eindruck. Der neue Koalitionsvertrag, den die Islamische Zeitung im Frühjahr seziert, markiert einen weiteren Schritt weg von der dialogorientierten Linie der frühen Deutschen Islamkonferenz.[9] Muslime tauchen überwiegend im Umfeld von Islamismus, Prävention und Sicherheit auf; als Religionsgemeinschaften mit Rechten und Ansprüchen kommen sie nur am Rand vor.
Im Spätherbst verdichtete sich diese Entwicklung programmatisch. Unter der Überschrift „Und noch eine Zeitenwende?“ deutet die IZ die neue Islampolitik als Beerdigung des Schäuble‑Erbes: Statt langfristigem Vertrauensaufbau dominieren Expertengremien zu Islamismus, Sicherheitslogiken und ein Diskurs, der über Muslime spricht, aber selten mit ihnen.[10]
Die Botschaft, die viele Leserinnen und Leser daraus ziehen müssen, lautet: Der Staat interessiert sich für euch – vor allem als Risiko.
Muslimfeindlichkeit als Struktur, nicht Ausnahme
Parallel dazu verdichtete sich 2025 das Bild einer Muslimfeindlichkeit, die längst kein Randphänomen mehr ist. Das Lagebild von CLAIM zu Muslimfeindlichkeit 2024, auf das die IZ im Sommer eingeht, dokumentiert einen deutlichen Anstieg antimuslimischer Vorfälle und beschreibt ein „grundsätzlich feindseliges Klima“.[11]
Regionale Berichte, etwa zu Berlin, zeichnen dieselbe Linie: Mehr Angriffe, mehr Drohungen, mehr alltägliche Herabsetzung.[12]
Die Redaktion spitzt diese Diagnose analytisch zu. In einem Beitrag mit dem Juristen und Islamwissenschaftler Mathias Rohe heißt es zugespitzt: Jeder Zweite habe antimuslimische Vorurteile.[13]
Muslimfeindlichkeit ist damit kein Randproblem mehr, das sich bequem an „Extremisten“ outsourcen lässt. Sie ist Normalitätserfahrung – sichtbar in Umfragen, in den Kommentarspalten und auf der Straße.
Dass die Kategorie „Muslimfeindlichkeit“ auf islamische‑zeitung.de zum Jahresende prominenter strukturiert wird, ist Ausdruck dieses Befunds: Das Thema ist nicht mehr Episoden‑, sondern Leitmotiv.[14]

Foto: Ö. Mutlu/X
Diskurse, die Wirklichkeit schaffen
Das Jahr 2025 war zugleich ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie Sprache Realitäten formt. In einer Analyse des Schlagworts „Islamisierung“ arbeitet die IZ heraus, wie der Begriff als politisches Schreckgespenst funktioniert:
Er markiert Muslime pauschal als Gefahr und verknüpft sehr unterschiedliche Phänomene – von Migration bis Kleidungsstil – zu einer angeblichen kulturellen Bedrohung.[15]
Solche Narrative sind, so die Argumentation, kein Zufall, sondern zentraler Bestandteil rechtspopulistischer Mobilisierung.[14][15]
Auch jenseits klar rechter Akteure verschieben sich Grenzen. Wenn in der Asyldebatte der Ton immer schärfer wird, wenn vom „Problem im Stadtbild“ die Rede ist, dann werden bestimmte Körper – sichtbare Minderheiten, häufig muslimisch gelesen – zu Störfaktoren erklärt.[16][17]
Die Islamische Zeitung kommentiert das nicht nur, sie hält fest, wie sich diese Sprache in kommunale Politik übersetzt: bei Kommunalwahlen in NRW, in Sicherheitsdebatten, im Gefühl vieler muslimischer Bürgerinnen und Bürger, nicht wirklich gemeint zu sein.[18]

Foto: Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland
Community zwischen Selbstkritik und Selbstbewusstsein
Vor diesem Hintergrund wirkt der Blick nach innen überraschend nüchtern. In Beiträgen wie „Welche Wege soll die Community nehmen?“ wird innerhalb der muslimischen Verbandslandschaft darüber diskutiert, wie zukunftsfähige Strukturen aussehen können: weniger reine Lobby‑Politik, mehr professionelle Bildung, soziale Arbeit, Öffentlichkeit.[19]
Gleichzeitig betont die IZ, dass „die Community viel Potenzial“ besitzt – von Bildungsinitiativen über lokale Projekte bis hin zu neuen Formen muslimischer Zivilgesellschaft jenseits der klassischen Verbandslogik.[20]
Symbolisch verdichtet sich dieses Potenzial jedes Jahr am 3. Oktober. 2025 wird der Tag der offenen Moschee gleich in mehreren Stücken aufgegriffen: als „deutsche Tradition“ im Kontext des Einheitsfeiertags und als konkreter Ort der Begegnung in Gemeinden, die Besuchergruppen empfangen, Nachbarschaftsprojekte vorstellen und theologische Diskussionen mit nichtmuslimischen Gästen führen.[21][22]
Inmitten einer aufgeheizten Debatte inszenieren sich Moscheegemeinden hier nicht als Problemzone, sondern als lokaler Anker.

