In Mali bieten Qur’anlehrer viel mehr an. Von Katrin Gänsler

Ausgabe 205

(KNA). Er gehört zum guten Ton und zur grundlegenden Ausbildung eines jeden jungen Muslims: der Besuch einer Qur’anschule. Doch die in der Regel privat organisierten Schulen stehen zunehmend in der Kritik. Der Vorwurf: Die ­Qur’anschüler lernen zu wenig. Zudem sollen in der Vergangenheit vor allem Jungen von ihren Lehrern zum Betteln auf die Straße geschickt worden sein. In Mali soll sich das nun durch die Initiative einer nichtstaatlichen Organisation ändern.

Auf dem Grundstück von Ousmane Haidara herrscht am Morgen Hochbetrieb. Jeden Tag kommen 120 Jungen und Mädchen aus der Nachbarschaft, um seine Schule zu besuchen. „Hier lernen die Kinder nicht nur etwas über ihren Glauben, sondern auch Französisch und Arabisch“, sagt der Lehrer stolz. Seine Schüler sitzen dicht gedrängt auf einfachen Holzbänken. Im Französisch-Unterricht nimmt die zweite Klasse an diesem Vormittag den Buchstaben „S“ durch. In ordentlicher Schreibschrift versuchen die Kinder, ihn in ihre Hefte zu ­übertragen.

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass alle Französisch, die offizielle Sprache in der einstigen Kolonie, sprechen. Doch der Alltag sieht anders aus. Viele Menschen beherrschen nur ein paar Brocken. Viel stärker verbreitet ist ­Bambara. Für den Alltag reicht das aus – doch wer eine Schule besuchen und eine Ausbildung machen will, kommt an Französisch nicht vorbei.

Ousmane Haidara ist froh, den Schülern mehr bieten zu können, als nur die Unterweisung in den muslimischen Glauben. In erster Linie ist seine Schule zwar eine Koranschule. Doch er erkannte früh, wie wichtig ist es, die Kinder auch in anderen Bereichen auszubilden. „Natürlich müssen sie etwas über den Qur’an lernen“, sagt der gläubige Muslim und geht hinüber in ein Klassenzimmer, in dem 13- bis 15-jährige Schüler Matheaufgaben lösen. Er zeigt auf die kleine Klasse. „Auch mit diesem Wissen werden sie später viel anfangen können.“

Die Akzeptanz für seine Arbeit setzt sich nur langsam durch. In Mali, wo sich 90 Prozent der 14 Millionen Einwohner zum Islam bekennen, ist der Besuch ­einer Qur’anschule meist obligatorisch. Danach sollten die Kinder eigentlich auf eine Grundschule gehen. Doch das scheitert immer wieder am schmalen Geldbeutel der Eltern. Denn selbst wenn ­offi­ziell kein Schulgeld erhoben wird, müssen Bücher und Uniform selbst bezahlt werden. Außerdem fehlen die Kinder als Arbeitskräfte im Haus und auf den Farmen.

Auch die Unterrichtsinhalte an den Qur’anschulen unterscheiden sich. Einheitliche Standards oder eine Kommission, die die Einrichtungen regelmäßig überprüft, gibt es bislang nicht. Das hat die nichtstaatliche Organisation Enda Mali, ein Partner von Caritas Internatio­nal, in der Vergangenheit immer ­wieder kritisiert. Soumana Coulibaly, Landesdirektor von Enda Mali, setzt sich für die Verbindung von religiöser und weltlicher Ausbildung ein. Über Qur’anschulen zu diskutieren, sei lange Zeit tabu gewesen. Er hat es trotzdem angesprochen – mit Erfolg: „Eine staatliche Kommission soll nun die Qualität der Qur’anschulen verbessern“, berichtet er.

Dies könnte auch dazu beitragen, den Umgang mit den Schülern zu verbessern. Ausgelöst wurde die Diskussion darüber vor zwei Jahren durch den Qur’anschulen-Skandal im Nachbarland Senegal. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sollen dort Schüler zum Betteln auf die ­Straßen geschickt worden sein. Dass so etwas auch in Mali geschieht, wird vehement bestritten: von den Schulbetreibern, aber auch vom Bildungsministerium. Völlig auszuschließen ist es trotzdem nicht.

Auch Ousmane Haidara kennt die Kritik. Damit sich seine Schule rentiert, müssen die Eltern Schulgeld zahlen. Pro Monat und Schüler 1.000 Cefa – etwa 1,50 Euro. „Viel ist es nicht, und einige Eltern haben nicht einmal dafür genug Geld“, sagt Haidara. Trotzdem könne er seine Schule damit finanzieren. Aus seiner Sicht trägt außer dem Geld jedoch noch etwas anderes zum Erfolg bei: ­Leidenschaft.