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Keine türkische Hochzeit ohne Livemusik. Unterwegs in Berlin

Ausgabe 312

Foto: bass_nroll, via flickr | Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

(iz).Das Kreischen der Klarinette durchschneidet die Luft. Plötzlich eilen die jungen Kerle auf den Tanzboden, halten sich am kleinen Finger und tanzen den Halay (türkischer Kreistanz). Während sich die Kapelle durch die beliebtesten Hochzeitslieder spielt, treten Braut und Bräutigam in die Mitte. Ab und an kommt ein Gast und überschüttet sie mit Geldscheinen, während die Kinder wie verrückt über das Parkett rasen. Sie flitzen durch die Beine der Erwachsenen und heben die Scheine auf, die sich bei genauerem Hinsehen als Fälschungen erweisen.

Dass es eine „trockene“ Hochzeit ist, scheint niemanden zu kümmern. Es macht Spaß der Livemusik zuzuhören und dem Tanzen zuzusehen. Man braucht keinen Alkohol, um sich zu amüsieren. „Sieh dir diese Leute an“, sagt Hatice. „Die haben keine Sorgen auf der Welt.“

Einige Leute gehen in die Disko. Hatice und ich besuchen türkische Hochzeiten. Manchmal wissen wir nicht, wer heiratet. Wir sind Hochzeits-Crasher. Sie geht auf diese Feiern, seit sie denken kann. Mit 16 Jahren kam sie in eine ­arrangierte Ehe und musste medizinisch betäubt werden. Deutsche sind jetzt ­versucht zu denken: So ist das bei den Muslimen. Tatsächlich war ihr Mann ein Atheist.

Sie hat mich auf alle möglichen Partys geschleppt. Nicht, dass man mich dafür antreiben müsste. Ich fand diese Events wirklich toll. Hatice meinte, es würde mir guttun, ein bisschen vom Leben zu sehen. Es sprach sich in der türkischen Gemeinde herum, dass so-und-so, ein Freund eines Freundes, jemand aus ­Hatices kurdischer Stadt oder Region, heiraten würde. Sie zog all ihre glitzernden, schillernden Kleider an, kramte ihr altes Gold hervor, ich zog Anzug und Krawatte an und wir fuhren zu den Hochzeitssalons.

Nur selten kenne ich das Brautpaar. Und habe immer ein komisches Gefühl, wenn ich dem Vater des Bräutigams die Hände schüttle, der glaubt, dass Hatice und ich enge Freunde der Familie seien. Er gießt mir Parfüm auf die Hände und nimmt mich unter seine Fittiche. Wenn er wüsste, dass wir uns auf die Partys schmuggeln.

Warum haben wir das gemacht? Das Essen war nicht großartig – unweigerlich etwas Hähnchen und Reis; manchmal Hummus, wenn man Glück hat. Als Regel gab es keinen Alkohol. Es war einfach eine spaßige Nacht. Man tanzte, sah und wurde gesehen. Es gab eine Band. Und man warf sich in Schale.

Bei einer türkischen Hochzeit sind es immer die Bräutigams-Eltern, die eine Party schmeißen. Unweigerlich findet sich in einem Hochzeitssalon eines ehemaligen Berliner Fabrikgebäudes wieder. Manchmal liegt er inmitten türkischer Export-Import-Großhändler, Lager von Supermärkten oder neben unauffälligen Moscheegebäuden. Unausweichlich wird man von einem großen Industrielift in den ersten Stock des Salons gebracht, der mit einer Art billigen, abgenutzten Glamour geschmückt ist – viel Weiß, Gold, barocke Kurven und falsche Opulenz. Nicht wie die Deutschen, kalt und verlegen.

Sultan Tunç ist ein beliebter türkischer Rapper, der seine Zeit zwischen Berlin und Istanbul aufteilt. Gerade hat er ein neues Lied veröffentlicht mit einem begleitenden Video. „Mashalla“ wurde von der Welt türkischer Hochzeiten ins­piriert. Im Clip ist jeder aufs Feinste ­angezogen, als würden sie zu einer Hochzeit gehen. „Wir hatten eine falsche türkische Hochzeit inszeniert“, sagte Tunç. „Und dann gerieten wir zufällig in eine wirkliche und man ließ uns ­filmen“.

