Können wir zurück zum Status quo?

Ausgabe 298

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(iz). Am 16. März veröffentlichte das Bundespresseamt eine gemeinsame Erklärung von Staats- und Regierungschefs der G7. In der Videokonferenz und dem folgenden Papier wurde die COVID-19-Pandemie als „menschliche Tragödie“ und „weltweite gesundheitliche Krise“ anerkannt. Auch die erwarteten Risiken für die Weltwirtschaft blieben nicht unerwähnt. Ungeachtet nötiger nationalstaatlicher Sofortmaßnahmen bleibe man der Stabilität der Weltwirtschaft verpflichtet.

Der erste Teil der staatsmännischen Analyse reflektierte den Ernst der sich entfaltenden Krise. Die gemeinsamen Ziele (notwendige Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, Förderung von Wachstum und Schutz von Arbeitsplätzen, Unterstützung von Welthandel und internationalen Investitionen sowie Wissenschafts- und Technologiekooperation) hingegen äußerten einen Optimismus, dem sich nicht alle anschließen mögen.

Jenseits von Panik, Weltuntergangsszenarien und Borderline-Verschwörungstheorien gibt es genug rationale Aspekte, der längt global verzahnten Realitäten, die eine Rückkehr zum Zustand vor Beginn der Ausbreitung von SARS-CoV-2 als übermenschliche Anstrengung erscheinen lassen.

Letztendlich stellt sich die (vorher von Fridays for Future formulierte) Frage, ob und wie sich das seit dreißig Jahren dominante Modell der Globalisierung und des stetigen Wachstums halten lässt. In ihrer Analyse vom 16. März in „Foreign Policy“ stuften H. Farrell und A. Newman Virus, Pandemie und Erkrankung als „enormen Stresstest für die Globalisierung“ ein. „Während entscheidende Lieferketten zusammenbrechen und Nationen medizinische Versorgung horten und sich beeilen, Reisen zu begrenzen, zwingt die Krise zu einer umfassenden Neubewertung der vernetzten Weltwirtschaft.“ Nicht nur habe die Globalisierung überhaupt erst die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit ermöglicht, sondern schuf eine tiefe, gegenseitige Abhängigkeit zwischen Konzernen und Nationen. Das macht alle wesentlich empfänglicher für unerwartete Schocks. „Jetzt erkennen Firmen und Staaten gleichermaßen, wie verletzlich sie sind.“

Für das Autorenduo besteht die Lektion des neuen Coronavirus nicht im Scheitern der Globalisierung, sondern in ihrer Verletzlichkeit.  – „trotz oder gerade wegen ihrer Vorteile“. Seit Jahrzehnten erzeugten Unternehmen bisher nie gekannten Reichtum. Aber deren Bemühung zum Streamlining habe auch die Menge ungenutzter Ressourcen in der Weltwirtschaft als Ganzer verkleinert. Zu wenige dieser Mittel machten das größere System in Krisenzeiten brüchig und schalteten wichtige Sicherungen aus.

„Das Fehlen ausfallsicherer Herstellungsalternativen kann dazu führen, dass die Lieferketten zusammenbrechen, wie dies in einigen medizinischen und gesundheitsbezogenen Bereichen aufgrund des neuen Coronavirus der Fall ist. Die Produzenten lebenswichtiger medizinischer Versorgung wurden von einem Anstieg der weltweiten Nachfrage überwältigt, bei dem die Länder im Wettbewerb um Ressourcen gegeneinander antreten“, schrieben Farrell und Newman. Die Schwächen der globalen Lieferketten gäben China enorme kurzfristige Vorteile, das Verhalten anderer Staaten zu beeinflussen. „Das sind wertvolle Mittel – und Peking setzt sie geschickt ein.“

In der Sicht von Marc Saxer, Asienreferent bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, habe die globale Vernetzung zu einem „plötzlichen Einbruch“ der chinesischen Nachfrage nach Erdöl geführt. Das habe den entsprechenden Rohstoffmarkt erschüttert. „Der Ölpreis stürzte in der Folge auf historische Tiefststände. Das mag Industrie und Verbrauchern kurzfristig Erleichterung verschaffen. Ölpreiskriege, Rezessionssorgen und Kalamitäten an den Finanzmärkten lassen jedoch die Börsen abstürzen.“ Nur ein entschlossenes Eingreifen aller großen Zentralbanken habe bisher einen Finanzinfarkt verhindern können. Vollkommen unklar ist, soweit, was dieser Preiseinbruch für die Erdölproduzenten – und alle Länder, die von Rohstoffausfuhren abhängig sind – bedeuten wird.

