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Das islamische Erbe von Österreich

Ausgabe 354

Österreich
„Moschee“-Gartenhaus im Stift Kremsmünster. Es ist das älteste Gebäude in Österreich, das „Moschee“ heißt. (Fotos: G.G. Stanfel)

Gernot Galib Stanfel hat ein informatives und wegweisendes Buch über die Spuren des Islam in Österreich geschrieben. Es ist auch für deutsche LeserInnen lohnend.

(iz). Dass Islam und seine Angehörigen wesensfremd in Europa bzw. dem „Abendland“ und seiner Geschichte sowie Kultur seien, gehört zu den Standardbehauptungen einer oft unsachlich geführten Debatte. Wer Muslim ist, so die Vorstellung, kann kein Europäer sein.

In den vergangenen Jahrzehnten ist sowohl von wissenschaftlicher Seite als auch von muslimischen Denkern wie dem Mazedonier Prof. Dr. Ferid Muhic u.a. Einiges unternommen worden, um dieses oft gewollte Missverständnis zu beheben. Letzterer entwarf das Bild eines „islamischen Halbmonds“, der sich in Raum und Zeit der europäischen Geschichte entwickelt habe. In einem Bogen von Polen und dem Baltikum, über die Ukraine, Südosteuropa, dem Mittelmeer einschließlich seiner Inseln, Italien bis zur iberischen Halbinsel und Frankreich waren Muslime Akteure unserer Vergangenheit.

In den verschiedenen Kulturwissenschaften setzt sich die Erkenntnis immer weiter durch, dass das Gerede von einer „jüdisch-christlichen“ Kultur nicht haltbar sei bzw. eine ideologische Verzerrung der Entwicklung darstellt. Längst geht man davon aus, dass Zivilisation und Geistesgeschichte des heutigen Europas von mindestens vier Faktoren geprägt wurden: der Antike inkl. den vorchristlichen Anteilen, Judentum, Christentum und auch Islam.

Es ist ein banaler Gemeinplatz, dass sich das in Wort und Gewohnheiten bis heute erhalten hat. Unzählige Begriffe in vielen europäischen Sprachen – von Alkohol bis Zucker – prägen die Alltagssprachen weiterhin. Dass Orient und der Okzident nicht mehr zu trennen sind, meinte übrigens schon unser Nationaldichter Goethe.

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Foto: IGGÖ

Obwohl wir heute in zwei unterschiedlichen Staaten leben, war die deutsche und die österreichische Geschichte über mehr als ein Jahrtausend miteinander verzahnt wenn nicht deckungsgleich. Der österreichischen Geschichte und ihrem „islamischen Erbe“ widmete die dortige Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) nun einen Band.

Der handliche Band stammt aus der fleißigen Feder von Gernot Galib Stanfel. Er ist u.a. Musiker, Musiktherapeut und -pädagoge sowie Hochschullehrer. Stanfel wurde 1968 in Klosterneuburg geboren und wuchs in Wien sowie Pressbaum auf. Der umtriebige Künstler hat sich in verschiedenen Bereichen engagiert, darunter der interreligiösen und interkulturellen Beratung. Er ist darüber hinaus Obmann des Forum Islam und Kunst des Islamischen Instituts für Erwachsenenbildung in Wien. Bereits 2012 kuratierte er die Ausstellung „Ostarrichislam“, anhand derer die vielfältigen historischen Begegnungen aufgezeigt wurden.

Muslime in Deutschland kennen Österreich als einen Staat, in dem die Institutionalisierung der religiösen Strukturen im Gegensatz zum hiesigen Land gelungen ist. Als Produkt der eigenen Geschichte auf dem Balkan kennt unser südlicher Nachbar die Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft seit Jahrzehnten. Und das trotz einer sich radikalisierenden politischen Landschaft. Im jüngsten FRA-Bericht zur Lage der Grundrechte muslimischer MitbürgerInnen liegt Österreich bei antimuslimischen Diskriminierungen auf einem unrühmlichen ersten Platz – dicht gefolgt von der Bundesrepublik.

„Das islamische Erbe Österreichs“ hat zum Ziel, den islamisch geprägten Anteil der dortigen Identität aufzuzeigen. „Und den einen oder anderen, vielleicht weniger bekannten Teil derselben bewusst zu machen oder neu hervorzuholen.“ In unermüdlicher Detailarbeit zeichnet Stanfel alles Mögliche nach. Das reicht von baulichen Anleihen des Mittelalters aus dem Orient, über die unzähligen Spuren der „Türkenkriege“ in Ortsnamen, Gebräuchen und Dokumenten über die Orientmoden der frühen Neuzeit bis zum Beginn einer muslimischen Präsenz im Habsburgerreich ab dem 19. Jahrhundert. Darunter finden jene Vorläufer Erwähnung, die damals noch als „Exoten“ zum Islam gefunden haben.

Das Buch will mit der Vorstellung aufräumen, die österreichisch-islamischen Beziehungen seien vorrangig von Konfrontation geprägt worden. Es ist ein Pionier in der Behandlung des Themas. Daher musste der Autor stellenweise Neuland betreten, weil es zuweilen nicht in einer „rein wissenschaftlich aufgearbeiteten Form“ vorliegt. 

Dabei ist der Umgang mit diesen vielfältigen Beziehungen methodisch nicht immer leicht. Obwohl ihm „die Trennung von Religion und Kultur“ ein wichtiges Anliegen sei, könne dies im Kontext des Textes nicht immer erfolgen. Ein prägnantes Beispiel führt er dabei an, das für einen Teil der österreichischen Geschichte wichtig ist: der Begriff des „Türken“. Darunter lassen sich in einer historischen Betrachtung drei Aspekte verstehen: eine Ethnie, Einwohner des Osmanischen Reiches sowie „MuslimInnen im Allgemeinen“.

Trotz möglicher Fallstricke und Hürden ist Gernot Galib Stanfel ein wichtiges und lesenswertes Buch gelungen, das hilft, die Vorstellung vom Muslim als dem „Anderen“ zu den Akten zu legen.