Foto: DITIB.org
Rheinland-Pfalz: Ein anderes Modell ist möglich
Vor diesem Hintergrund bekommt eine Entwicklung besondere Strahlkraft, die formal bereits Ende 2024 stattfand, 2025 aber politisch nachwirkt: der Staatsvertrag zwischen Rheinland‑Pfalz und mehreren muslimischen Verbänden.[23][24]
Die IZ ordnete ihn als „Meilenstein“ ein – nicht nur, weil hier islamische Feiertage, Religionsunterricht, Bestattungen und Seelsorge vertraglich geregelt werden, sondern weil das Land Muslime als gleichberechtigte Religionsgemeinschaften adressiert.[23][25]
Der Vertrag bekräftigt die Religionsfreiheit, stellt die Zusammenarbeit explizit auf die gemeinsame Grundlage der freiheitlich‑demokratischen Grundordnung und verpflichtet beide Seiten, gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und antimuslimischen Rassismus ebenso entschieden zu bekämpfen wie Antisemitismus und religiösen Extremismus.[26][27]
In einer bundespolitischen Landschaft, in der Islam vor allem als Sicherheitsrisiko verhandelt wird, setzt Rheinland‑Pfalz damit einen Kontrapunkt: Muslime erscheinen hier als Partner des Staates, nicht als seine potenziellen Gegner.
Fazit: Ein gespaltenes Jahr – mit Hinweisen auf die Zukunft
Der Rückblick über die Seiten der Islamischen Zeitung zeigt ein gespaltenes Jahr: oben der harte Diskurs – Wahlkampf, Sicherheitswende, anhaltende Muslimfeindlichkeit –, unten die kleinteilige Praxis von Gemeinden, Aktivistinnen und Verbänden, die Zugehörigkeit täglich leben.[5][11][21][22]
Die Bundesebene sendet vielfach Signale des Misstrauens, die Landesebene – exemplarisch Rheinland‑Pfalz – zeigt, dass eine vertraglich abgesicherte Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften möglich ist.[10][23]
Für die muslimische Community bleibt 2025 damit ein ambivalentes Jahr. Es verschärft das Bewusstsein für strukturelle Feindseligkeit – aber es liefert zugleich Argumente dafür, dass ein anderes Verhältnis zwischen Staat und Muslimen nicht nur denkbar, sondern schon Realität ist. Die Frage, die 2026 auf dem Tisch liegt, lautet: Welche Linie setzt sich durch?
Verweise zum Weiterlesen:
[1] Islamische Zeitung. (2025, 30. November). Islampolitik: Und noch eine Zeitenwende? https://islamische-zeitung.de/islampolitik-noch-eine-zeitenwende/
[2] Islamische Zeitung. (2025, 6. Juli). Muslimfeindlichkeit 2024: „Ein grundsätzlich feindseliges Klima“. https://islamische-zeitung.de/muslimfeindlichkeit-2024-feindseliges-klima/
[3] Islamische Zeitung. (2024, 19. Dezember). Rheinland-Pfalz schließt Verträge mit muslimischen Verbänden. https://islamische-zeitung.de/staatsvertraege-mit-muslimischen-verbaenden/
[4] Islamische Zeitung. (2025, 30. Januar). Migrationsdebatte im Wahlkampf 2025: Ataman warnt vor Zunahme von Übergriffen. https://islamische-zeitung.de/ataman-warnt-vor-zunahme-von-uebergriffen/
[5] Islamische Zeitung. (2025, 3. Februar). Radikalisierung des Wahlkampfs? Muslime warnen vor Hass. https://islamische-zeitung.de/wahlkampf-2025-muslime-warnen-vor-hass/
[6] Islamische Zeitung. (2025, 11. Februar). Wahlprogramme 2025 im Test: Die Grünen lavieren. https://islamische-zeitung.de/wahl-test-programme-die-gruenen/
[7] Islamische Zeitung. (2025, 13. Februar). Wahlprogramme 2025 im Test: BSW und Linke. https://islamische-zeitung.de/wahl-test-programme-bsw-linke/