In einem türkischen Café am Kottbusser Tor erzählte er mir von der bleibenden Attraktivität türkischer Hochzeiten. „Ich habe viele, viele deutsche Freunde, die lieber türkische Hochzeiten besuchen, als in das Berghain oder einen anderen Club zu gehen“, berichtet er. „Es ist ein großer Spaß. (…) Und ich habe von vielen deutschen Freunden gehört, dass sie selbst gerne eine solche Feier hätten. Es ist etwas Besonderes.“

Es gibt einige, die sagen, dass das, was auf türkischen Hochzeiten abläuft, krass und materialistisch ist. In der Schlange zu stehen, um der Braut Geld zu geben, während ein Sprecher am Mikrofon einen laufenden Kommentar darüber gibt, wie viel die verschiedenen Hochzeitsgäste gegeben haben. Vor allem das scheint der deutschen Mentalität fremd zu sein. „Aber das ist, was die Frauen wollen“, sagt Tunç. „Es geht um echte Ökonomie. Wenn man in der Türkei schaut, wofür Leute Geld brauchen, dann meistens für eine Hochzeit. Heiraten ist wichtig für sie. Und hier muss es Geld geben. Das ist ein wichtiger ­Moment im Leben. Hier in Deutschland haben Türken viel, viel mehr Geld. Und sie wollen zeigen, was sie haben. Eine echte Wirtschaft hat sich entwickelt: die Hochzeitswirtschaft.“

Zurück zu unserer Hochzeit: Das Schlagen der Davu-Basstrommel kündigt das Kommen des Brautpaars an. Nach dem Tanz der Braut setzt sich das Paar an den Tisch gegenüber der Bühne, wo die Band spielt. Er ist groß. Alles ist in Weiß und Gold gehalten. Die Gäste kommen, um ihnen zu gratulieren.

„Sehr wichtig ist die Musik“, sagt Mustafa Kepenek. Er ist Manager des Hochzeitssalons Royal in Berlin-­Spandau. „Das ist der entscheidende Punkt. Je nach Region gibt es Unterschiede. Jede hat ihre Vorzüge. In der Türkei gibt es ein großes kulturelles Spektrum mit verschiedenen musikalischen Richtungen.

„Es gibt Leute, die spielen für 500“, sagt mir Hatice. „Dann gibt es solche, die kommen für 1.500. Für 2.000 kriegt man jemanden Beliebtes aus der Türkei. Nun, nicht die großen Stars, aber jemanden, der im Fernsehen auftritt. Er kommt, bleibt für einen Tag und geht am nächsten wieder.“ Eine gute Band ist bekannt für ihr Repertoire. Sie spielt die Songs, die jeder kennt und macht dabei Werbung für sich. „Eine Hochzeit kann tausend Türen öffnen“, erzählte mir ein Musiker einmal.

Manchmal sind Hochzeiten in der Türkei große Boulevard-Events. Sie sind bekannt dafür, wie viel Geld an die Braut und die Musiker geht. Manchmal ­werden zehntausende Dollar verblasen. Das macht dann die Runde und kommt ins Fernsehen. Andererseits sind einige der besten Feiern solche in den ärmsten Stadtteilen Istanbuls. 2012, als ich dort lebte, stolperte ich auf einige dieser ­Feiern an der freien Luft. Auch in Berlin begleiten Musiker manchmal das Brautpaar von ihrem Zuhause in den Salon. Sie halten für einen Moment an und spielen auf der Straße. Aber Freiluft-Hochzeiten sind leider eine Unmöglichkeit in dieser Stadt, in der das Ordnungsamt allgegenwärtig ist. „Findet die Hochzeit auf der Straße statt, dann ist das in den Augen der Gesellschaft eine niedrige Lebensweise“, berichtete ein Hochzeitsmusiker. „Das ist Kurden oder Roma in Istanbul egal. Sie haben noch ihre eigenen Traditionen.“

Zurück zu unserer Feier. Es ist fast Mitternacht und ich gehe zum Café im Hinterraum, denn ich bin müde. In der Luft hängt blauer Nebel. Männer im Anzug ziehen emsig an ihren Zigaretten, während sie ihren Tee trinken. Schnell kommen mir hier Tränen in die Augen. Ich spritze mir Wasser ins Gesicht.

Draußen machen sich die Gäste an eine neue Runde Halay. Danach stellen sich die Leute an, um der Braut Geldgeschenke zu überreichen. Ein Mann am Mikrofon kommentiert live mit, wie viel jeder gegeben hat. Die Nacht scheint kein Ende zu finden. So ist das bei ­türkischen Hochzeiten. Jede ist ein Abenteuer.