Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime. Von Amina Bausch

Ausgabe 200

„Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten.“ Karl Kraus
„Die wesentlichen Träger der Manipulation und Anpassung der Menschen sind die Massenmedien.“ Rudi Dutschke
„Pressefreiheit ist das Recht, Lügen zu ­drucken, ohne dazu gezwungen zu werden.“ Robert Lembke

(iz). Was waren das doch für Zeiten (Vorsicht, Ironie!), als die Journalisten einer jüngeren Bundesrepublik engagierte, investigative und kritische Menschen waren, die sich gelegentlich mit der Macht des Establishments anlegten. Immerhin: So manches, frühere Nachrichtenmagazin ging mit den Mächtigen seiner Zeit hart ins Gericht, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und machte sich so über ­Jahre bei den Parteiungen unbeliebt.

Heute ist die angebliche „vierte Gewalt“ (in der Verfassung gibt es dieses Konstrukt nicht) in die Jahre gekommen, wirkt angesichts der „neuen Medien“ müde, ihre besten Köpfe wurden wegra­tionalisiert und hat sich auch ein ­kleines bisschen korrumpieren lassen. Eigentlich unglaublich, aber es gibt im Westen mittlerweile medienkritische NGOs, die ­jedes Jahr Listen von Themen veröffentlichen, über die zu wenig oder gar nicht berichtet wird.

Muslime und Medien
Als Muslime sind wir dazu aufgerufen, unsere Verwandten, Freunde und Mitmenschen über unsere Religion zu informieren und auf die beste Weise zu ihr einzuladen. Allah, der Erhabene, sagt im Qur’an: „Und es soll aus euch eine Gemeinschaft werden, die zum Guten aufruft, das Rechte gebietet und das Verwerfliche verbietet. Jene sind es, denen es wohl ergeht.“ (Al-i-’Imran, 104)

Ein Teil dieses Aufrufs zum Guten ist der höchste Ruf zum Besten, das heißt zum Islam. Denn Allah offenbarte an einer anderen Stelle des Qur’ans: „Und wer spricht bessere Worte, als wer zu Allah ruft, rechtschaffen handelt und sagt: ‘Gewiss doch, ich gehöre zu den Muslimen (jene, die sich Allah unterworfen haben)’?“ (Al-Fussilat, 33)

Das Leben des Propheten, seiner Gemeinde und der nachfolgenden Generationen macht insbesondere deutlich, dass die Einladung zum Islam (Da’wa) ­keine fragwürdige Aktivität extremer Kleingruppen ist, sondern integraler Bestand­teil unserer Religion. Dabei darf diese Da’wa nicht mit dem allgemein bekann­ten interreligiösen Dialog verwech­selt werden.

Die heutigen Muslime stehen vor der Aufgabe, diese göttliche Aufforderung in der Jetztzeit angemessen zu realisieren. Offensichtlich fehlt im praktischen Alltagsleben das lebendige Vorbild früherer Tage, andererseits stehen uns die diversen klassischen und neuen Medien zur Verfügung. Als die anfänglichen Macher dieser Zeitung vor 200 Ausgaben mit ihrer Arbeit begannen, war eines ihrer idealistischen Ziele, einen viel größeren Kreis von Menschen mit Hilfe einer Zeitung korrekt über den Islam informieren zu können.

Mehr noch als Politik oder akademische Diskussionen sind Medien heute die Arena der heftigsten (beinah militanten) Auseinandersetzungen. Wir nehmen viele Aspekte unserer Welt überhaupt nur noch (oder zumindest überwiegend) durch sie wahr. Diese tendenzielle Ablösung vom realen Leben ermög­licht wiederum eine massenmediale Manipulation breiter Bevölkerungsschichten, da vielen Menschen eigene ­Einblicke jenseits des zeitgenössischen Medienangebots fehlen.

