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Wahlprogramme 2025 im Test: Die Grünen lavieren

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Foto: Cineberg, Shutterstock

Bis zur Wahl 2025 behandeln wir in einer Reihe die Programme der größeren Parteien und was sie Muslimen zu sagen haben. Dieses Mal: die Grünen.

(iz). Im Gegensatz zu ihren verbleibenden und ausgeschiedenen Koalitionspartnern haben die Bündnisgrünen im Programm für die Bundestagswahl 2025 substanziellere Inhalte beizutragen. Dabei kommen auch sie nicht ohne den Kampf gegen religiös motivierten Extremismus aus, den sie unter dem Begriff „Islamismus“ besonders fokussieren.

Obwohl die Partei im öffentlichen Diskurs nach wie vor als „links“ oder „woke“ gilt, hat sie die Radikalisierungen des innenpolitischen Diskurses in Deutschland mitgemacht bzw. zumindest „mit Bauchschmerzen“ mitgetragen. Dazu gehörte auch eine deutliche Verschiebung ihres politischen Rahmens zum Thema „Migration“.

Hinzukommt, dass die ehemals alternative Partei seit dem 7. Oktober 2023 im Sinne der tragenden „Staatsräson“ gehandelt und argumentiert. Das Auswärtige Amt unter der Grünen Baerbock behandelte das militärische Vorgehen Israels deutlich unkritischer als seine ausländischen Kollegen.

Symbolische Auftritte wie der von Robert Habeck im Herbst 2023, als er zahllose gesetzestreue arabischstämmige oder muslimische Mitbürger faktisch unter Rechtfertigungsdruck setzte, brachten den Grünen einen Einbruch der Zustimmungswerte bei muslimischen Wählern ein.

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Grünes Wahlprogramm: Was sind die religionspolitischen Ansichten?

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Partei in ihrem Programm deutlich mehr über Religionspolitik zu sagen hat als SPD oder FDP. Sie bekennt sich zur religiösen Vielfalt im Land, betont das Recht auf freie und sichere Religionsausübung und will sich gegen religiöse Diskriminierung, insbesondere gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit einsetzen.

Anders als Parteien wie FDP oder AfD bekennt sie sich zum Religionsverfassungsrecht und strebt die gleichberechtigte Teilhabe aller Religionsgemeinschaften an. Unter Betonung der religiösen Neutralität des Staates werden alle Gemeinschaften aufgefordert, die Grundprinzipien der Verfassung zu achten.

Foto: Schura Rheinland-Pfalz

Was sie zu Deutschlands Muslimen denken

Wie die Union wird die Haltung im Wahlprogramm zu muslimischen Bürgern des Landes durch eine Zweiteilung geprägt. Auf der einen Seite setzt man sich für ihren Schutz vor Diskriminierung ein und fordert ein gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft.

Die Grünen fordern einen Aktionsplan gegen Islamfeindlichkeit und wollen strukturelle Benachteiligungen abbauen. Ebenso möchte man die Sichtbarkeit und Sicherheit muslimischen Lebens unterstützen. Damit gehen sie weiter als die anderen Bewerber um die Mitte – Union, SPD und FDP.

Aber wie bei der Konkurrenz kommt das Wahlprogramm nicht ohne die dialektische Behandlung des Themas aus. Während Muslimen mehr zugestanden wird als von den Mitbewerbern, benutzt die Partei das Gegenbild des „Islamismus“ – ohne, dass dieser fragwürdige Begriff in Frage gestellt wird. Dieser sei eine „ernsthafte Bedrohung für die Demokratie“ und müsse konsequent bekämpft werden.

Praktische Fragen

Anders als bei den regierenden Sozialdemokraten finden sich im Programm der Grünen überhaupt Punkte zu konkreten Fragen. Diese sind allerdings nur bedingt auf Bundesebene zu lösen.

Beim Religionsunterricht setzt das Wahlprogramm nicht auf den grundgesetzlich begründbaren bekenntnisorientierten Religionsunterricht an allgemeinbildenden Schulen. Statt getrenntem Unterricht nach Konfessionen sollen Schüler „in einen gemeinsamen Dialog über Glaubens- und Wertefragen treten“. Ein „dialogisches Unterrichtsmodul ‘Ethik und Religion’“ soll eingeführt werden, um Religions- und Ethikunterricht zu verzahnen.

Auch dem Moscheebau steht laut früheren Aussagen offener gegenüber. Der Islam solle nicht länger in die Hinterhöfe verbannt werden. Neue Moscheen würden als Begegnungsstätten für den Dialog und die Integration von Flüchtlingen gebraucht.

