Konflikt zwischen Juden und Arabern in Jerusalem wird schärfer. Bericht von Andrea Krogmann

Jerusalem (KNA). Jerusalem brodelt. Seit im Sommer Jugendliche beider Seiten durch Radikale ermordet wurden, kommt die Stadt nicht zur Ruhe. Fast täglich kommt es zu Zusammenstößen zwischen jungen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Beim dritten Attentat binnen zwei Wochen starb am Mittwoch ein israelischer Polizist. Die vorläufige Bilanz der jüngsten Gewaltwelle: 3 getötete Israelis, mehr als 20 Verletzte, 188 verhaftete Palästinenser. Die mutmaßlich palästinensischen Täter wurden in allen drei Fällen von den Einsatzkräften erschossen – und der Ruf nach Rache für die «Märtyrer» blieben nicht aus. Die Rede von der dritten Intifada ist nicht neu in Israel. Doch diesmal, so scheint es, ist die «Heilige Stadt» tatsächlich nur wenige Steinwürfe von einem Aufstand entfernt.

Das Schicksal der Stadt scheint an den vielleicht sensibelsten 144.000 Quadratmetern der Welt zu hängen. Der Tempelberg in der Jerusalemer Altstadt ist für Juden wie für Muslime von größter religiöser Bedeutung. Und es ist noch weit mehr: Der jüdischen Rechten ist es Symbol der ewigen und ungeteilten Hauptstadt Israels und der jüdischen Dominanz in Jerusalem. Palästinensern ist es Freiheitssymbol im Kampf gegen die israelische Besatzung. Gekämpft wird mit zusehends härteren Bandagen.

Die Extremisten auf beiden Seiten arbeiten sich gegenseitig in die Hände. Als vor einer Woche der radikale jüdische Tempelberg-Aktivist Yehuda Glick durch einen radikalen Palästinenser mit Schüssen schwer verletzt wurde, sperrte Israel erstmals seit Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 den Tempelberg vollständig. Die Forderungen jüdischer Aktivisten nach israelischer Souveränität für den heiligen Bezirk wurden unüberhörbar. Eine Kriegserklärung, konterte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Eine rote Linie sei überschritten, sagte das für die Verwaltung des Tempelbergs zuständige Jordanien und zog seinen Botschafter aus Israel ab.

Auch ausländische Medien sind ins Visier geraten. Das israelische Regierungspressebüro GPO drohte dem Bürochef der türkischen Agentur «Anadolu» mit Entzug der Akkreditierung. «Palästinenser von Polizei erschossen», lautete dessen Twitter-Beitrag zum Anschlag von Mittwoch. Aufwiegelung oder die Verbreitung von gefährdenden Fehlinformationen führe zum Verlust des israelischen Presseausweises, hieß es dazu aus dem Amt.

Während sich beide Seiten gegenseitig die Verantwortung für die Eskalation zuweisen, greift Israel zu teils drakonischen Strafen – und schürt so den Hass gegen die «Besatzer» zusätzlich. Geplante Gesetzesverschärfungen sehen bis zu 20 Jahre Haft für Steinewerfer vor. Straßensperren zu arabischen Stadtvierteln, hartes Durchgreifen bei Verkehrsdelikten, Hauszerstörungen und andere Maßnahmen richten sich klar gegen die arabische Minderheit der Stadt.

Die palästinensische Rede ist von Kollektivstrafe. Statt einer erhofften Mobilisierung der palästinensischen Bevölkerung gegen die Randalierer in den eigenen Reihen scheint eher die Zahl der Protestierenden zu wachsen. Auch die angekündigten 1.000 neuen Siedlerwohnungen in Ostjerusalem tragen sicher nicht zur Beruhigung der Lage bei.

Das Ziel der Anschläge – zwei von drei ereigneten sich an der Jerusalemer Straßenbahnlinie – dürfte durchaus symbolischen Charakter haben. Die ansonsten unsichtbare «grüne Linie», entlang der die Bahn die beiden Teile der Stadt von Ost nach West verbindet, markiert einmal mehr den Graben zwischen jüdischen Israelis und arabischer Bevölkerung.

Auch innerhalb der jüdischen Gesellschaft wird der Graben größer. Die Klagemauer ist fest in konservativen Händen. Reformorientierte Gruppen wie die «Women of the wall» müssen für die Nutzung ihrer gerichtlich erstrittenen Gebetsrechte mit Widerstand bis hin zu Verhaftung rechnen. Vermehrte Tempelberg-Besuche rechter jüdischer Aktivisten – darunter Minister und Parlamentarier – sorgen mittlerweile sogar für Kritik in den eigenen politischen Lagern. Die Spannungen würden auf idiotische Weise für billige Schlagzeilen genutzt, so Außenminister Avigdor Lieberman.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sah sich angesichts der Diskussionen um jüdische Gebetsrechte auf dem umstrittenen Heiligtum zu einer Klarstellung genötigt: Es werde keine Änderung des Status quo am Tempelberg geben. Wer etwas anderes behaupte, äußere eine Privatmeinung.