Berlin (KNA). Hähnchengrills, Gemüsemärkte, Falafel-Läden und Halal-Metzgereien, dazwischen „Spätis“ und glitzernde Brautmodengeschäfte: Die Sonnenallee in Berlin-Neukölln ist ein Symbol für das Miteinander verschiedener Kulturen und weit über Berlin hinaus bekannt. Aber auch Drogen und Kriminalität sind untrennbar mit ihrem Namen verbunden. Er ist nicht zuletzt durch die Medien mit Bildern und Klischees überfrachtet. Doch was ist dran am Mythos Sonnenallee?
Wer durch die Straße schlendert, gewinnt allein am kulinarischen Angebot einen Eindruck von der Vielfalt: libanesisch, türkisch, indisch und italienisch, halal oder vegan. Seit 2015 kommen immer mehr syrische Läden dazu. Die Sonnenallee ist auch für Geflüchtete aus arabischen Ländern eine bekannte Anlaufstelle. „Die Menschen wissen, dass sie hier alles bekommen“, erzählt Sulaiman Al-Sakka. Der 21-Jährige und seine Familie flüchteten 2011 aus Syrien. Auf der Sonnenallee eröffneten sie 2016 die Konditorei „Damaskus“.
Das Geschäft hat großen Erfolg – trotz zahlreicher umliegender Läden, die türkisches Baklava anbieten. „Das syrische Gebäck ist viel weniger süß“, erklärt Al-Sakka. Die Nachfrage ist hoch, Bestellungen kommen aus ganz Europa. Inzwischen hat die Familie zwei weitere Filialen in Berlin. „Der Laden hat uns viele Wege eröffnet“, sagt Al-Sakka. Er arbeitet in der Konditorei und macht zusätzlich eine Ausbildung zum Physiotherapeuten – um ein zweites berufliches Standbein zu haben, wie er sagt.
Auch wenn ihre Kultur die Straße zu dominieren scheint: Menschen mit arabischem Hintergrund sind rund um die Sonnenallee in der Minderheit. Nur 13 Prozent der Anwohner sind Zuwanderer aus arabischen Ländern, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Miriam Stock von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.
Insgesamt hat aber jeder Zweite in Neukölln einen Migrationshintergrund. Jahrelang lebten dort vor allem türkische Gastarbeiter. In den 1990er Jahren zogen dann wegen der günstigen Mieten viele Libanesen und Palästinenser zu. Nach dem Fall der Mauer kamen überdies Osteuropäer, später auch Spanier, Italiener und Griechen.
In den vergangenen Jahren entwickelte sich das Viertel zum Szenebezirk: Es zieht auch gut verdienende Menschen an. Sie treiben die Immobilienpreise nach oben, der Verdrängungsdruck auf die alteingesessenen Bewohner ist laut Berliner Mietergemeinschaft „immens hoch“.
„Wenn ich am Telefon sage, ‘Hallo, hier ist Frau Mourad’ – ist die Wohnung weg“, erzählt Hanadi Mourad von ihrer Suche nach einer neuen Bleibe. „Alleinverdienerin, Migrationshintergrund, Muslimin, da habe ich keine Chance.“ Mourad ist mit ihrer Familie aus dem Libanon nach Berlin gekommen. Seit rund zehn Jahren arbeitet sie als eine von 80 sogenannten Stadtteilmüttern in der Sonnenallee. Sie unterstützt andere zugewanderte Familien dabei, sich im deutschen Alltag zurecht zu finden.
Armut, Drogen, Kriminalität und eine hohe Arbeitslosigkeit zählen zu den Schattenseiten der Sonnenallee. Beim Stichwort „Brennpunkt“ zuckt der für Neukölln zuständige Leiter der Berliner Polizei, Peter Diebel, mit den Schultern. „Mein Abschnitt ist eine Brennfläche“, stellt er klar. Die Polizei halte dagegen, indem sie versuche, Präsenz zu zeigen und das Sicherheitsempfinden der Bürger durch verstärkte Streifengänge zu fördern.
Trotzdem ist die Kriminalität in Neukölln nicht auffälliger als in anderen Bezirken – und das Viertel auch keine „No-go-Area“, wie Diebel betont. Kritisch sieht er aber die Entstehung von Parallelgesellschaften bei Zuwanderern. Als massives Problem bezeichnet er zudem den öffentlichen Konsum harter Drogen. Junkies, die sich am helllichten Tag vor aller Augen Spritzen setzen, seien ein verbreiteter Anblick.
Doch Neukölln reagiert auch auf die Herausforderungen. Zahlreiche Initiativen engagieren sich, etwa eine Selbsthilfegruppe für Männer mit türkischem Hintergrund oder der Verein Gangway, der jungen Menschen hilft, ihren Weg zu finden. Start-ups entdecken Neukölln als Standort für neue Geschäftsideen. Für manche gehört der zwiespältige Ruf der Sonnenallee offenbar auch zur Vermarktungsstrategie.