Die Partei unterstützt die Imamausbildung in Deutschland. Allerdings ist auch die zugrundeliegende Politisierung von Religion nicht auszublenden. Damit solle unter anderem ihre Unabhängigkeit (von wem?) gefördert werden.

Ebenso befürworten die Grünen die Fortsetzung und den Ausbau der Zusammenarbeit mit islamischen Religionsgemeinschaften – bspw. in Form von Staatsverträgen wie in Hamburg oder in Rheinland-Pfalz.

Grafik: Mediendienst Integration

Muslimfeindlichkeit, Integration und Zuwanderung

Es überrascht nicht, dass die Bündnisgrünen als erklärte Bürgerrechtspartei bei den Themen „Integration“ und „Migration“ umfassender von positiven Zielen sprechen.

In Bezug auf Muslime fordern sie einen Aktionsplan, um Muslime vor Diskriminierung zu schützen und strukturelle Benachteiligungen abzubauen. Außerdem wollen sie Beratungsstellen und Selbstorganisationen sichern und ausbauen. Außerdem soll die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gestärkt werden. Außerdem wollen die Grünen das Antidiskriminierungsgesetz reformieren, mehr Antidiskriminierungsbeauftragte einsetzen und die Polizei sensibilisieren.

Beim aktuellen Dauerthema Flucht und Zuwanderung werden die Unterschiede zur Union, zum Koalitionspartner SPD und zur FDP am deutlichsten. Neben der Linken spricht sich die Partei am deutlichsten für eine integrative und humanitäre Migrationspolitik aus. Und sie bemüht sich um einen Interessenausgleich zwischen Einheimischen und Zugewanderten.

Soweit das Programm. Was Vizekanzler Habeck Anfang Februar in seinem Zehn-Punkte-Plan zum Thema Migration forderte, klang im Ton teils deutlich schärfer als das Wahlprogramm. Er wolle eine „Vollstreckungsoffensive“ mit Schwerpunkt auf „Islamismus“ und anderen Extremisten. Nichtdeutsche „Gefährder“ und Schwerkriminelle sollen konsequent abgeschoben werden und überwacht werden. Er will eine drastische Beschleunigung von Asylverfahren, mehr Befugnisse für die Bundespolizei sowie Abkommen zur Rücknahme abgelehnter Asylbewerber.

gaza krieg protest

Foto: Shutterstock

Krieg und Frieden im Nahen Osten

In der Frage des Nahostkrieges und einer langfristigen, völkerrechtskonformen Lösung bewegen sich die Grünen zwischen Staatsräson und vorsichtiger Kritik an der gegenwärtigen Regierung in Tel Aviv.

In ihrem Wahlprogramm bekennt sich die Partei sowohl zur Zwei-Staaten-Lösung als auch zur Existenz Israels. Zudem soll ein souveräner, lebensfähiger und demokratischer Staat Palästina ermöglicht werden.

Zu den deutschen Rüstungslieferungen an Israel war von den Grünen in den letzten Monaten außer allgemeinen Äußerungen wenig zu hören. Hier wird das grüne „Sowohl-als-auch“ deutlich.

Vor dem Wahlkampf kritisieren die Bündnisgrünen den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau, der den Friedensprozess behindert. Und wollen mit den Teilen der israelischen Gesellschaft zusammenarbeiten, die sich gegen Besatzung und für eine Zwei-Staaten-Regelung einsetzen. Für die Grünen ist dies die einzige Möglichkeit, den nationalen Bestrebungen beider Seiten gerecht zu werden.

Die Partei unterstützt die Schaffung eines neuen diplomatischen, multilateralen Rahmens für die Wiederaufnahme von Verhandlungen. Konkret fordern die Grünen eine Einigung über den Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten auf der Grundlage der Grenzen von 1967 mit einem vereinbarten Gebietsaustausch. Die Grünen betonen die Notwendigkeit von Sicherheitsvereinbarungen, die sowohl die palästinensische Souveränität respektieren, als auch die Sicherheit Israels gewährleisten.

Bezüglich der Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu und andere israelische Politiker erklärten die Grünen, dass sie dem Völkerrecht folgen wollen. Vizekanzler Habeck sagte, Tel Aviv habe mit seinem Vorgehen Grenzen überschritten.

Er und seine Parteikollegen haben in ihrer Regierungszeit wenig getan, um diese Grenzen zu sichern. Laut Medienberichten sollen sie von März bis August 2024 Lieferungen im Sicherheitsrat blockiert haben – gleichzeitig wies die Partei ironischerweise den Vorwurf eines „Waffenboykotts“ zurück. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant an die Regierung in Tel Aviv. (sw, mö, ak)

Hier findest Du das Wahlprogramm der Grünen für 2025: https://cms.gruene.de/uploads/assets/20250205_Regierungsprogramm_DIGITAL_DINA5.pdf