Dies tangiert spürbar (und soziologisch nachweislich) jene gesellschaftliche Minderheiten wie die Muslime Deutschlands, da sie in der Regel weder direkten Zugang zu konventionellen Medien haben, noch Einfluss auf sie nehmen können – im Gegensatz zu verschiedenen Interessengruppen, PR-Agenturen und Lobbyisten. In Ermangelung finanziell starker Publikationen mit angeschlossener Massenbasis sind wir gezwungen, uns Alternativen einfallen zu lassen. Neben ­eigenen Projekten (für die sich insbesondere das Internet eignet) müssen wir verstehen, wie Medien funktionieren, um uns die notwendige Medienkompetenz anzueig­nen und um produktiv mit dem „Quali­tätsjournalismus“ unserer Tage ­umgehen zu können.

Überlebenskampf in ­vielen Redaktionen
Ein Blick auf die betriebsinternen Arbeitsbedingungen von Tageszeitungen erklärt, warum es immer mehr an saube­ren Recherchen und der grundlegenden Unterscheidung zwischen Meinung und Fakt fehlt. Beim Journalismus ist es wie in der Musikindustrie: Nur ein Bruchteil sämtlicher Beteiligter ist bekannt, hat Einfluss und heimst die meisten Tantie­men ein. In den klassischen Medien (und den Fernsehsendern) sind dies die Chefredakteure, Ressortchefs und andere „Edelfedern“.

Nicht wenige Journalisten aus meinem Bekanntenkreis können sich und ihre Familien gar nicht mehr hauptberuflich durch die Arbeit (die immer mehr gar nicht in Festanstellung möglich ist) für konventionelle Medien ernähren. Der eine schafft in seinem Hauptberuf als Verkäufer oder die andere schreibt Werbetexte, um sich ein kleines Maß Freiheit für Artikel zu ermöglichen, die ihnen am Herzen liegen.

Viele andere, professionelle „Medienarbeiter“ überschreiten die alten berufsethischen Grenzen, und heuern in den Presseabteilungen von NGOs, Parteien, Stiftungen oder großen Unternehmen an. Dies mag miterklären, warum viele politische Entscheidungen unter dem Blickwinkel getroffen werden, sie medienwirksam verkaufen zu müssen. Vor einigen Jahren veröffentlichte die Journalisten-Union (dju) zum Tag der Pressefreiheit eine Erklärung, deren ­Gehalt auch noch heute die Lage für die einzelnen Journalisten treffend beschreibt. „Gerade für freie Journalisten werde es immer schwerer, von ihrer Arbeit zu leben. Die von ihnen gemachten Kompromisse gingen meist auf Kosten der Meinungsvielfalt. Und auch bei den etwa 15.000 angestellten Redakteuren wirke frühzeitig die Schere im Kopf. Gleichzeitig wächst nach Darstellung des ‘Deutschen Journalisten-Verbandes’ DJV der gesetzliche Druck. (…) Nur wenige Medienkonzerne beherrschen in Deutschland einen Großteil von Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen. Hinzu kommt, dass selbst die herausragenden Medien vielfach nichts anderes veröffent­lichen als Agenturmate­rial von dpa oder Reuters. Es entsteht ein weitgehend gleichgeschaltetes Meinungs­bild. ­Banken und Industriekonzerne finanzieren über Anzeigen und Werbespots einen Großteil der Redaktionen, die Einnahmen über die Abonnenten genügen meist nur, um die Vertriebskosten abzudecken“, hieß es dort.

Was passiert in der Berichterstattung?
Als freie Journalistin habe ich Verständnis für Menschen, die den Eindruck bekommen, Deutschlands „Qualitätsmedien“ (vom Internet-Sumpf schweigen wir) hätten sich auf Muslime eingeschossen. Einige Erhebungen zur Islamberichterstattung der letzten Jahre geben ihnen sicherlich Recht.

Meiner Erfahrung nach gibt es allerdings nur einen kleinen, harten Kern anti-muslimischer AutorInnen, die mit diesem Ressentiment ihr Auskommen bestreiten. Der größte Teil dessen, was von Muslimen als vorurteilsbeladene Berichterstattung wahrgenommen wird, ­leitet sich wohl eher aus dem Schielen auf Auflagenzahlen beziehungsweise Einschaltquoten, sowie aus gewohnheitsmäßiger Denkfaulheit ab.

