Aus der Inneren Mongolei in die Hauptstadt: ein aktueller Reisebericht aus China. Von Hong Gao

Ausgabe 204

(iz). Was ist der Sinn vom Islam? Superschwere Frage, finde ich. Und zwar deshalb su­perschwer, weil es einfach zu viele zu gute Antworten dazu geben müsste.

Und dennoch, was ist der Sinn vom Islam? Ich selbst fühle mich bei der Bea­ntwortung dieser Frage jedenfalls überfordert. Aus meinem eigenen Unwissen darüber und auch aus großem Respekt… im über 10.000 Kilometern entfernten Peking sagte mir Yusof Ma, ein chinesisch-muslimischer Reiseunternehmer: „Werde zuerst ein Mensch, dann ­arbeite; und arbeite erst einmal richtig, dann sprechen wir übers Geld.“ Wahrscheinlich ist das für ihn nun genau der Sinn des Islam.

Nun, ich möchte hier in der Islamischen Zeitung keine Werbung für ein Pekinger Reiseunternehmen machen. Dass kann ich den hoch geehrten Lesern nicht unbedingt zumuten. Jedoch, den heutigen Islam in China, wie er dort in Wirklichkeit ist, das will ich gerne.

Ich lernte, den 38-jährigen Reiseveranstalter Yussuf Ma. der seit sechs ­Jahren verheiratet ist, kennen, weil ein guter Freund in Frankfurt mich darum bat. Er erfuhr über das Internet von Yussufs Reiseunternehmen (www.islamichina.com) und wollte von mir, dass ich dessen Chef in Peking unbedingt treffen sollte. Und da ich ja sowieso nach Peking reisen würde…

In Peking angekommen, rief ich in Yussufs Büro an. Man teilte mir sofort mit, er sei noch auf einer Auslandsreise. Wann er denn zurück käme? Man ­wollte mir das nicht so genau sagen, obwohl ich gutes Chinesisch spreche sowie mein Anliegen höflich und präzise geschuldet habe.

Also musste ich mich wohl selbst auf den Weg in sein Büro machen. Es liegt im 12. Stock eines großen, aber durchschnittlichen Hochhauses im südöstlichen Pekinger Stadtteil Chaoyang. Dort angekommen empfing mich Yusofs Se­kretärin gleich sofort. Wann denn Herr Ma direkt zurückkomme, wollte ich von ihr wissen. „Er ist gerade heute Abend aus dem Ausland eingetroffen“, ließ sie mich wissen und ging weg. Zwei Minuten später kam sie zurück und drückte mir ein Handy in die Hand: Herr Ma sei jetzt in der Leitung und wollte mich sprechen. Er käme heute um 15.00 Uhr ins Büro. Ob ich auch in warten wolle? „Nein, sie sind ja gerade erst aus dem Ausland zurück… Jetlag… viel zu tun usw. Ich möchte sie nicht stören und komme lieber ein paar Tage später.“ Gut.

Eine Woche später traf ich Yusof dann endlich in seinem Büro. „Offene Arbeitsumgebung“, bezeichnete er sein Büro mit ziemlichen Stolz, dass es keine tren­nen­den Türen zu den anderen Räumen gibt. Jeder, der wollte, konnte also mithören. „Jeder Mitarbeit ist hier gleich­ge­stellt“, argumentierte Yusof.

Seit 2000 gebe es sein muslimisches Reiseunternehmen bereits in Peking. Zügig berichtet er mir weiter; Zeit war für ihn offensichtlich Mangelware. Er selbst stammt aus Hahehaote, der Hauptstadt der Inneren Mongolei, und kam zum Studium nach Peking, das er nach sechs Jahren abschloss. Nur zwei Jahre später, nachdem er als ­Angestellter bei ei­nem anderen Reiseveranstalter ar­bei­tete, gründete er bereits seine eigene Firma. Was für ihn dabei das Schwierigs­te gewesen sei, wollte ich von Herrn Ma wissen. „Die Kommunikation mit ausländischen Firmen“, entgegnete Yusof ohne Zögern. Zugegeben, dies überrasch­te mich doch ziemlich.

Gar keine Erwähnung von Geldmangel, Selbstzweifeln etc. Zumal ich ja wusste, wie schwierig es war, aus der Inneren Mongolei zum Studium nach Peking zu kommen. Nur ganz wenige von dort schaffen es tatsächlich – und nur mit ausgezeichneten Noten und ziemlich viel Glück.

