Nein, ein „Islamist“ ist nicht mit dem Wort Muslim gleichzusetzen. Ein „Islamist“ ist ein politisch und medial konstruierter Begriff, den man inzwischen mit einem autoritären und gewaltbereiten Monstrum gleichsetzt, das sowohl dem eigenen als auch dem Leben anderer keine Bedeutung beimisst.
Ein Kommentar von Fereshta Ludin
(iz).Nach einem Anschlag auf eine Synagoge, eine Kirche, eine Moschee, auf einem Marktplatz, an einer Schule oder an einer Uni, ob in Deutschland, in Frankreich oder Afghanistan, wird der Begriff „Islamist“ gezielt, bewusst und präzise auf allen Kanälen und aller Munde eingesetzt.
Ein gläubiger Muslim hat das Problem, dass sein Glaube im Wort „Islamist“ verwendet wird. Somit wird ständig eine Verbindung zwischen dem Monstrum, dem gewaltbereiten Täter und Terroristen einerseits und andererseits dem friedfertigen Glauben und dem Gläubigen politisch wie medial hergestellt. Auch sogenannte Islamexpert*innen, Politiker*innen und verschiedene Akteur*innen verwenden den Begriff, um die Brutalität von Terroristen zum Ausdruck zu bringen.
Das ist ein verbaler Sumpf, in dem sich viele Muslime befinden, die vor allem in einem religiösen Kontext leben. Ein Morast voller Generalverdachtsmomente, der sich gesellschaftlich ausbreitet und weiterentwickelt. Eine klare Differenzierung zwischen Muslimsein und „Islamist“ bleibt aus. Eine Verwischung mit einem „politischem Islam“ und eine Definition dessen sorgen für weitere Verwirrung. Das Misstrauen gegenüber dem Muslim/der Muslima setzt sich im Hinterkopf fest.
Wo liegt das Problem? Ist es der Begriff „Islamist“ oder der Muslim, der seinen Glauben friedfertig und selbstbewusst lebt? Inzwischen stößt die Bezeichnung „Islamist“ viele Muslime ab, da mit ihr erheblich negativ konnotierte Bilder assoziiert werden und im politischen Diskurs etabliert sind. Die mediale und politische Nutzung des Begriffs erzeugt die aggressive und terroristische Vorstellung eines Menschen mit muslimischem Hintergrund. Ein kompromissloser Extremist und ein Feind unseres Staates und einer, der den gläubigen Muslim*innen erheblich schadet sowie ihre Religion für seine Zwecke missbraucht. Einem „Islamisten“ ist es gleichgültig, ob und wie er unschuldige Menschen tötet. Ein „Islamist“ hat kein Interesse daran, Frauen einen Platz in der Gesellschaft zu gewähren; er neigt dazu, andersgläubige oder andersdenkende Muslime als Feind und Bedrohung für sich zu empfinden. Ein „Islamist“ kann sich mit Demokratie weder anfreunden noch identifizieren. Sein Weltbild vom konstruierten Muslimsein steht über allem, was ihn umgibt. Ein „Islamist“ setzt sich nicht für eine demokratische Gesellschaft ein. Auch hat er kein Interesse daran, mit Andersgläubigen zu kooperieren oder gar mit ihnen Kompromisse auszuhandeln. Im übertragenen Sinne ist er genau das, was in den Augen eines verschreckten Kindes Rumpelstilzchen darstellt, oder eben in den Augen eines Muslimhassers und „Islamkritikers“ die personifizierte Idealvorstellung seines muslimischen Feindbildes: der Islamist.
Schlussfolgernd daraus ist eine Verwendung des Begriffes „Islamist“ zur Beschimpfung und Verleumdung nicht nur eine Beleidigung, sondern (nach dem Strafgesetzbuch § 130) auch Volksverhetzung. Diese Form der Hetze wird strafrechtlich verfolgt. Jurist*innen und Richter*innen sind dazu angehalten, wachsam, sensibel und verantwortungsvoll auf diese Form der Verunglimpfung von Muslimen als Angehörige einer Minderheit zu achten. Ebenso im medialen, politischen und Bildungskontext ist mit diesem Begriff mit hoher Sensibilität umzugehen; nicht zuletzt deshalb, weil Muslime enormen Pauschalisierungen, Ausgrenzungen, Benachteiligungen, verbalen und nonverbalen Attacken ausgesetzt und vor solchen Formen massiver Konfrontationen zu schützen sind.
Verharmlosung und Ignoranz solcher Diskriminierung und Stigmatisierung ist genauso problematisch und den gesellschaftlichen Frieden störend wie mangelnde menschliche und gesellschaftliche Solidarität mit Muslimen, die öffentlich im Beisein anderer attackiert werden. Noch gibt es zu wenige Menschen, die sich im Alltag eindeutig dagegen positionieren – sowohl medial als auch politisch. Noch gibt es nicht genug, die Mut und Haltung aufbringen angesichts der Hetze gegenüber einzelnen Musliminnen und Muslimen als Angehörige einer Glaubensgemeinschaft und Bürger*innen unseres Landes. Das konnte kürzlich bei Bundestagsabgeordneten der AfD und anderer Parteien im Rahmen der Debatte „Antimuslimischer Rassismus und Diskriminierung von Muslimen in Deutschland“ beobachtet werden. Hier stimmten alle Parteien gegen einen Antrag der Linken, dem sich die Grünen enthielten.
Solidarität gegenüber dem Anderen wird am Menschsein des Gegenübers gemessen. Sie wird nicht daran gemessen, welche Position wir verlieren werden, welche materiellen Einbußen wir akzeptieren müssen oder welchen Machtstrukturen wir uns unterordnen müssen, damit wir uns solidarisieren können und dürfen. Eine eindeutige Positionierung verschafft Respekt und Solidarität. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wäre mit ihr gesichert.