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Atommacht Pakistan: politischer Neubeginn oder kalter Staatsstreich?

Foto: Asianet-Pakistan, Shutterstock

Pakistan hat nach tagelanger politischer Krise einen neuen Premier gewählt. Es ist ein Comeback für die Opposition. Doch der neue Regierungschef steht vor großen Herausforderungen. Von Arne Bänsch und Veronika Eschbacher

Islamabad (dpa). Nach dem Misstrauensvotum gegen Imran Khan ist der pakistanische Oppositionsführer Shehbaz Sharif zum neuen Premierminister gewählt worden. 174 der 374 Abgeordneten stimmten am 11. April für Sharif, wie Parlamentssprecher Ayaz Sadiq in der Hauptstadt Islamabad verkündete. Sharif bezeichnete nach der Wahl die ökonomischen Probleme als große Herausforderung. „Wir werden Schweiß und Blut vergießen müssen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln“, sagte er.

Pakistans Parlament hatte Premierminister Imran Khan in der Nacht zum 10. April in einem dramatischen Showdown das Vertrauen entzogen. 174 von 342 Abgeordneten stimmten am Ende gegen den ehemaligen Kricketstar. Anhänger der Regierungsparteien hatten den Saal vor der Abstimmung verlassen. Das Misstrauensvotum markierte den Höhepunkt einer wochenlangen politischen Krise, in deren Verlauf Khan und seine Unterstützer mehrmals in die politische Trickkiste griffen, um eine Absetzung zu verhindern. Khan ist der erste Premier in der Geschichte Pakistans, der durch ein Misstrauensvotum abgesetzt wird.

Oppositionsführer Shehbaz Sharif dankte nach dem Votum den Unterstützern in einer besonnenen Rede für ihren Kampf. „Diese Einigkeit wird Pakistan wieder aufbauen“. Der jüngere Bruder des geschassten dreimaligen Premiers Nawaz Sharif ist der Kandidat der Opposition für den Premiersposten und somit möglicher Nachfolger Khans. Sharif versprach, die neue Regierung werde die Wunden der Nation lindern und keine Rachepolitik betreiben.

In der Folgenacht hatten landesweit Zehntausende Menschen gegen die Amtsenthebung des ehemaligen Kricketstars Khan protestiert. Khans Regierungspartei PTI verkündete vor der Wahl einen massenhaften Rücktritt aus dem Parlament. Dutzende Abgeordnete verließen den Saal aus Protest.

Mit einem Bündnis verschiedener Parteien hatte Sharif zwei Jahre lang gegen Khans Regierung mobil gemacht. Die entscheidende Mehrheit im Parlament gewann die Opposition durch Abgeordnete, die der Regierungskoalition den Rücken kehrten. Khan verfügte stets nur über eine hauchdünne Mehrheit. Zuletzt war die Kritik am Premier vor allem wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land mit hoher Inflation gestiegen. Den von Khan versprochenen „islamischen Wohlfahrtsstaat“ konnte seine Regierung nicht umsetzen.

Die Ereignisse rund um das Misstrauensvotum am Samstag waren an Dramatik kaum zu überbieten. Parlamentssprecher Asad Qaiser, Mitglied von Khans Partei Tehreek-e Insaaf (PTI), der die seit dem frühen Vormittag laufende Sitzung leitete, verzögerte das Votum immer wieder. Regierungsmitglieder hielten stundenlange Reden, um es hinauszuzögern. Die hitzigen Debatten zwischen Regierung und Opposition wurden mehrfach unterbrochen. Die wichtigsten Zufahrtsstraßen zum Parlament waren zuvor aus Sorge vor gewaltsamen Protesten durch Schiffscontainer blockiert worden.

Erst kurz vor Mitternacht trat Qaiser plötzlich zurück und machte den Weg für die Abstimmung frei. Rechtsexperten zufolge musste das Votum spätestens Samstag abgehalten werden. Ebenso kurz vor Mitternacht gab es Medienberichte über Aktivitäten beim Obersten Gerichtshof. Dieser hatte die Abstimmung gerichtlich angeordnet, nachdem ein anderer Parlamentssprecher vor rund einer Woche das für damals bereits angesetzte Votum einfach nicht abgehalten hatte. In der Folge löste Präsident Alvi auf Anraten Khans sogar das Parlament auf.

Der Oberste Gerichtshof allerdings wies Khan und seine Parteigänger nach mehrtägigen Beratungen in die Schranken und ordnete einstimmig die Abhaltung des Misstrauensvotums an. Es hob auch die Auflösung des Parlaments wieder auf. Qaiser, mutmaßen Beobachter, habe wohl aus Angst vor persönlichen Konsequenzen in letzter Minute nachgegeben. Das im Land so mächtige Militär, das sich in der Geschichte bereits vier Mal an die Macht geputscht hatte, hielt sich in der gesamten Krise zurück und schritt nicht ein.

Seit sich abzeichnete, dass er das Votum verlieren würde, sprach Khan von einer angeblichen ausländischen Verschwörung gegen ihn und versuchte, mit anti-westlicher Rhetorik Stimmung für sich zu machen. Die USA habe sich mit seinen politischen Gegnern verschworen, um seine Regierung zu stürzen, behauptete er. Beweise dafür legte er nicht vor, Washington wies jegliche Einmischung zurück. Westliche Diplomaten in Islamabad hielten die Vorwürfe für „konstruiert“.

Beobachter sehen auf den neuen Premierminister herausfordernde Zeiten zukommen. Preise für Benzin, Gas oder Lebensmittel waren in dem südasiatischen Land mit mehr als 220 Millionen Einwohnern zuletzt massiv gestiegen. Ex-Premier Khan musste kürzlich weitere Steuern einführen, damit der Internationale Währungsfonds (IWF) eine weitere Tranche aus einem Hilfsprogramm für das Land auszahlt.

Die Parteien, die den neuen Premier Sharif gewählt haben, haben zudem wenig gemeinsam. Für Beobachter ist es fraglich, ob sie ihre individuellen Interessen in der Tagespolitik zusammenbringen können, um das Land in ruhigeres Fahrwasser zu bringen und effizient zu regieren. Hinzu kommt, dass der gestürzte Premier Khan weiter politisch mitmischen will. Er rief bereits zu Protest auf.

Der 70 Jahre alte Shehbaz Sharif stammt aus der Polit-Dynastie der Sharifs, einer Familie erfolgreicher Industrieller. Wie sein älterer Bruder Nawaz Sharif arbeitete er vor seiner Politikkarriere im Familienunternehmen. In seiner Heimat, der bevölkerungsreichen Provinz Punjab, war Shehbaz Sharif drei Amtszeiten lang Ministerpräsident und trieb vor allem Infrastrukturprojekte voran.

Der Familie der Sharifs wurde immer wieder Korruption vorgeworfen. Nawaz Sharif etwa tauchte in den „Panama Papers“ auf, was ihn sein Amt als Premier kostete. Er wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Sharif, dem im Land weiter ein Verfahren droht, war Ende 2019 für eine medizinische Behandlung nach Großbritannien geflogen.

Auch Shehbaz Sharif wurde mehrfach verhaftet und angeklagt. Nachdem sich Vorwürfe gegen Korruption nicht erhärteten, kam er wieder frei. Die Opposition sah derartige Vorwürfe politisch motiviert. Die Regierung unter dem aus dem Amt enthobenen Imran Khan begründete dies stets mit einem harten Durchgreifen gegen Korruption.