
Bis zur Wahl 2025 behandeln wir in einer Reihe die Programme der größeren Parteien und was sie Muslimen zu sagen haben. Dieses Mal: das BSW und Die Linke.
(iz). Im laufenden Bundestagswahlkampf kämpfen die beiden großen Parteien des linken Spektrum – Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und Die Linke – um ihren Einzug. Während Die Linke in den Umfragen momentan über die Fünf-Prozent-Hürde kommt, liegt das BSW derzeit bei 4 %. Hinzu kommt, dass sich erstere nach einem enormen Mitgliederzuwachs in den letzten Wochen realistische Hoffnungen auf mindestens drei Direktmandate machen kann, die ihr ebenfalls den Einzug ermöglichen würden.
Die Wagenknecht-Partei wurde im Januar 2024 unter großem Furor gegründet. In kurzer Zeit gelang es, bei den Landtagswahlen im September in allen drei Landtagen zweistellige Ergebnisse zu erzielen. In vielen Teilen Ostdeutschlands löste sie die ehemalige Mutterpartei der Gründerin als „ostdeutsche Kümmererpartei“ ab.
Im Oktober 2023 traten einige Bundestagsabgeordnete der Linken aus der Partei aus. Daraufhin wurde am 6. Dezember die Linksfraktion im Bundestag aufgelöst. Nach der Auflösung konstituierte sich Mitte desselben Monats die Fraktion BSW mit Sahra Wagenknecht an der Spitze.
Seit dieser Spaltung sind sich beide spinnefeind. Während Wagenknecht ihrer ehemaligen Heimat vor allem „Wokeness“ vorwirft, kritisieren sie linke Politiker für die Übernahme nationalistischer und populistischer Narrative.
Trotz der Querelen und der großen, inhaltlicher Differenzen schneiden beide in Umfragen bei den muslimischen Wählern gut ab, wobei die BSW einen deutlicheren Vorsprung hat.
Die Linke liegt mit 8 % über dem Bundesmittel. Der relative Erfolg beider bei muslimischen Wählerinnen und Wählern wird gerade auf Positionen zum Nahostkonflikt zurückgeführt. Seit Kriegsbeginn ist die politische Distanz zwischen ihnen und den Parteien von Bündnisgrünen bis Union gewachsen.
Abgesehen davon haben beide im Hinblick auf spezifische Interessen muslimischer Wählerinnen und Wähler wenig gemeinsam. Während Die Linke sie von allen im Bundestag vertretenen Parteien am stärksten adressiert und sich für ihre Belange einsetzt, kommen sie beim BSW mehrheitlich im Kontext „Islamismus“ vor.
Im Gegensatz zur neuen Partei haben sich in der Vergangenheit Abgeordnete wie Jelpke, Buchholz (Dez. 2024 ausgetreten) oder Pau für die Belange von Muslimen eingesetzt. Von ihnen stammen zahlreiche einschlägige Kleine Anfragen zu Themen wie Muslimfeindlichkeit bzw. Diskriminierung.
Linke Wahlprogramme: Was sind die religionspolitischen Prämissen der beiden?
Das BSW bleibt sich in seinem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 wortkarg bei religionspolitischen Themen. Es betont das allgemein Recht auf Religionsfreiheit und bekennt sich zur Neutralität des Staates in religiösen und weltanschaulichen Fragen. Und es würdigt den Beitrag der Religionsgemeinschaften, insbesondere der christlichen Kirchen, zum sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben.
Im Vergleich zu anderen Parteien nimmt dieses Stiefkind der deutschen Politik kaum Raum ein. Das Wort „Islam“ kommt in ihrem Programm nur im Zusammenhang mit „Islamismus“ vor.
Die Linke ist hier deutlich umfassender. Im Wahlprogramm 2025 legt sie großen Wert auf Religionsfreiheit und eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Folgende Kernpunkte finden sich in ihrem religionspolitischen Programm: Die Partei betont den Schutz religiöser Minderheiten – insbesondere der jüdischen und muslimischen – und spricht sich für eine strengere Abgrenzung von Staat und Kirchen sowie die bisherige Besserstellung der Großkirchen aus. Staatsleistungen sollen ebenso abgeschafft werden wie das kirchliche Sonderarbeitsrecht.
Rechtliche Diskriminierungen von Minderheiten wie das Verbot religiös motivierter Kleidung lehnt die Partei ab. Sie will das Selbstbestimmungsrecht von Musliminnen schützen. Sie setzt sich für die Beteiligung von Muslimen an der Militärseelsorge ein. Ebenso plädiert sie für die Einführung von Feiertagen wie dem Opferfest oder Jom Kippur.
