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Küche der Derwische – spirituelle Reifung auch in der Küche

Ausgabe 311

Bei der Vielfalt an Metaphern über Nahrung in den Schriften Rumis ist es nicht überraschend, dass die Derwische die Rolle des Chefkochs (Asci Dede oder Sertabbah) direkt nach dem Schaikh einordneten. Starb er, war es nicht selten der Sertabbah, der ihm folgte. Er hatte die Verantwortung für die Unterweisung neuer Schüler, die 1.001 Tage permanent im Dienste der Gemeinschaft arbeiteten (Cille).

Die Probezeit wurde in der Küche verbracht. In dieser Phase diente ein Derwisch als Bewahrer des Kessels (Kazanci Dede), Tischdecker (Somatci), Kaffeekocher (Iceri Medancisi) oder Wasser­träger (Saki). Die Wertschätzung für den Koch, aber auch die Sorge von beispielsweise Baha’uddin Naqschband um ­Konzentrationsniveau und emotionalen Zustand der Köche verweisen auf die Wichtigkeit des Vorganges, der von ihm überwacht sowie verkörpert wird.

Der Koch muss „einen Mund haben, um die Nahrung zu schmecken.“ Er oder sie muss Einsicht und Unterscheidung haben und die Bedürfnisse der Gemeinschaft kennen. Er muss die Eigenschaften der Nahrung beachten und sie in einer Kombination anordnen, die Ausgeglichenheit und Harmonie fördert – damit die Nahrung des Körpers die Ernährung der Seele fördert. Der Koch muss Jahreszeiten, Wetter und Tageszeit beachten, in der die Mahlzeit serviert wird. Aromen, Farben und die Erscheinung müssen ­passend und ansprechend sein.

Die Ergebnisse des Werks gehen in den Körper anderer über und werden in Energie und Lebendigkeit, Gedanke und Geist verwandelt. Es ist ein Prozess, der Aufmerksamkeit, Kreativität, Liebe und Geduld erfordert. Die Alchemie, die in der Küche stattfindet, spiegelt jene ­wieder, die in der gesamten Schöpfung wirkt. In vielen Tariqas wird die Rolle der Küchenarbeit anerkannt.

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Der Arbeitstag in einer Istanbuler ­Qadiri-Tekke begann mit der Gebets­waschung und der Rezitation der Fatiha, gefolgt von einem Gebet durch den ­Chefkoch. Während der Vorbereitung von Mahlzeiten rezitierten Köche in der osmanischen Dscherrahi-Tariqa tradi­tionellerweise das At-Tahijjat-Gebet, jene Konversation zwischen Allah und Seinem Propheten während der prophetischen Himmelsreise.

Die wirklich Tugendhaften sind jene, die Nahrung an die Bedürftigen, die ­Waisen und die Gefangenen verteilen. Eine der Aufgaben der Zawija (arab.) oder Tekke (türk.) war ihre Funktion als Gemeinschaftsküche und Herberge, die Nahrung und Obdach für die Armen und für Reisende bot. Vom Lehrer ­Nizamuddin Aulija war bekannt, dass er Reisende – sogar dreißig oder mehr – bis zu drei Tage am Stück aufnahm. Die ­Regel der drei Tage orientiert sich am Rat des Propheten: „Gastfreundschaft erstreckt sich über drei Tage, alles darüber hinaus ist Wohltätigkeit.“ 

Ibn Battuta erlebte und dokumentierte dies auf seinen Reisen. Die Sehnsucht, die Mahlzeit zu teilen, wurde zu einer der Grundlagen für die Entwicklung von Gemeinschaften. Das türkische Wort „Tekke“ bezieht sich auf einen Speisesaal, bevor es ausschließlich als ein Begriff des Sufismus verwendet wurde. In den ­osmanischen Gebieten war das Imaret eine öffentliche Einrichtung, die Reisenden, Händlern, Bedürftigen, Derwischen und den Mitarbeitern der Moscheen dienten. Seine öffentlichen Küchen wurden durch Stiftungen unterhalten, die sowohl von der Regierung als auch von wohlhabenden Frauen wie Männern gegründet wurden.

Ein Anzahl von frühen Kochbüchern hat bis heute überlebt. Sie stehen für die hohe Küche der Fürsten und wurden alle von Männern verfasst. Kulinarische ­Gewohnheiten von Frauen, die die meisten Mahlzeiten zubereiteten (und dies immer noch tun), und die ihre Rezepte mündlich weitergaben, sind schwerer zu finden.