Während Herr Ma als angestellter Reiseleiter arbeitete, stellte er ziemlich schnell fest, dass insbesondere ausländische Muslime Schwierigkeiten mit chinesischem Essen haben. Es gab für sie keine Garantie, dass das ihnen angebotene Essen auch halal war. Deshalb entschied er sich, etwas dagegen zu tun. „Für mich als Muslim ist das eine Pflicht.“ Er gründete seine eigene Firma daher zu Beginn nur mit einem Leitmotiv: Richtiges Halal-Essen in China für reisende Muslime zu organi­sieren und deren Qualität zu ­garantieren. Gleichzeitig sorgte er auch für Moscheebesuche, sowie um Belichtungen historischer muslimischer Orte.

Schließlich stammte er selbst aus einer traditionellen muslimischen Familie. Sein Großvater war Imam in einer der großen Mo­scheen von Huhehaote. Er selbst be­suchte dort einen muslimischen Kindergarten sowie Grund- und Mittelschule, bevor mit 18 Jahren zum Studium nach Peking ging. In Huhehaote wohnte Yusof im muslimischen Viertel: „Dort leben die Muslime übrigens viel enger zusammen als in Peking und die muslimische Atmosphäre ist dort viel stärker“, sagte mir Herr Ma sanft lächelnd.

Für Yusof und für mich ist die ­Innere Mongolei ziemlich weit weg. Als in Pe­king geborene Chinesin kenne ich diese Region in der Tat nur aus der Ferne. Lebte man dort vielleicht sogar in einem Zelt? Es wäre (zumindest für mich) ja auch so romantisch und geheimnisvoll. „Der große Dschingis Khan, wilde Pferde, endlose gründe Wiesen und so weiter“, fragte ich Yusof also sehnsuchtsvoll. „Nö, in ganz normalen Gebäuden, in einer kleinen Wohnung.“ Eigentlich ge­nauso wie wir damals in Peking.

Aber trotzdem wollte er an die Uni von Peking und unbedingt sein eigenes Reiseunternehmen gründen: „Wenn wir unsere Kunden gut aufnehmen und ihnen einen guten Service bieten, dann läuft unser Geschäft automatisch gut“, meinte Herr Ma einfach, aber wahr.

Unkonventionell, praktisch veranlagt, schnell und dynamisch ist er, dieser Reiseveranstalter. Eigentlich wie so ziemlich viele junge Chinesen von heute. Aber dennoch schein Yusof beziehungsweise Herr Ma Yutong – zumindest in ­meinen Augen – etwas besonderes zu sein. Auf jeden Fall hat er einen ganz besonderen Sinn für die Tourismusbranche entwickelt. Sein Motto ist einfach: Für die muslimischen Reisenden da zu sein. Sich für eine gute Sache einsetzen, Schäden vermeiden und anderen helfen: Dieses Motto gilt auch für die Muslime in China.

„Wo liegt eigentlich die älteste Mo­schee?“, wollte ich wissen. In ­Guangzhou natürlich. Dorthin kam ein Enkel des Propheten Muhammad und half selbst bei ihrem Bau mit. „Entschuldigen sie, sind sie auch ganz sicher, dass wirklich ein Onkel [mütterlicherseits] des Prophe­ten in China war?“ Ja, selbstverständlich, er war in Guangzhou. Das lernte Yusof während seiner Schulzeit in der ­Inneren Mongolei und gab es jetzt an mich weiter. Der Reiseunternehmer blickte so durchdringend, dass ich mir meinen Zweifel nicht anmerken ließ.

Während des Gesprächs fiel mir ein, dass Yusofs chinesischer Vorname, Yu­tong, so viel wie „alle Menschen auf der Welt sind gleich“ bedeutet. Er erklärte mir, dass sein Vorname in Wirklichkeit eigentlich ein Produkt der Kulturrevolution in China war. Damals wurde der Name als „Gleichheit auf der ganzen Welt“ verstanden (sogar im ganzen Weltall, wenn man genau sein will. In der Innere Mongolei wurde einem schon damals die Welt zu klein. Es musste das Weltall sein, um der revolutionären Phrase gerecht zu werden). Nun, dies war eine spezifisch chine­sische Sache.

Obwohl sein Name der chinesischen Zeitgeschichte geschuldet ist, versicherte mir Yusof hierauf angesprochen: Yutong sei natürlich auch gleichzeitig ein islamischer Namen, schließlich seien seine Eltern praktizierende Muslime. Und zwar schon immer, selbst während der Kultur­revolution. Yusof nickt und lächelt ­wieder auf seine sanfte und weise Art.

Er wünsche sich, dass noch sehr viel mehr Muslime China besuchen. „Und dass sie die chinesischen Muslime vor Ort kennenlernen und selbstverständlich auch die vielen historischen muslimischen Stätten besuchen werden. Ich gebe mir die größte Mühe“, beendete Yusof Ma Yutong unser Gespräch.