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„Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“

Foto: Sicherheitskonferenz München 2020

Wiedersehen auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Der frühere Außenminister Steinmeier kehrt als Bundespräsident auf die große weltpolitische Bühne zurück. Und er teilt in viele Richtungen aus. Bericht von Michael Fischer und Carsten Hoffmann

München (dpa). Es dauert nur wenige Sekunden, bis Frank-Walter Steinmeier auf das zu sprechen kommt, auf das viele im Publikum warten: Deutschlands außenpolitische Verantwortung. Vor sechs Jahren hatte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine denkwürdige Rede zu diesem Thema gehalten. „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, sagte er damals im Einklang mit dem damaligen Bundespräsident Joachim Gauck, der sich in einer Art Ruckrede für mehr deutsche Einmischung in die Weltpolitik einsetzte.

An diesem Freitag warten alle darauf, dass Steinmeier Bilanz zieht. Tut er aber nicht. Das Wort Verantwortung kommt zwar 17 Mal in seiner 30-minütigen Rede vor. Der Blick zurück auf die vergangenen sechs Jahre fehlt aber. Steinmeier will nicht beurteilen, was er selbst bis 2017 als Außenminister oder andere nach ihm getan oder nicht getan haben. Er schaut lieber auf die Gegenwart und in die Zukunft.

Steinmeiers Bestandsaufnahme fällt ziemlich düster aus: „Wir werden heute Zeugen einer zunehmend destruktiven Dynamik der Weltpolitik. Vom Ziel einer internationalen Zusammenarbeit zur Schaffung einer friedlicheren Welt entfernen wir uns von Jahr zu Jahr weiter.“ Seine Kritik an den Verantwortlichen für diese Lage macht er für einen Bundespräsidenten ungewöhnlich konkret:

– Russland wirft er vor, „militärische Gewalt und die gewaltsame Verschiebung von Grenzen auf dem europäischen Kontinent wieder zum Mittel der Politik“ gemacht zu haben.

– Chinas beschuldigt er, das Völkerrecht zu brechen und nennt das Vorgehen Pekings gegen Minderheiten im eigenen Land verstörend.

– Aber auch den Bündnispartner USA bezichtigt er, der „Idee einer internationalen Gemeinschaft“ über Bord geworfen zu haben.

Die eigentliche Botschaft seiner Rede richtet sich aber an Europa. Und da kommt er dann auch wieder auf die deutsche Verantwortung zu sprechen: Deutschland sollte sich „der größten Verantwortung zuwenden, die unserem Land zukommt: das geeinte Europa zusammenzuhalten“.

Dabei mahnt er ein realistischeres Selbstbild der deutschen Politik an. „Deutschland glaubt oft, hilfsbereit und solidarisch zu handeln, während andere uns vorwerfen, nationale Interessen zu verfolgen“. Das gilt zum Beispiel für die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2, die von Deutschland vorangetrieben, von den meisten anderen Europäern aber abgelehnt wird.

Eine Ruckrede, wie sie Gauck vor sechs Jahren gehalten hat, sind Steinmeiers Ausführungen aber nicht. Gauck hat mit seinem Ruf nach einer stärkeren deutschen Rolle in der Welt eine Debatte angestoßen, die bis heute anhält. Steinmeier macht deutlich, dass ihm der Ton dieser Debatte inzwischen missfällt, weil er zu stark auf das Militärische gerichtet ist.

„Den Verlust von Diplomatie, der Verlust von tragenden Säulen unserer Sicherheitsarchitektur, von Rüstungskontrollverträgen und internationalen Abkommen, den können wir nicht durch Panzer, Kampfjets und Mittelstreckenraketen kompensieren.“ Ohne eine allgemeine Respektierung des Völkerrechts und einer Sicherheitsstrategie, die alle integriert, „werden wir uns in einigen Jahren – zum Schaden aller – weltweit totrüsten“, mahnt er.

Das dürften sie in der Partei, für die Steinmeier mal Vizekanzler war, gerne hören. Eine andere klare Ansage des Bundespräsidenten wird der SPD dagegen missfallen. Steinmeier stellt sich klar hinter das Ziel der Nato, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben.

Das wird wiederum Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) freuen, die das Ziel bis 2031 erreichen will. Die SPD hat noch nicht eingewilligt. Auch die bald scheidende CDU-Chefin hat am Freitag ihren ersten Auftritt als Verteidigungsministerin in München. Neu ist auch: Sie gilt nicht mehr als potenzielle Nachfolgerin von Kanzlerin Angela Merkel. Zusammen mit dem US-Verteidigungsminister Mark Esper bekennt sich Kramp-Karrenbauer noch vor dem offiziellen Beginn der Konferenz zu einer gemeinsamen Fortsetzung des Kampfes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Viel mehr aber auch nicht.

Und so bleiben die Details einer neuen deutschen Rolle – mehr Verantwortung, wo es sein muss auch militärisch – an diesem ersten Tag der Sicherheitskonferenz unpräzise. Mehr wird die Größe und Notwendigkeit des Schritts beschrieben, als dass sich ein deutscher Politiker dazu aus der Deckung wagen würde.

Konkret wurde Steinmeier in Bezug auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der zuletzt die Nato für „hirntot“ erklärt und mehr europäische Eigenständigkeit gefordert hat. Steinmeier hält ihm entgegen: „Die Europäische Union allein kann die Sicherheit aller ihrer Mitglieder bei allen Fortschritten noch auf lange Sicht nicht garantieren. Und auf die EU allein zu setzen, hieße Europa in die Spaltung zu treiben.“ Eine klare Distanzierung von dem Franzosen. Macron hat an diesem Samstag in München die Gelegenheit, Steinmeier zu antworten. Dann tritt er zum ersten Mal bei der Sicherheitskonferenz auf.