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Ihre Haltung zu Deutschlands Muslimen
Das BSW sieht bei Islam und Muslimen einen Beitrag zum sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik. Diese Würdigung richtet sich aber nicht spezifisch an Muslime, sondern wird in einer Passage zu sozialen Akteuren erwähnt.
Außer beim Thema Syrien taucht das Wort „Islam“ im Wahlprogramm z.B. in Formulierungen wie dieser auf: „islamistische Gewalt und Straftaten durch Nichtdeutsche“. Sucht man nach „Muslime“ oder „muslimisch“, erhält man keine Treffer. Ansonsten ist das Thema „Islam“ im Text negativ konnotiert. Außerhalb des Wahlprogramms spricht die BSW-Chefin auch schon mal von „sich verfestigenden Parallelwelten“.
Nicht nur hier unterscheiden sich beide. In keinem anderen Wahlprogramm der Bundestagsparteien werden Muslime häufiger positiv erwähnt und als Bürgerinnen und Bürger ernst genommen. Die Linke vertritt in ihrer Haltung eine Position der Offenheit, Gleichberechtigung und des Schutzes vor Diskriminierung. Sie erklärt ausdrücklich: „Der Islam gehört zu Deutschland, zu den geistigen Quellen Europas und prägt neben anderen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen das Leben in der Bundesrepublik.“
Sie wendet sich gegen eine Homogenisierung und Abwertung von Religion. Man erkennt die Vielfalt der Muslime an. Die Partei unterstützt deren Recht, ihren Glauben im öffentlichen Raum, in den Medien und in den Schulen sichtbar zu praktizieren.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal zeichnet Die Linke aus. In einem Text auf ihrer Webseite vom Oktober 2020 begrüßt sie eine aktive Kontaktaufnahme mit muslimischen Menschen und Organisationen. „Die Linke sucht vorurteilsfrei den Kontakt zu muslimischen Menschen, Gemeinden und Organisationen. Sie räumt ihnen die gleichen Rechte ein wie christlichen Kirchen, jüdischen Gemeinden und Weltanschauungsgemeinschaften.“
Öffentliches Fastenbrechen auf dem Gelände der Berliner Sehitlik-Moschee. (Foto: Ömer Sefa)
Praktische Fragen
Bei praktischen Fragen hat das BSW keine konkreten Ansätze oder Forderungen im Programm formuliert.
Auch hier ist die Situation bei der linken Konkurrenz deutlich anders. Die Partei nimmt in ihrem Wahlprogramm explizit Stellung zu lebenspraktischen Fragen der Religionsausübung von Muslimen:
Religionsunterricht – die Partei fordert den Ersatz des Religionsunterrichts durch einen allgemeinen Ethikunterricht an öffentlichen Schulen. Dieser soll alle großen Religionen und Weltanschauungen neutral darstellen und der Wissensvermittlung, nicht der Glaubensvermittlung dienen.
Halal-Schlachtung – die Linke unterstützt das Recht auf Ernährung nach religiösen Vorschriften. Sie hält ein generelles Schächtverbot für verfassungswidrig und setzt sich für eine verlässliche Kennzeichnung von Halal-Produkten ein.
Moscheebau – grundsätzlich tritt Die Linke für die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften ein und lehnt Bauverbote für Sakralbauten ab.
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Wie sieht es bei Muslimfeindlichkeit und Zuwanderung aus?
Das für viele Menschen im Alltag relevante Thema Muslimfeindlichkeit wird von der BSW nicht erwähnt. Generell lehnt die neue Partei jegliche Ungleichbehandlung ab.
Hier hebt sich die zweite linke Partei im Bundestag ebenfalls vom BSW ab. Sie wendet sich ausdrücklich gegen Hass auf Muslime. Und setzt sich z.B. für folgende Punkte ein:
- Ablehnung eines Kopftuchverbots am Arbeitsplatz.
- Bekämpfung aller Formen von Rassismus, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit.
- Für eine differenzierte Berichterstattung über den Islam.
- Und fordert einen Beauftragten gegen Muslimfeindlichkeit, um Hass und Diskriminierung gegenüber Muslimen zu bekämpfen.
Sie betont, dass es weder „den Islam“ noch „die Muslime“ gibt und lehnt einen vermeintlichen „Kulturkampf“ zwischen einem imaginären „Abendland“ und „den Muslimen“ ab.
