Unterwegs: Im Schmelztiegel Karatschi bilden Politik, Verbrechen und Land eine oft tödliche Kombination. Von Asad Hashim

Ausgabe 205

„[Die MQM] hat Karatschi 1986 erobert, und (…) als Folge wurde die Stadt zu einem Strom aus Feuer und Blut.“ (M.H. Mehanti)

(Al Jazeera). Auf einem Hügel bei der Seeseite von Pakistans größter Stadt findet sich das Mausoleum von Abdullah Schah Ghazi. Laut Legende soll er vor mehr als 1.400 Jahren als einer der ersten arabischen Eroberer hier hergekommen sein. Als die Soldaten weiterzogen, blieb Schah Ghazi hier.

Heute wird er als Stadt-„Heiliger“ von Karatschi verehrt. In den letzten eineinhalb Jahren muss Abdullah Schah Ghazi viel zu tun gehabt haben. Die ausufernde Metropole mit ihren 15 Millionen Bürgern wurde von Ausbrüchen lähmender Gewalt verheert. 2011 wurden hier 1.723 Menschen getötet – 476 dieser Morde waren politisch motiviert. In diesem Jahre liegt diese Zahl nach Angabe von Menschenrechtsorganisationen bereits bei hunderten Toten.

Die Gewalt in Karatschi lässt sich jedoch nicht verstehen, ohne ihre Politik – oder genauer, die aus ethnischen Fragen, Verbrechen und Landbesitz, die diese beeinflusst – zu ­begreifen. In Karatschi werden beinahe 15 Prozent des pakistanischen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet. Die Stadt ist der Schmelztiegel des Landes. Aus einer Bevölkerung von 400.000 Menschen von der Indischen Teilung 1947 ist es zu einem der weltgrößten städtischen Räume ausgeartet. Die erste Ausbreitung der Stadt wurde von den Muhajirs – Urdu-sprachigen Flüchtlingen aus Indien – vorangetrie­ben. Heute hat Karatschi jedoch umfangreiche Anteile von Punjabis (17 Prozent), Paschtunen (14 Prozent), Sindis (8 Prozente) und Balutschen (4 Prozent).

Die politische Zugehörigkeit wird gemeinhin entlang ethnischer Linien verstanden. Die meisten Muhajirs wählen die Muttahida ­Qaumi Movement (MQM) und die meisten Sindis und Balutschen die Pakistan People’s Party (PPP, die Partei der beiden Bhuttos). Wegen der sich überschneidenden ethnischen und politischen Identitäten vor und nach der Teilung Indiens sind diese Grenzen allerdings nicht so scharf, wie es den Eindruck hat.

Klar ist, dass die Bevölkerungsmehrheit der Muhajirs (44 Prozent) und die MQM Karat­schi dominieren – sowohl in den Volksversammlungen, als auch auf der Straße. In der Stadt besteht immer die Gefahr, dass Gewalt hinter der Politik lauert. Oft werden Entscheidungen der MQM, sich gegen die ­Regierungspolitik in Islamabad zu stellen, von tagelangen Gewaltausbrüchen begleitet. „In den 1980er Jahren, mit dem Eintritt der MQM in das politische Leben, wurde Gewalt zu einer ernstzunehmenden Tatsache des Lebens in Karatschi“, berichtet Zohra Yusuf, Vorsitzende der pakistanischen Menschenrechtskommission. „Die MQM hat ihre Anhänger schwer bewaffnet. (…) Dieses An- und Abstellen von Gewalt ist im Falle der MQM ein Mittel, um ihre Macht zu demonstrieren“, fügt sie hinzu, „sie wollen beweisen, dass sie Karatschi kontrollieren“.

Bei der Begegnung mit Politikern in Karatschi wird deutlich, dass für jede große Partei ­Gewalt und politische Morde zu einer ­quasi physikalischen Konstante in Karatschi geworden sind. „Es ist nicht nur so, dass jede Partei in Karatschi Waffen hat“, räumte der ANP-Politiker Syed gegenüber Al Jazeera ein. „Jeder in Karatschi ist bewaffnet.“ Auch wenn seine Partei individuelle Mitglieder nicht kontrollieren könne, und diese sich an Erpressung und Landraub beteiligten, liege die Verantwortung für Karatschis Gewalt bei der MQM. Sie sei eine „terroristische Bewegung“, die einen „militanten Zweig“ unterhalte.

Der MQM-Funktionär Sattar widerspricht: „Die MQM hat sich niemals der Gewalt ­verschworen. Die politischen Morde in Karatschi werden von religiösen Extremisten ausgeführt, die mit einer kriminellen Mafia in einem tödlichen Nexus verbunden sind. Einige politische Führer halten ihre Hände über sie.“

„Absoluter Mist“, entgegnete ein Polizist, der ungenannt bleiben wollte, auf die Behauptung, die Gewalt in Karatschi habe ihren Ursprung in gewöhnlicher Kriminalität.

„Wir halten die Stadt in einem Zustand der kontrollierten Anarchie und entscheiden, wie viel wir zulassen“, beschrieb ein anderer führender Polizist die Optionen der überforder­ten Ordnungskräfte.

„Gewalt wurde absolut systematisch für die die Art und Weise, wie Politik in Karatschi betrieben wird“, sagte Zohra Yusuf. „[Selbst unpolitische Tötungen] werden politisiert. Parteien sehen, wie ihre Anhänger ermordet werden. Das Ganze wird dann zu einer Frage der Rache“, sagt der politische Kriminelle Zafar Baloch im Gespräch. „Fakt ist, wenn man nicht so handelt, wird man nicht respektiert. So werden die Morde zur Pflicht für jede politische Partei.“