Aus dem 16. Jahrhundert sind durch Einkaufslisten eines Imarets folgende Rohstoffe bekannt: Weizen, Reis, Pflaumen, getrocknete Birnen, Rosinen, Mandeln, Aprikosen, Feigen, Schafsfett und geklärte Butter, Zwiebeln, getrocknete Bohnen, Honig und Traubensirup sowie die Gewürze Kumin, Koriander, Safran und Pfeffer. Speisen auf Weizenbasis, ­namentlich Brot und Brei, sowie Suppen aus Getreide wurden jeden Tag serviert und gehörten zur einfachen Ernährung. Der wesentlich teurere Reis war für ­Freitage und Feiertage reserviert.

Rumi schrieb auf Persisch und bezog sich auf viele spezifische Nahrungsmittel, von denen einige bis zum heutigen Tag überlebt haben. Zu diesen zählen Kichererbsen, Spinat, Zwiebeln, Knoblauch und Essig, Weizen und Gerste, Butter und Buttermilch, eingelegtes Gemüse, Pfirsiche und Granatäpfel, die Nudelspeise Tutmatsch, Kebab, Brei aus Getreide und Fleisch, Reisgerichte mit Fleisch und ­Gemüse (Berjani), Weizengrieß (Bulgur), Linsen, eine Pastete aus gemahlenem Weizen, Nüssen und Sirup (Kadajif) und die geliebte Halwa – ein Gattungsbegriff für Süßigkeiten, die auf geröstetem Mehl basieren.

Die Mevlevi-Küche mit ihren großen Öfen war der Ort, in dem die Mahlzeiten für die Tekke zubereitet wurden, sowie eine Schule für spirituelle Sozialisierung. Die zukünftigen Derwische wurden metaphorisch „gekocht“ und „verbrannt“. Um überhaupt Derwisch werden zu können, mussten Anwärter die Zeit des 1.001 Tage lang dauernden Dienstes durchlaufen. War der Schüler jung, konnte dies nur mit Erlaubnis der Familie geschehen. Wenn er sich nicht durch wohlmeinende Warnungen abhalten ließ, saß er drei Tage neben dem Kücheneingang, um nachzudenken, zu reflektieren und die Aktivitäten zu beobachten. Schweigend nahm er an diesem Ort seine Mahlzeiten ein, betete und schlief dort. Sollte er immer noch bei seiner Entscheidung bleiben wollen, wurde er in die Küche gesandt, in der er 1.001 Tage Dienst tat.

Seine ersten 18 Tage waren voller Besorgungen: Holen, Tragen und Ausführen von niederen Tätigkeiten. Dem Anfänger wurden scharfe Befehle gegeben und es wurde von ihm erwartet, dass er alles mit Gleichmut und Aufmerksamkeit entgegennahm. War er erfolglos, dann wurden ihm in einer Nacht während seines Schlafs die Schuhe in Richtung Tür ­gestellt. Er musste dann die Tekke bei erstem Tageslicht verlassen – und niemals zurückkehren.

Wenn er die Anforderungen erfüllte, wurde er zum Küchenchef und Meister der Schüler – dem Aşçı Dede – gesandt. Er gab dem Schüler seine Kappe und entsprechende Kleidung. Der zukünftige Derwisch kehrte in die Küche zurück, wo er unter der Aufsicht des Kazanci Dede seinen Dienst leistete.

Zu den Pflichten zählten unter anderem Abwaschen, Wasserholen, Schrubben und Fegen, Einkaufen, das Decken der Tische und das Anzünden der Kerzen. Die Anfänger bedienten die Älteren und erhielten Aufgaben, die entsprechend ­ihrer Priorität angeordnet wurden. Die unangenehmste Aufgabe, die Reinigung der Latrinen, wurde in den letzten Tagen des Dienstes als weiterer Test der Geduld und der Selbstbeherrschung vergeben.

Kurz vor dem erfolgreichen Ende dieser Lehrzeit wurde der Schüler zum Meydanci Dede (dem Oberdiener) geschickt, der für die Verwaltung der Tekke verantwortlich war. Dieser verkündete allen anderen Derwischen in der Tekke „Destuur! Er hat seinen Dienst beendet. Seine Cille wird in einer Woche enden. Macht es ­bekannt und bereitet euch vor!“ Am Tag seiner Einführung wurde der Schüler zu einem Bad gebracht, wo er die volle ­Kleidung eines Derwisches erhielt. Er wurde dann auf die gleiche Stelle gesetzt, wo er zum ersten Mal in der Tekke saß. Am Abend wurden Tische für eine ­feierliche Mahlzeit gedeckt. Inmitten der Gesänge und Gebete wurde ihm die Sikke, die Kopfbedeckung, überreicht.