In den Bereichen Integration und Migration vertritt das BSW eine restriktive Haltung. Zuwanderung soll durch Obergrenzen limitiert werden, da eine „unkontrollierte Migration“ die Gesellschaft überfordere und ein Sicherheitsrisiko darstelle. Sahra Wagenknecht fordert hier eine „Zeitenwende“ und hat – wie Merz oder Habeck – einen entsprechenden Forderungskatalog formuliert.
Sie wandelt auf populistischen Pfaden, wenn sie eine Volksabstimmung über den künftigen Kurs in der Zuwanderungsfrage fordert. Diese solle die „grundsätzliche Richtung“ vorgeben. Der Ampelpolitik und der Regierung Merkel warf sie „Kontrollverlust“ vor. Insgesamt positioniert sich das BSW migrationspolitisch irgendwo zwischen Union und AfD.
Während das BSW für eine linke Partei in Sachen Einwanderung sehr hart wirkt, erscheinen die Forderungen bzw. Vorschläge der Linken in ihrem Wahlprogramm sehr weich. Sie wendet sich gegen das Konzept der „Festung Europa“ und will deshalb die Grenzschutzagentur Frontex abschaffen. Sie fordert „legale Fluchtwege“, bekennt sich zum unbegrenzten Recht auf Asyl und ist sogar gegen die Abschiebung von Straftätern.
Alle Flüchtlinge sollen ab dem ersten Tag in Deutschland ungehindert eine Arbeitserlaubnis erhalten. Die Partei fordert eine dezentrale Unterbringung. Die Kommunen sollen bei der Integration finanziell stärker unterstützt werden. Die Linke setzt sich für gleiche Rechte und Chancen für alle Personen ein, unabhängig von Pass und Herkunft. Außerdem soll es nach ihrem Willen Quotenregelungen für Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst geben.
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Krieg und Frieden im Nahen Osten
Schnittpunkte zwischen dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der Partei Die Linke gibt es ausschließlich beim Nahostkonflikt und dem Krieg in Gaza. Das mag erklären helfen, warum beide derzeit in den Zustimmungswerten unter Muslimen über den Bundesdurchschnitt liegen.
Das BSW nimmt eine kritische Haltung gegenüber der israelischen Kriegsführung im Nahostkonflikt ein und fordert von Deutschland mehr Zurückhaltung. Kernpunkte sind u.a:
- Das militärische Vorgehen Tel Avivs in Gaza bezeichnet sie als „barbarisch“ und spricht von einem „Vernichtungsfeldzug“.
- Die Partei betont, dass Konflikte nicht mit Waffen gelöst werden können. Sie votiert für „Frieden, Diplomatie und Verhandlungslösungen“.
- Das BSW fordert einen Stopp von Waffenlieferungen.
- Die Partei kritisiert die bedingungslose Unterstützung des israelischen Staates durch Deutschland. Stattdessen plädiert sie für eine differenziertere Betrachtung des Konflikts.
- Trotz der Kritik an Israel erkennt das BSW das Recht auf Selbstverteidigung nach dem Terror der Hamas vom 7. Oktober 2023 an.
- Das BSW bezeichnet den Gazastreifen als „größtes Freiluftgefängnis der Welt“ und weist auf die schwierige Situation der palästinensischen Bevölkerung hin.
Grundsätzlich lesen sich die Forderungen der Linken ähnlich wie die des BSW. Ein Unterschied: Es gibt ein größeres innerparteiliches Meinungsspektrum und teils heftigen Streit über einzelne Aspekte des Konflikts und seine Einordnung. Einige Punkte aus dem Wahlprogramm zu diesem Thema sind u.a:
- Die Partei tritt für eine friedliche Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt Palästinas ein.
- Die Linke erkennt das Existenzrecht des Staates Israel an und betont dessen historische Notwendigkeit aufgrund des Holocaust.
- Gleichzeitig unterstützt die Partei das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung.
- Die Linke lehnt die „völkerrechtswidrige Kriegsführung“ Israels in Gaza und im Libanon ab.
- Sie verurteilt den „menschenverachtenden Terror der Hamas“ und betont, dass dieser nicht durch die Besatzung gerechtfertigt werden kann.
- Sie fordert eine Ausweitung der humanitären Hilfe für Gaza.
- Die Linke lehnt Waffenlieferungen an Israel ab.
Lies hier das BSW-Wahlprogramm: https://www.bundestagswahl-bw.de/fileadmin/bundestagswahl-bw/2025/Wahlprogramme/BSW_Wahlprogramm_2025__Entwurf_.pdf
Lies hier Wahlprogramm der Linken: https://www.die-linke.de/fileadmin/user_upload/Wahlprogramm_Langfassung_Linke-BTW25_01.pdf