[8] Islamische Zeitung. (2025, 25. Februar). Wahlergebnisse 2025: Wie haben Deutschlands Muslime gewählt? https://islamische-zeitung.de/wahlergebnisse-wie-haben-deutschlands-muslime-gewaehlt/
[9] Islamische Zeitung. (2025, 9. April). Habemus Koalitionsvertrag: Von der Interaktion zur Problemgruppe. https://islamische-zeitung.de/koalitionsvertrag-muslime-bleiben-unerwaehnt/
[10] Islamische Zeitung. (2025, 30. November). Islampolitik: Und noch eine Zeitenwende? https://islamische-zeitung.de/islampolitik-noch-eine-zeitenwende/
[11] Islamische Zeitung. (2025, 6. Juli). Muslimfeindlichkeit 2024: „Ein grundsätzlich feindseliges Klima“. https://islamische-zeitung.de/muslimfeindlichkeit-2024-feindseliges-klima/
[12] Islamische Zeitung. (2025, 8. Dezember). Berlin: Muslimfeindlichkeit stark gestiegen. https://islamische-zeitung.de/berlin-muslimfeindlichketi-stark-gestiegen/
[13] Islamische Zeitung. (2025, 23. Juli). Rohe: Jeder Zweite hat antimuslimische Vorurteile. https://islamische-zeitung.de/rohe-jeder-zweite-muslimfeindlich/
[14] Islamische Zeitung. (2025, 8. Dezember). Kategorie: Muslimfeindlichkeit. https://islamische-zeitung.de/category/themen/muslimfeindlichkeit/
[15] Islamische Zeitung. (2025, 23. August). „Islamisierung“ – das instrumentalisierte Schreckgespenst. https://islamische-zeitung.de/islamisierung-erzeugung-schreckgespenst/
[16] Islamische Zeitung. (2025, 27. Oktober). Stadtbild: Wo sind wir eigentlich? https://islamische-zeitung.de/stadtbild-wo-sind-wir-eigentlich-debatte/
[17] Islamische Zeitung. (2025). Der Ton in der Asyldebatte wird immer schärfer. https://islamische-zeitung.de/ton-in-asyldebatte-verschaerft-sich/
[18] Islamische Zeitung. (2025, 28. September). NRW-Kommunalwahlen 2025: Der ängstliche Blick auf die AfD. https://islamische-zeitung.de/nrw-kommunalwahlen-angst-vor-der-afd/
[19] Islamische Zeitung. (2025). Welche Wege soll die Community nehmen? https://islamische-zeitung.de/community-welche-wege-soll-man-nehmen/
[20] Islamische Zeitung. (2025). Die Community hat viel Potenzial. https://islamische-zeitung.de/muslimische-community-viel-potenzial/
[21] Islamische Zeitung. (2025, 25. September). Tag der offenen Moschee – eine deutsche Tradition im Einheitsfest. https://islamische-zeitung.de/der-tag-der-offenen-moschee-2025-tradition/
[22] Islamische Zeitung. (2025, 5. Oktober). Auch 2025 lädt der Tag der offenen Moschee zur Begegnung ein. https://islamische-zeitung.de/begegnung-tag-der-offenen-moschee-laedt-ein/
[23] Islamische Zeitung. (2024, 19. Dezember). Rheinland-Pfalz schließt Verträge mit muslimischen Verbänden. https://islamische-zeitung.de/staatsvertraege-mit-muslimischen-verbaenden/
[24] Islamische Zeitung. (2024, 19. Dezember). Staatsvertrag: Ein Meilenstein in Mainz. https://islamische-zeitung.de/staatsvertrag-meilenstein-in-main/
[25] Islamische Zeitung. (2025). Staatsvertrag: Ein Meilenstein in Mainz. https://islamische-zeitung.de/staatsvertrag-meilenstein-in-main/
[26] IslamiQ. (2024, 23. Dezember). Land und Muslime unterzeichnen Staatsvertrag – was steht drin? https://www.islamiq.de/2024/12/23/land-und-muslime-unterzeichnen-staatsvertrag-was-steht-drin/
[27] Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur RLP. (2024, 19. Dezember). Land unterzeichnet Verträge mit vier islamischen Religionsgemeinschaften. https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/islamverbaende-vertraege-religionsunterricht-rlp-bestattungen-seelsorge-100.html