Die Berichterstattung über den Islam, die Terroristen und die ­Gefährdungslage ist längst Teil des harten Mediengeschäf­tes geworden, wobei hier die Betonung auf „Geschäft“ liegt. Ein Teil der Medienwissenschaften geht davon aus, dass die meisten Konsumenten jene ­Produkte kaufen, in denen sie ihre Ansichten bestätigt sehen. Jeder Verantwortliche, der in schwierigen Zeiten seine Auflage mit im Blick behalten muss, kann es sich daher nicht leisten, die Ansichten seiner anvisierten Zielgruppen dauerhaft zu ignorieren.

Eine kleine Anekdote aus den letzten Wochen mag helfen, das zu veranschau­lichen: Im Rahmen des Vorschlags für einen „Musiktag“ brachte eine ­kirchliche Nachrichtenagentur mehrere, beinahe gleichlaufende Meldungen zum Thema. Die letzte (nur die umgeschriebene Vari­ante einer älteren) enthielt plötzlich den Zusatz, dass es unter Deutschlands Muslimen eine breite Zustimmung dafür gebe. Auf Anfrage dieser Redaktion, ob man Belege (wie eine Blitzumfrage) für diese These habe, gab es sogar eine Antwort. Aus der Tatsache, dass mehrere Muslime bei der (Radio-)Debatte um den „Muslimtag“ dabei waren, hatte man eine allgemeine Zustimmung unter den Muslimen abgeleitet. So geht Qualitätsjournalismus…

Ein weiterer Grund, warum mit Muslimen in Deutschland oft nicht pfleglich umgegangen wird, ist eine weit verbreite­te anti-religiöse Tendenz in jenen Gesell­schaftsschichten, aus denen sich Redaktionen speisen. Religion gilt häufig als etwas obskures und irrationales betrach­tet, das aus dem öffentlichen Raum verbannt werden sollte. Wie eine betriebsinterne Studie der BBC ergab, stellen große Medien oft nur Mitarbeiter aus der gleichen Klasse ein wie der, aus der die Führungskräfte des Unternehmens kommen.

Bei vielen Printmedien ist es zum Teil so, dass sie über mangelnde Sachkenntnisse verfügen. Weiterhin gilt, dass Berichte oft in großer Schnelligkeit und ohne halbwegs gründliche Recherche erfolgen und häufig erfolgen müssen. Vielfach wird auch immer wieder anderswo abgeschrieben und damit das vorhande­ne Bild immer und immer wieder perpetuiert, etwa durch simple Internetrecherche. So haben in vielen Redaktionen „Google.de“ das einstige Archiv und „copy & paste“ die professionelle Recher­che ersetzt.

Was kann man tun?
Viele Muslime sind sich dieser Beschränkungen bewusst, aber werden sich wohl zu Recht die Frage stellen: Was kann man tun? Mein Rat, der sich mit den Erfahrungen der IZ deckt, ist einfach: Die Muslime müssen eine kollekti­ve Medienkompetenz (sowohl was den Konsum, als auch was den Umgang mit ihnen betrifft) entwickeln. Und sie müssen von den Erfahrungen anderer Minderheiten lernen und so schnell wie möglich bestehende Projekte wie die Islamische Zeitung unterstützen. Eigentlich sollte die Stärkung beispielsweise der ­Islamischen Zeitung angesichts der hiesi­gen Verhältnisse eine Selbstverständlichkeit sein (Wer kein IZ-Abo hat, sollte das meiner Meinung nach schnellstens nachholen).

Der australische Autor Amir Butler gab vor einiger Zeit an gleicher Stelle einen einfachen Rat für den Umgang mit medialen Inhalten: „Eigentlich ist es so einfach: Wiederhole nicht alles, was du hörst, wenn du keine Beweise dafür hast. Überprüfe Theorien durch Nachforschung und verändere Theorien ange­sichts der Ergebnisse! Dies ist die wissen­schaftliche Methode, die wir alle in der sechsten Klasse gelernt hatten.“

Amina Bausch (Name von der Redaktion ­geändert) studierte Germanistik und Publizistik und lebt zur Zeit im Emsland. Als unabhängige Autorin, Gestal­terin und Lektorin ist sie dankbar für die ­Freiheit, die ihr dieses Arrangement bietet.