Größere Sorgen bereiteten ihm „die Schockwellen, die nun durch die maroden Finanzsysteme laufen und dort längerfristige besorgniserregende Trends“ verstärken würden. Viele Industriezweige und Privathaushalte in den USA seien überschuldet. Und in China würden Schattenbanken, Immobilien- und Staatsunternehmen sowie die Provinzen des Landes unter einer Schuldenlast ächzen. Und in Europa hätten sich seine Banken bisher immer noch nicht von der Finanzkrise 2008 erholt: Der wirtschaftliche Kollaps in Italien könne die Eurokrise wieder aufflammen lassen. „Wie groß die Furcht vor dem Einsturz dieser Kartenhäuser ist, zeigt die Flucht der Investoren in sichere Staatsanleihen. Die Coronakrise könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen, an deren Ende eine globale Finanzkrise steht“, schrieb der Asienexperte.

Jayati Gosh befürchtete am 17. März im „IPG Journal“ der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Fall in die Rezession. Die Unterbrechung von Lieferketten, Schließungen von Fabriken (wie es die Autoindustrie in Europa und den USA tat), Stilllegung ganzer Regionen sowie Existenzsorgen breiter Arbeiterschichten stellen ein realistisches Szenario dar.

Gosh merkte kritisch an, dass eine zunehmende finanzielle Instabilität mit ihrem „Potenzial für eine Schuldenkrise und sogar einen umfassenderen finanziellen Zusammenbruch“ bisher zu wenig beachtet werde. Die Möglichkeit auf eine realökonomische Erholung der Märkte und betroffenen Länder könnte „durch unbewältigte Finanz- und Schuldenkrisen zu Fall gebracht werden“. Eine Analyse der UN-Konferenz für Handel und ­Entwicklung (UNCTAD) zeigt, dass die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer (privat, öffentlich und im Ausland) ca. doppelt so hoch sei wie ihr gesamtes Bruttoinlandsprodukt. „Diese finanzielle Lage, die in den besten Zeiten beun­ruhigend wäre, könnte schon bei einem relativ leichten wirtschaftlichen Schock eine Katastrophe bedeuten.“

Nach Ansicht von manchen Beobachtern kann sich die Krise der nationalen Gesundheitssysteme und in Folge der Weltwirtschaft weiter hin zu einer weiteren Machtverschiebung auf globaler Bühne führen. Nach Ansicht von K.M. Campbell und R. Doshi in „Foreign Policy“ (18. März) hätte die Corona-Pandemie die Fähigkeit der USA, auf Krisen zu reagieren, ihre Macht zu projizieren und glaubwürdig zu wirken, getestet. Ihr skeptisches Urteil lautet, dass das politische Washington bisher in der Krise daran gescheitert sei.

Das von den USA geschaffene Vakuum werde derzeit zügig von der chinesischen Führung gefüllt. „Es arbeitet daran, sein System zu bewerben, anderen Ländern materielle Hilfe anzubieten und sogar andere Regierungen zu organisieren. Die bloße Dreistigkeit von Chinas Schritt ist kaum zu übertreiben. Schließlich waren es Pekings eigene Fehltritte – insbesondere seine Bemühungen, zunächst die Schwere und Ausbreitung des Ausbruchs zu vertuschen –, die dazu beitrugen, die Krise hervorzubringen, von der jetzt ein Großteil der Welt betroffen ist.“

China konnte die Gelegenheit nutzen, seine eigene Geschichte zu erzählen. Die Möglichkeit erhielt es durch das der­zeitige Chaos in der US-Führung. Seine Staatsmedien und Diplomaten erinnern ein globales Publikum regelmäßig an die Überlegenheit seiner Bemühungen und kritisieren die „Verantwortungslosigkeit und Inkompetenz“ der „sogenannten ­politischen Elite in Washington“, wie es die staatliche Agentur Xinhua in einem Meinungsbeitrag geschrieben hat.

Viel grundsätzlicher und skeptischer äußerte sich der wichtige indische Denker und Kritiker Pankaj Mishra. In einem Beitrag für „Bloomberg News“ schrieb er unter Verweis auf die Krisen vor und nach dem Ersten Weltkrieg, dass der Coronavirus für eine „radikale Transformation“ stehe. Und zwar einer Art, die sich nur einmal pro Jahrhundert ereigne und die vorherige Annahme zerschmettere. Die an sich schon verheerende Pandemie könnte sich nur als der erste von mehreren Schocks erweisen, die vor uns lägen.